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„Der Zug ist abgefahren“

Der Wiener Neurobiologe Bernd Hufnagl ist gegen ein Handy-Verbot für Kinder. Er fordert ein Schulfach Medienkompetenz – und er rät den Schulen, Störsender einzubauen.

TAGESZEITUNG Online: Herr Hufnagl, der tägliche Handy-Konsum kostet Zeit. Den Menschen fehlt daher die Zeit, ein gutes Buch zu lesen oder eine Zeitung. Dieser Stress, sich ständig in den sozialen Netzwerken zu informieren, zahlt sich – was die Qualität der Information angeht – oft gar nicht aus. Viele Menschen haben das Gefühl, gut und umfassend informiert zu sein, das stimmt aber nicht immer, oder?

Bernd Hufnagl: Das ist in der Tat Riesenproblem! Wenn wir nie Ruhe geben, werden wir oberflächlich. Und in dieser Oberflächlichkeit, in der wir heute leben, glauben viele Menschen einfach jeden Blödsinn! Postfaktisches Zeitalter, nennt man das.

Handy und Kinder: Ist es sinnvoll, den Kindern Handys ganz zu verbieten, oder gibt es eine Art gesunden Umgang mit dem Handy für Kinder?

Auf keinen Fall verbieten! Denn alles, was wir verbieten, wird noch attraktiver. Und generell verbieten, würde für unsere Kinder bedeuten, sie sozial auch auszuschließen. Meine Tochter ist 14. Wenn wir ihr das Handy zu 100 Prozent wegnehmen würden, wäre sie isoliert, ausgeschlossen aus ihrem Klassenverband, weil sie kommuniziert – gefühlt – zu 80 Prozent digital. Wichtig wäre, und das wäre ein Lösungsansatz, der auch gut funktioniert: Sich mit den Kindern gemeinsam dafür interessieren, was die Kinder machen, Medienkompetenz zu erwerben. Das gehört dringend ins Schulsystem integriert. Ich predige dies seit Jahren. Wir brauchen medienkompetente Kinder, die nicht jeden Müll glauben, den sie irgendwo googeln. Also: Nicht verbieten, sondern Kompetenz lernen.

Man beobachtet häufig, wie Mütter und/oder Väter ihre Kinder im Restaurant, am Strand oder auch zu Hause mit dem Handy oder dem Tablet ruhigstellen. Warum funktioniert dies so perfekt?

Wegen dem Suchtcharakter! Genau deswegen! Das ist das Entertainment. Wenn es das Tablet zu unserer Zeit gegeben hätte, hätten wir das auch getan. Wenn wir das Belohnungssystem ansprechen, dann tun wir das. Es gibt wahnwitzige Experimente: Wenn man Ratten einen Draht in dieses Belohnungszentrum implantiert und ihnen einen Knopf gibt, den sie mit der Schnauze bedienen können – die kommen einmal drauf, was für ein Lustgefühl das bewirkt, dann bringen die sich um. Sie drücken so oft auf den Knopf, bis sie tot sind! Man hat dies auch mit Primaten, also mit Menschenaffen, gemacht. Da passierte genau dasselbe. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, wo es kein Limit gibt. Es gibt scheinbar endlos Ressourcen für alles.

Für Kinder ist der Handy-Gebrauch gefährlich?

Ja. Am Ende eines Vortrages ist ein verzweifelter Zuhörer zu mir gekommen und wollte einen Tipp haben, was er mit seiner Tochter, die 15 Jahre alt ist, machen soll. Dann habe ich gesagt: Der Zug ist abgefahren! Nicht nur wegen des sozialen Ausgeschlossen-Werdens. Es ist auch die Vorbildwirkung der Eltern. Die meisten Eltern übersehen eines völlig: dass sie ja auch ständig herumwischen. Das Kind hat das schon längst gesehen.

Wie viel Minuten Tablet oder Handy sind kinderverträglich?

Ich tue mich mit der Quantifizierung in Minuten schwer, das hängt auch vom Kind ab. Das hängt auch davon ab, was Kinder sonst tun. Bei meiner Tochter bin ich entspannt, weil sie ein Musikgymnasium besucht. Sie spielt jeden Tag Musik. Wenn man ein Hobby oder andere Interessen hat, das mit Konzentration auf eine Sache zu tun hat, wie beispielsweise in einem Verein Fußball spielen, dann würde ich mir weniger Sorgen machen.

Und bei Kleinkindern?

Ich hatte eine Teilnehmerin in einem Management-Seminar, die hat mir folgende Geschichte erzählt. Weil sie keinen Internetempfang hat, hat sie ihrem vierjährigen Enkelkind die Bauklötze hingestellt und mit dem Kind gemeinsam etwas gebaut. Heute, zwei Jahre später, ist der Internetempfang besser, aber das Enkelkind will lieber mit der Oma Bauklötze als Handy spielen. Das heißt: Es ist auch viel Gewohnheit und Bequemlichkeit dabei. Wenn wir selbst uns mit den Kindern beschäftigen und ihnen zeigen, dass dies auch eine Lust bedeutet und Spaß machen kann, dann werden sie das auch tun.

Wie sollen sich Lehrer verhalten, wenn die Schüler unter der Schulbank whatsappen?

Das ist das, was mich an der Schule meiner Tochter ärgert: Die verbieten die Handys während des Unterrichts nicht! Ich habe Ihnen gesagt, ich bin gegen Verbote. Aber in der Schule geht das nicht. Es kann nicht sein, dass die Schüler, während der Lehrer spricht, die Aufmerksamkeit verlieren und irgendwo herumdrücken. Da bin ich radikal! Ich würde dasselbe machen, was man in Konzertsälen getan hat: Man hat Störsender eingebaut. So ein Störsender kostet zehn Euro – und es wäre kein Empfang mehr da. Ich würde in jeder Schule einen Störsender montieren.

Interview: Artur Oberhofer

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