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Gift auf dem Kopf

Eine von LR Arnold Schuler initiierte Untersuchung bringt Schockierendes zutage: In Südtirol werden von ärztlicher Seite Produkte gegen Kopfläuse empfohlen, die mutmaßlich krebserregend Wirkstoffe enthalten, die in der Landwirtschaft längst nicht mehr zugelassen sind.

von Artur Oberhofer

Arnold Schuler wollte die Probe aufs Exempel machen.

Nachdem der Apotheker von Mals, Johannes Fragner Unterpertinger, einer der treibenden Kräfte im Kampf gegen das Ausbringen von Pestiziden in der Landwirtschaft ist, schickte der Landesrat einen Lockvogel vor. Dieser Lockvogel ging in Fragner Unterpertingers Apotheke und verlangte das Mittel „Scabianil“.

Es ist dies ein Produkt gegen Krätze und Läuse. Rezeptfrei erhältlich.

Das Mittel „Scabianil“ enthält den Wirkstoff Permethrin, der vom amerikanischen Gesundheitsministerium als „wahrscheinlich krebserregend eingestuft“ worden ist. Auch PAN Europa stuft Permethrin, ein Wirkstoff aus der Gruppe der Pyrethroide, als sehr gefährlich ein.

Die beiden Mittel mit den bedenklichen Wirkstoffen

Brisant:

In der Landwirtschaft ist Permethrin seit 2000 verboten, in den Apotheken sind Produkte mit diesem Wirkstoff nach wie vor rezeptfrei erhältlich.

Doch der Reihe nach.

Eine von LR Arnold Schuler initiierte Untersuchung, die der TAGESZEITUNG exklusiv vorliegt, bringt Schockierendes zutage:

In Südtirol werden von ärztlicher Seite Produkte gegen Kopfläuse empfohlen, die mutmaßlich krebserregende Wirkstoffe enthalten. Paradoxerweise handelt es sich um Wirkstoffe, die in der Landwirtschaft längst nicht mehr zugelassen sind.

Ein konkretes Beispiel: Das Kopfläuse-Mittel „aftir Gel“.

Das Produkt „aftir Gel“ enthält den Wirkstoff Malathion. Experten wissen: Dabei handelt es sich um einen Phosphorester, der laut der International Agency for Research on Cancer (Internationale Agentur für Krebsforschung – IARC) wahrscheinlich krebserregend ist – so wie Glyphosat. „Der Wirkstoff Malathion“, so gibt Landesrat Arnold Schuler zu bedenken, „ist bei uns in der Landwirtschaft seit 2009 nicht mehr zugelassen.“

Landesrat Arnold Schuler hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Materie befasst und sogar ein internes Gutachten in Auftrag gegeben.

Dieses Gutachten ist explosiv!

Arnold Schuler bringt das Ergebnis der Untersuchung so auf den Punkt:

„Wir schmieren unseren Kindern ein Läusemittel auf den Kopf, das einen Wirkstoff enthält – Malathion –, der wahrscheinlich krebserregend ist, gleichzeitig ist derselbe Wirkstoff in der Landwirtschaft sei Jahren verboten.“

Um die Brisanz dieser Untersuchung plakativ darzustellen: Erst im November dieses Jahres hatten PAN Italia und der Dachverband für Natur- und Umweltschutz medienwirksam eine „Liste der kontaminierten Spielplätze“ in Südtirol veröffentlicht.

Im Gras von Spielplätzen hatten die Experten unter anderem den Phosphorester Chlorpyriphos nachgewiesen – ein Wirkstoff, der absolut vergleichbar ist mit Malathion.

LR Arnold Schuler

Die Studie des Dachverbandes und von PAN Italia hatte in Südtirol für große Aufregung gesorgt und viele Eltern verunsichert.

In einem Radiointerview hatte der Buchautor Alexander Schiebel („Das Wunder von Mals“) sein publizistisches Tun in Sachen Pestizide unter anderem damit gerechtfertigt, dass man wohl einschreiten müsse, wenn „Kinder vergiftet“ würden.

Doch gefährlicher, als auf den Spielplätzen, leben die Kinder offenbar, wenn sie mit dem Kopfläuse-Mittel „aftir Gel“ behandelt werden.

Die Wirkstoffmenge von Malathion, die Eltern ihren Kindern zum Bekämpfung der Kopfläuse auf die Haare und auf die Kopfhaut streichen, ist – laut dem Schuler-Gutachten – „640 bis 16.000 Mal höher als die vom Dachverband und von PAN Italia auf den Kinderspielplätzen gezogenen Proben auf ein Kilogramm Gras“.

Im Pflanzenschutz war der Phosphorester Malathion – bis zum Verbot im Jahr 2009 – gegen saugende Insekten beim Anbau von Obst, Gemüse, Zierpflanzen sowie gegen Obstmaden eingesetzt worden.

Die renommierte Agentur für Krebsforschung IARC kam im März 2015 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es „begrenzte Nachweise an Menschen für das krebserzeugende Potenzial von Malathion“ gebe, während die Beweislage ausreichend wäre, dass die Substanz bei Ratten und Mäusen zu Tumoren führt.

In jedem Fall: Die IARC stuft Malathion, das im rezeptfrei erhältlichen Läusemittel „aftir Gel“ enthalten ist, in die Kategorie 2A („wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen – „probably carcinogenic ot humans“) ein.

Malathion ist also – gleich wie Glyphosat – in die Kategorie 2A eingestuft und auch von Greenpeace schwarz gelistet.

Damit nicht genug.

Es gibt noch einen weiteren Wirkstoff, der seit dem Jahr 2000 in der Landwirtschaft nicht mehr zugelassen ist: das eingangs erwähnte Permethrin.

Johannes Fragner-Unterpertinger

Permethrin wird als medizinischer Wirkstoff vorwiegend gegen Krätze und andere Hautkrankheiten eingesetzt, aber auch gegen Lausbefall (z. B. Permethrin biomo). Permethrin ist in einer Studie des amerikanischen Gesundheitsministeriums als „wahrscheinlich krebserregend eingestuft“ worden – und wird auch von PAN Europa als sehr gefährlich eingestuft.

Arnold Schulers Experten haben herausgefunden:

„Diese Creme hinterlässt bei einer Menge von 15 Gramm und bereits bei einmaliger Anwendung auf der Haut eine Wirkstoffmenge, die bis zu 17.500 Mal größer ist, als jene, die PAN Italia und der Dachverband im Gras der Südtiroler Kinderspielplätze gefunden haben.“

Hinzu kommt, dass Permethrin, wenn es auf der Haut aufgetragen wird, stark absorbiert und bis zu zwei Wochen lang im Urin nachgewiesen werden kann. „Der Rest“, so Landesrat Schuler, „wird abgewaschen und landet wiederum im Umweltkreislauf.“

Bleibt als beklemmender Fakt: Die äußerst bedenklichen Wirkstoffe Malathion und Permethrin, die in der Landwirtschaft strikt verboten sind, werden in den Südtiroler Apotheken (LR Schuler: „Auch in jener von Mals“) rezeptfrei gegen Kopfläuse und Hautkrankheiten verkauft.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse entsteht ein fürwahr absurdes Szenenbild, das Arnold Schuler so skizziert:

„In der Landwirtschaft braucht man im Umgang mit diesen Wirkstoffen einen Befähigungsausweise für den Kauf dieser Mittel, eine Schutzkleidung zum Ausbringen, und nach der Behandlung darf das Grundstück 24 Stunden nicht mehr betreten werden.

In der Medizin bekomme ich diese Wirkstoffe rezeptfrei, sie werden direkt auf die Kopfhaut aufgetragen, und die Dosierung ist fünf bis 10 Mal höher als in der Landwirtschaft.“

Arnold Schuler legt Wert auf die Feststellung, dass die Südtiroler Apotheker nichts Unrechtes tun und die Mittel entsprechend geprüft sind.

Der Landesrat:

„Unverständlich ist, warum der Zeigefinger immer nur gegen die böse Landwirtschaft gerichtet wird. In der Landwirtschaft sind bedenkliche Wirkstoffe wie Malathion längst verboten, während sie in Medikamenten zugelassen sind.

Mit anderen Worten: Die Landwirtschaft, wo viel geringere Dosen dieser Mittel ausgebracht wurden, wird verteufelt, auf der anderen Seite ist alles in Ordnung.

Man muss auch dazusagen, dass viele Apotheker ihre Kunden auch auf die indizierten Wirkstoffe aufmerksam machen.“

Arnold Schuler hat den Malser Apotheker im Nachhinein gefragt, wie er denn dazu komme, ein Mittel, das ähnlich wie Glyphosat einen mutmaßlich krebserregenden Wirkstoff enthält, zu verkaufen, ohne den Kunden – also seinen Lockvogel – über die Risiken aufzuklären oder ihm eine alternatives Medikament anzubieten.

Johannes Fragner Unterpertinger antwortete dem Landesrat, er habe „eh nur eine Packung verkauft“.

Arnold Schuler ist empört.

Der Malser Apotheker habe, so der Landesrat, „ohne mit der Wimper zu zucken“ Geld für ein Produkt mit einem Wirkstoff kassiert, der auch in Alexander Schiebels Buch über das „Wunder von Mals“ auf der schwarzen Liste steht.

Für den Landesrat ist dies der „Gipfel der Scheinheiligkeit“.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (24)

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  • atheo

    Vollkommen richtig. Aber wo sind die grundlegenden hygienischen Maßnahmen der Landesregierung, um die dauernd zunehmende Läuseplage in der Schule einzudämmen? Keine Kontrollen, keine Aufklärung,…

  • kritiker

    Es gibt ein absolut biologisches Mittel gegen die Kopfläuse : Haare abrasieren! Machen aber nicht alle mit.
    Bei der Krätze ist es schwieriger, da die Milben in der Haut Gänge anlegen, der Juckreiz fast unerträglich ist
    und man dann bereit ist fast jedes Mittel zu nehmen.

  • esmeralda

    Diese Läuse müssen angezeigt werden, sie schädigen den Ruf von Südtirols Schulen. Das ist ja unerhört!

  • esmeralda

    Gibt es Pläne, das krebsverursachende Kopflausmittel flächendeckend in den Schulen auf die Köpfe der Schüler zu sprühen? Wenn ja, ist das natürlich ein Skandal und muss unbedingt unterbunden werden.

  • george

    Schuler ist hier noch scheinheiliger als die Apotheker (denn nicht nur Herr Fragner Unterpertinger wird dieses Mittel in der Apotheke führen). Sie Verkaufen das Läusemittel ja nur, wenn es verlangt wird, Schuler hätte aber die Möglichkeit als zuständiger Landesrat mit der Landesrtegierung eine Initiative zu starten, die den Verkauf dieses Mittels verbietet, zumindestens aber längst schon Maßnahmen zur Läuse- und Kretzevorbeugung in den Schulen, Familien usw. zu erlassen, die schonender und wirkungsvoller greifen, als weiterhin solche krebserregenden Mittel zum Verkauf zuzulassen. Wieso hat erdiese Initiative bzw. diese Maßnahme auf politischer Eben nicht längst schon initiert bzw. veranlasst und greift stattdessen einzelne Apotheker namentlich an, die ihm persönlich aufgrund bestimmter Aufklärungen nicht geheuer sind? Und Herr Oberhofer von der Tageszeitung spielt dieses miese Spiel mit.

  • guyfawkes

    Wie schon von jeronimo bemerkt handelt es sich um eine peinliche und kindische Aktion des LR Schulers. Ausserdem dürfte es kaum in den Aufgabenbereich des Landesrates fallen irgendwelche fadenscheidige völlig sinnfreie „interne Gutachten“ in Auftrag zu geben und die Zeit der Bediensteten mit solchen Aufgaben zu „verplempern“.
    Es werden Sachverhalte verglichen die miteinander in keinerlei Zusammenhang stehen.

    Medikament gegen Kopfläuse:
    – lokal angewendet zur Bekämpfung eines akuten Problems
    – zeitlich begrenzte Anwendung
    Verwendung als Pflanzenschutzmittel_
    – wird großflächig ausgebracht; Probleme mit Rückstände auf Lebensmittel, Abdrift usw…

    Dem Umgang des Autors Oberhofer mit dem Thema ist wieder einmal alles Andere als sachlich: „Untersuchung bringt Schockierendes zutage..“, „Dieses Gutachten ist explosiv!“, „Brisant“.

    Abschliessend würde mich interessieren zu welchem Zweck der Landesrat einen „Lockvogel“ (!!!!) in die Apotheke in Mals geschickt hat? Dass das Mittel rezeptfrei erhältlich ist wusste er ja wohl schon vorher. Wozu also? Unterste Schublade Herr Schuler.

  • esmeralda

    Chapeau Guyfawkes! Großartig recherchiert und brillant kombiniert. Aber geben Sie zu, ohne die Hilfe von verdeckten Ermittlern und eingeschleusten Informanten wären diese Resultate nicht möglich gewesen. Der Fall erscheint nun wahrlich in einem neuen Licht! Mal sehen wie der Secret Service der Landwirtschaftsabteilung darauf reagiert.

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