Du befindest dich hier: Home » News » „Stunde der Wahrheit“

„Stunde der Wahrheit“

Der STF-Politiker Sven Knoll glaubt, dass die Katalanen sich nicht mehr aufhalten lassen. Und er erklärt: Katalonien könne nur aus der EU fliegen, wenn Spanien den unabhängigen Staat anerkenne.

TAGESZEITUNG Online: Herr Knoll, wie wird es in Katalonien weitergehen?

Sven Knoll: Wir haben mit unseren Verbündeten in Katalonien telefoniert. Meine Einschätzung ist, dass sich die Katalanen nicht mehr aufhalten lassen. Man ist jetzt an einem Punkt angelangt, wo eine Entscheidung her muss! Und es ist auch die Stunde der Wahrheit für die EU angebrochen.

Wie meinen Sie das?

Wegschauen funktioniert nicht mehr. Wenn die Unabhängigkeitserklärung kommt, muss sich die EU damit auseinandersetzen.

Die EU hat bereits verlauten lassen, sie werde die Verfassung eines Mitgliedsstaates schützen …

Das mag schon sein, aber das Recht auf Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, es steht über den nationalen Verfassungen. Stellen Sie sich vor, ein EU-Mitgliedsstaat würde in der Verfassung festschreiben, dass Frauen nicht zur Wahl dürfen. Auch in dem Fall würde niemand sagen: Das müssen wir akzeptieren, weil das steht so in der Verfassung. Noch einmal: Ein Grundrecht steht über einer nationalen Verfassung.

Dennoch sagen Völkerrechtsexperten, dass eine innere Sezession nicht rechtens sei.

Der springende Punkt ist die Sache mit der Unteilbarkeit des Staates. Diese Klauseln in der Verfassung stammen aus der Nachkriegsära. Gemeint war damit, dass nicht ein anderer Staat sich einen Teil herausreißen kann. Mit der Unteilbarkeit des Staates ist aber nicht gemeint, dass sich von innen heraus nicht etwas Neues bilden kann. Es gibt kein Recht, einen Teil des Volkes einzusperren. Die EU kann nicht sagen, mir ist wurscht, was die Katalanen wollen.

Die EU hat außerdem angekündigt, dass sich Katalonien mit einer Unabhängigkeitserklärung außerhalb die EU stellen würde.

(lacht) Das gibt es einen Pferdefuß! Dieses Spiel funktioniert nur, wenn Spanien die Unabhängigkeit anerkennt. Die Katalanen können nicht aus der EU hinausgeschmissen werden, solange Spanien den Staat nicht anerkennt. Der Druck auf Spanien wird also wachsen.

Kann es sein, dass Sie die Macht der EU und auch des spanischen Zentralstaates etwas unterschätzen? Die EU kann, wenn sie keinen Präzedenzfall schaffen will, die Unabhängigkeit Kataloniens nie akzeptieren …

Spanien hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder man akzeptiert den Willen des katalanischen Volkes oder man ergreift militärischen Besitz über Katalonien. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die EU zusieht, wie ein Millionenvolk niedergeprügelt wird. In dem Fall würde die EU jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

Die EU würde sich selbst abschaffen, wenn sie – um es salopp zu sagen – Milch geben würde …

Die EU misst mit zweierlei Maß, dass wissen wir. Denken Sie nur an die Sache der EU mit Österreich, als die ÖVP die Freiheitlichen in die Regierung aufnahm. Da hat es Sanktionen gegeben, aber wenn ein Mitgliedsstaat alte Menschen niederknüppeln lässt, sagt niemand etwas.

Aber stellen Sie sich vor, was passierte, wenn sich plötzlich Bayern von Deutschland abspalten möchte …

Ich glaube, wir haben in der EU ein Generationenproblem. In der EU herrscht eine Politikergeneration, die von der Einheit Europas spricht, aber mit Staatsgrenzen aufgewachsen ist. Bayern und Katalonien sind EU-freundlich. Die Katalanen wollen ein eigenes Zimmer, aber im Haus bleiben. Das ist die große politische Herausforderung für die EU. Die EU muss umdenken. Auch die Auflösung der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht das Volk Fakten geschaffen hätte. Die Politiker reagiert immer nur auf Fakten.

Noch einmal: Was, glauben Sie, würde Angela Merkel tun, wenn Horst Seehofer die Unabhängigkeit Bayerns ausrufen wollte?

Es würde ein Diskussionsprozess beginnen, man würde die Gründe erörtern, warum die Bayern wegwollen. Und man würde darüber reden, was Deutschland den Bayern alternativ anbieten könnten. All das passiert in Spanien nicht, weil Spanien sich weigert, mit der katalanischen Regierung zu sprechen. Ein anderer Unterschied zu Ihrem Bayern-Beispiel ist auch noch der ethnische Aspekt: Die Katalanen fühlen sich nicht als Spanier.

Die Katalanen müssen eigentlich froh sein, dass Ministerpräsident Rajoy so brachial agiert?

Ja, er macht für die Unabhängigkeitsbefürworter alles richtig. Er liefert den Beweis, dass die Anliegen der Katalanen berechtigt sind. Jeder, der noch Zweifel hatte, sagt jetzt: So geht es nicht.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (28)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • andreas

    Wenn die Katalanen einseitg die Unabhängigkeit ausrufen, muss Spanien diese nicht anerkennen, damit sie aus der EU geworfen werden können, sie sind dann automatisch raus.
    Sobald dies geschieht, werden Spanien und Frankreich sofort die Grenzen für Menschen und Waren schließen. Es gäbe keine Handelsverträge und dementsprechend keine Rechssicherheit.

    Katalonien muss dann wie jedes andere Land Beitrittsgespräche führen und eine Aufnahme muss einstimmig sein. Jedes Land hat ein Vetorecht und Spanien, Frankreich und Italien werden gewiss Gebrauch davon machen.

    Dieses andauernde Gerede vom unterdrückten Volk ist Unsinn, da geht es rein um wirtschaftliche Interessen und wenn die Separatisten sich durchsetzen, hat sich das erledigt, da die Katalanen ihre wirtschaftliche Stärke verlieren, weil ihnen der 500 Millionen Konsumenten Markt EU wegbricht.

    Die Blauäugigkeit und Naivität Knolls ist mehr als fahrlässig, er möchte den Leuten vermitteln, dass es weitergeht wie bisher, nur besser. Das Gegenteil würde aber eintreten.

  • andreas69

    Bevor Sven Knoll solche Interviews gibt, täte er gut daran, vorher ein bisschen zu Googeln um sich in die Definitionen der Rechtsbegriffe, die er gebraucht, etwas besser anzuschauen. Er bringt nämlich sämtliche Begriffe des internationalen Rechts, des Grundrechts der Menschen und des Völkerrechts durcheinander. Wenn jemand davon nichts versteht klingt es plausibel was er daher redet, wenn sich jemand im Recht ein bisschen auskennt, sind seine Aussagen schlicht und einfach falsch. Oder er redet in der Sprache des einfachen Mannes oder er lässt solche Rechtsbegriffe von denen er nichts versteht einfach weg. Denn so führt er die Leute bei der Nase herum!

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen