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Die hausgemachte Verunsicherung

Markus Falk

Der Brunecker Biostatistiker Markus Falk plädiert in einem Gastkommentar für eine Versachlichung der Impf-Debatte. Dem Thema Nebenwirkungen müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Und: Man müsse weg vom Zwang – und hin zur Vernunft.

von Markus Falk

„Impfungen sind eine der größten Errungenschaften der Medizin“, sagen die einen, wohingegen die anderen meinen „das Gift in Impfungen führe zu Autismus“. „Wer nicht impft gefährdet sein Kind und andere Mitmenschen“, ist dann meist das Gegenargument.

Über Impfungen wird viel diskutiert und die Kluft zwischen Befürwortern und Gegner wurde durch das Impfdekret nur noch größer. Wer hat also Recht? Lässt sich hier eine eindeutige Antwort finden, denn 30% der Südtiroler sind Impfungen gegenüber skeptisch eingestellt.

Ich kann vorausschicken, dass beide Seiten in einem Punkt irren. Eine wissenschaftliche Studie dient der Wahrheitsfindung nur insofern, als dass sie zeigen kann, was falsch ist. Mehr kann man daraus nicht ableiten. Es ist schlussendlich die Summe an wissenschaftlichen Erkenntnissen die uns die Wahrheit eingrenzen lässt.

Wenn also eine Studie den Zusammenhang zwischen MMR-Impfungen und Autismus nahelegt, dann besagt dies nur, dass die Annahme, dass es keinen geben kann, falsch ist. Erst wenn zusätzliche medizinische Erkenntnisse vorliegen die zeigen wie der mögliche Zusammenhang aussieht, kommen wir der Wahrheit schon näher. Umgekehrt gilt Gleiches. Wenn eine Studie keinen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus findet, dann hat sie nichts widerlegt und dies besagt dann nur, dass entweder noch zu wenig Daten zur Verfügung stehen, da das Ereignis sehr selten ist oder, dass man tatsächlich nichts nachweisen kann. Bis zum endgültigen Nachweis sind beide Annahmen weder wahr noch falsch.

Die Wirksamkeit von Impfungen ist durch viele klinisch kontrollierte und randomisierte Studien belegt und es besteht Einigkeit hinsichtlich der erzielten Ergebnisse. Dies entspricht dem Evidenzgrad 1 und gilt somit als gesichert. Im Umkehrschluss bedeutet dies dann, dass bei Nicht-Impfen Erkrankungen wieder häufiger werden. Bei Nebenwirkungen hingegen, und hier liegt mein Fokus auf Wirkungen die das Leben des Kindes dauerhaft beeinträchtigen können (Impfschäden), erreichen wir nur den Evidenzgrad 3, d.h. die Datenlage ist unzureichend und es bestehen Widersprüche, sodass gesicherte Aussagen noch nicht getroffen werden können.

Hierfür gibt es zwei Gründe. Impfschäden sind sehr selten, die Datenqualität der Meldungen ist oft mangelhaft, und deren Vollständigkeit kann bezweifelt werden. Zweitens sind klinische Studien auf die Wirksamkeit ausgelegt und können deshalb nur bedingt über Impfschäden etwas Aussagen (niedrige Fallzahl, das Fehlen einer echten Placebogruppe). Hier liegt also auch ein methodisches Problem vor.

Impfungen haben zu einer deutlichen Verringerung von Infektionskrankheiten wie Poliomyelitis, Diphtherie, Tetanus oder Masern beigetragen und die Gefahren dieser Erkrankungen sind weitestgehend gebannt. Das Erkrankungsrisiko ist somit gering, auch für die nicht Geimpften. Dafür rücken nun aber die Nebenwirkungen vermehrt in den Vordergrund.

Wieso soll man als Gesunder eine schwere Nebenwirkung riskieren, wenn das Erkrankungsrisiko gering ist und wir über diese Nebenwirkungen zum Teil nur ungesicherte Erkenntnisse haben?

Viele Eltern verunsichert dies und manche haben große Angst, dass dem eigenen Kind etwas passieren könnte, denn das Risiko eines Impfschadens wird kaum thematisiert und ist somit für viele nicht einschätzbar. „Selbst die nachweislich besten Maßnahmen müssen fortwährend durch Forschung auf ihre Sicherheit, Effektivität, Effizienz, Verfügbarkeit und Qualität geprüft werden.“, heißt es in der Deklaration von Helsinki, einer Wertebasis für ethische Grundsätze in der medizinischen Forschung am Menschen. Aus diesem Grundsatz folgt zwangsläufig die Verpflichtung Nebenwirkungen ernst zu nehmen.

Eltern wissen, dass eine Epidemiologische-Studie die nichts findet, noch keine Entwarnung darstellt, da solche Studien schon vom Ansatz her fehlerbehaftet sein können. Deren wissenschaftliche Evidenz ist gering (Kohorten Studie Grad 3, Fall-Kontroll Studie Grad 4). Zudem werden Impfschäden meist von jenen Einrichtungen bewertet, die über Impfungen wachen (AIFA), und diese sind somit nicht ganz ohne Vorbehalt (Evidenzgrad von Expertenmeinungen, Kommissionen Grad 4-5).

Einzelfälle, die beide Seiten gern medial verwenden, haben den geringsten Evidenzgrad (Grad 5) und besagen somit gar nichts, außer dass etwas vorgefallen ist.

Gesicherte Aussagen zu Impfschäden beim Menschen sind Mangelware, bei Tieren wissen wir hingegen wesentlich mehr.

Bereits bei der Zulassung eines Tierimpfstoffes wird die Impfgruppe mit einer echten Placebogruppe und einer Adjuvans-Placebogruppe verglichen. Aus diesen Studien wurden folgende Erkenntnisse und Grundsätze abgeleitet. Impfschäden treten auf, sind aber sehr selten und man hat folgende Vorsichtsprinzipien abgeleitet. Impfstoffe mit wenig Adjuvantien (Impfverstärker) sind vorzuziehen, die Anzahl der Impfungen ist möglichst gering zu halten, bei Auffrischungen sind vorher die Titer zu bestimmen und nur gesunde Tiere sollten möglichst spät geimpft werden.

Auch wenn ein kausaler Zusammenhang bei bestimmten Impfschäden am Tier zunächst unwahrscheinlich erscheint, schließt man ihn dort a-priori nicht aus, da bei Nutztieren auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen und es wird in gezielten Studien nach der Ursache geforscht.

Placebokontrollierte Studien (Grad 2) sind beim Menschen hingegen aus ethischen Gründen nur bedingt umsetzbar (ein Nicht-Geimpfter könnte erkranken und Schaden erleiden). Es mag auch sein, dass man früher, als Infektionskrankheiten noch für eine große Anzahl an Todesfällen und Komplikationen verantwortlich waren, über mögliche Risiken gerne hinwegsah. Wir haben nun aber einen Punkt erreicht, bei dem dieses Argument nicht mehr zieht. In einem der größten Reviews zur MMR-Impfung seitens der Cochran Kollaboration wurde abschließend festgestellt, dass die Impfung grundsätzlich sicher ist, aber Studiendesign und Daten hinsichtlich Impfschäden wie auch die diesbezügliche Daten der Impfvigilanz größtenteils unzureichend sind, um eine objektive Beurteilung zu ermöglichen.

Grundsätzlich muss man bei Impfschäden zwei Fälle unterscheiden. Ein Schaden kann durch ein fehlerhaftes Produkt oder durch falsche Anwendung entstehen. In diesem Fall könnte man von Zufall sprechen, da jeder betroffen sein könnte. Bei Schäden durch die Impfung selbst geht man aber mittlerweile von genetischen Faktoren aus, die diese bedingen könnten. Hier kann man dann nicht mehr von Zufall sprechen, denn es trifft nur jene mit einer entsprechenden Veranlagung, und hier hat dann die Impfpflicht auch ihre Grenzen.

Nur durch gezielte Forschung können wir hier mehr Einblicke gewinnen, und ich muss leider feststellen, dass dieser Bereich kaum gefördert und finanziell unterstützt wird.

„Wie kann ich für mein Kind oder mich selbst die beste Entscheidung treffen, wenn Informationen und Risiken kaum beurteilbar sind?“, fragen sich viele Eltern.

An den Masern kann man gut erkennen wie Eltern denken. In den letzten 20 Jahren erkrankten in Südtirol ca. 4.270 Kinder (0-14 Jahre) an Masern. Das sind im Schnitt gerade mal 9 auf 1.000 ungeimpfte Kinder. Lag der Anteil der Kinder bei den Masernerkrankten 1997 noch bei ca. 90%, so sind es 2015 nur mehr 55%. D.h. nur die Hälfte der Masern ist mittlerweile Kindern geschuldet und viele Eltern fragen sich, weshalb man nicht auch die Erwachsenen impft? Zudem zirkulieren die Masern in Südtirol kaum endemisch, d.h. wir holen uns die Masern meist von auswärts.

Aus diesem Grund hören Eltern kaum mehr etwas von einer ernsten Masernerkrankung bei Kindern, da selbst bei geringer Impfrate das Ansteckungsrisiko gering ist.

Die subjektive Impfangst lässt sich auch mathematisch begründen. Für Südtirol sind über einen Zeitraum von 20 Jahren maximal 3 Maserntodesfälle bei Ungeimpften zu erwarten. Durch die Masernimpfung selbst sind aber ebenfalls 3 Todesfälle möglich. Wenn Kosten und Nutzen einer Impfung nicht mehr objektiv beurteilt werden können, dann besagt das Nash-Gleichgewicht (Thema im Film „A Beautiful Mind“), dass je länger gegen eine Erkrankung geimpft wird, desto geringer die Impfbereitschaft und die notwendigen Impfraten zur Ausrottung einer Erkrankung können nicht mehr erreicht werden.

Ohne Dialog wird also alles noch komplizierter werden, und an dieser Stelle gilt es anzusetzen, denn die Verunsicherung ist hausgemacht. Das Unterdrücken von Kritik, der Maulkorb für Ärzte, das Ausüben von Zwängen oder das Einreden eines schlechten Gewissens im Falle des Nicht-Impfens sind für einen Dialog absolut nicht förderlich und führen zu noch mehr Skepsis.

Eine Impfpflicht bedingt auch Verantwortung bei dem der diese Pflicht einführt. D.h. sämtliche Impfungen sind aufzuzeichnen und sämtliche Vorfälle, auch die Negativmeldungen müssen festgehalten werden. Vermeintliche Schäden sind unbürokratisch zu handhaben und zu entschädigen. D.h. das Impfschadensgesetz ist konsequent anzuwenden und hier hat der Europäische Gerichtshof erst kürzlich aufgezeigt wie hierbei vorzugehen ist.

Ein Großteil der Kinder profitiert von der Impfung und Eltern ist dieser Schutz viel wert. Jeder der will kann sich impfen lassen und soll sogar, wir dürfen aber dabei mögliche Risiken nicht einfach totschweigen oder lapidar darauf hinweisen, dass jedes Arzneimittel eine Nebenwirkung haben kann. Wir müssen aber auch klar vor Augen führen, dass bei weiterer Abnahme der Impfraten das Erkrankungsrisiko wieder stark ansteigen wird und dann Schädigungen wie etwa durch Masern wieder zu Buche schlagen.

Dies gilt es absolut zu vermeiden und aus diesem Grund ist ein Umdenken dringend angesagt. Wir müssen dem Thema Nebenwirkungen mehr Aufmerksamkeit schenken, offener werden, weg vom Zwang hin zur Vernunft. Die Risiken und Vorteile einer Impfung sind objektiv darzustellen, die Impfstrategie klar zu begründen und Kinder- und Hausärzte wären hier die richtigen Ansprechpartner für Eltern. Das Impfgespräch soll wieder ein echtes Gespräch werden, mit guter Vorbereitung und Feingefühl in dem weder verniedlicht, noch übertrieben wird, sondern es muss sachlich bleiben und unsere Verantwortung im Sinne Aller klar aufzuzeigen, sodass dies auch jeder wahrnehmen kann.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (13)

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  • florianegger

    ganz Italien diskuttiert über das neue Gesetz, wonach auch Mittelschulkinder von den Eltern bzw. Großeltern von der Schule abgeholt werden müssen. Und hier regt man sich wochenlang wg der Pfichtimpfungen auf? Wo werden mehr Familien betroffen sein?

  • guyfawkes

    Alles schön und gut, aber 90% der Impfgegner sind für wissenschaftlich fundierte Argumente nicht erreichbar weil sie blind ihren Verschwörungstheorien glauben (wollen).

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