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„Explosives Gemisch“

L Herbert Dorfmann

Der Europaparlamentarier Herbert Dorfmann macht beiden Seiten – sowohl Madrid als auch Barcelona – für die Eskalation in Katalonien verantwortlich. Und er fordert: Die EU dürfe das Thema nicht länger totschweigen.

Tageszeitung: Herr Dorfmann, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie am Sonntag die Bilder aus Katalonien gesehen haben?

Herbert Dorfmann: Ich muss ehrlich sagen, dass ich in Katalonien auf beiden Seiten nur Verlierer gesehen habe. Wenn man bedenkt, dass sich nur knapp 42 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung an dem Referendum beteiligt haben, dann ist das in Anbetracht der Wichtigkeit, die die katalanische Regierung dem Thema von oben herab versucht hat beizumessen, nicht massiv viel. Auf der anderen Seite war das Vorgehen der spanischen Regierung vollkommen überzogen und kontraproduktiv, weil sie nichts anderes gemacht hat, als viele Bürger weiter in die Hände der katalanischen Nationalisten zu treiben. Es war schockierend zu sehen, mit welcher Gewalt ein Mitgliedsstaat der EU gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen ist.

Es scheint so, als hätten sich die beiden Konfliktparteien in eine Sackgasse manövriert. Gibt es Ihrer Meinung nach noch einen Ausweg?

Wenn man Katalonien mit den Abstimmungen in Schottland, der Lombardei, in Venetien und im Belluno vergleicht, dann ist das eine völlig andere Geschichte. An und für sich ist es die Aufgabe der Politik, das zu tun, was ihnen die Gerichte sagen – und Madrid unternimmt deshalb alles, um die Einheit des Staates zu verteidigen. Die Schwarzmalerei, wonach in Madrid die Bösen und in Katalonien die Guten seien, ist völlig fehl am Platz. Denn so einfach ist das nicht. Auch die katalanische Regierung hat sich ziemlich daneben benommen. Sie hat den Konflikt so weit zugespitzt, dass es mittlerweile kaum mehr möglich scheint, einen Ausweg zu finden, bei dem keine politischen Köpfe rollen und die Lage nicht noch weiter eskaliert. Die ersten Signale, die ich aus Madrid vernommen habe, deuten darauf hin, dass die Zentralregierung nun das Gespräch mit Barcelona suchen will, um damit zu einer Deeskalation beizutragen. Diese Einsicht kommt ziemlich spät.

Glauben Sie, dass sich Barcelona mit Verhandlungen über einen Ausbau der Autonomie zufrieden gibt?

Die Situation in Spanien wird oft völlig falsch dargestellt. Es stimmt nicht, dass Spanien ein totaler Zentralstaat ist, in dem die Regionen keine Zuständigkeiten haben. Die Katalanen und die Basken haben vonseiten Madrids relativ weitreichende Kompetenzen erhalten. Das muss man zur Ehrenrettung Spaniens auch einmal festhalten. Andererseits ist Katalonien eine Region, die maßgeblich zur Finanzierung Spaniens beiträgt. Deshalb täte die Zentralregierung gut daran, diese Region halbwegs bei der Stange zu halten, auch deshalb, um keine neuen Konflikte entstehen zu lassen. Denn es ist bei weitem nicht so, dass in Katalonien nur Katalanen leben. Es gibt viele andere, die sich bislang zurückgehalten haben und still geblieben sind, weil sie davon ausgegangen sind, dass es zu diesem Referendum gar nicht kommen wird. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist am Sonntag daheim geblieben. Ich bezweifle, dass es ansonsten eine Mehrheit für die Unabhängigkeit gegeben hätte. Nun läuft man in Katalonien Gefahr, dass sich diese Menschen gegen die katalanischen Nationalisten zur Wehr setzen könnten. Die Region steuert auf eine echte Zerreißprobe zu.

Droht ein Bürgerkrieg?

Ich hoffe nicht und würde dieses Wort auch nicht in den Mund nimmt. Doch dieser innerkatalanische Konflikt wurde bisher immer ausgeklammert. Dabei ist das ein explosives Gemisch.

In den ersten Reaktionen aus dem Südtiroler Landtag wird vor allem die EU scharf attackiert, weil diese sich bislang völlig zurückgehalten hat. Ist die neutrale Position Brüssels noch länger tragbar?

Das Europaparlament hat entschieden, dass es eine Parlamentsdebatte über Katalonien geben soll. Ich bin dafür, auch wenn viele meiner Fraktionskollegen das anders sehen. Brüssel darf das Thema nicht länger totschweigen, sondern muss deeskalierend eingreifen. Die EU kann sich aber nicht auf die Seite der katalanischen Unabhängigkeits-Bewegung schlagen, weil sie damit dem Rechtsstaat Spanien, der die Urteile des obersten Gerichtshofs zu befolgen hat, ins Gesicht schlagen würde. Das heißt aber nicht, dass sie das harte Vorgehen der spanischen Regierung rechtfertigen darf.

Glauben Sie, dass sich die Stimmungslage in Südtirol, was eine mögliche Selbstbestimmung betrifft, nach dem Sonntag geändert haben könnte?

Das weiß ich nicht, und ich kann das auch nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass die Südtiroler deutlich gesehen haben, wohin nationalistisches Denken führen kann. Eine föderale Regelung ist allemal besser als das Kleinstaaterei-Denken. Katalonien war keine große Werbung für die Selbstbestimmung, sondern eher ein abschreckendes Beispiel.

Interview: Matthias Kofler

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (23)

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  • erich

    Das ist eine gute sachliche Aufklärung von Herrn Dorfmann. Unsere Nationalisten wollten mit ihrer Präsents vor Ort den Südtirolern das gelbe vom Ei verkaufen, sie möchten diese Gelegenheit nutzen für etwas zu hetzen wo sie selber nicht wissen wie und wo das enden kann.

  • andreas

    Die EU kann höchstens Vermittler sein, denn es handelt sich um eine innerstaatliche Angelegenheit; wo Spanien das Recht auf seiner Seite hat.
    Andererseits wäre es interessant zu sehen was passiert, wenn eine Region sich mit allen Konsequenzen trennt.
    Die Separatisten aller Länder würden dumm dreinschauen, welche negativen Auswirkungen das mit sich zieht.

  • tiroler

    Herr Dorfmann, mit Verlaub,sie müssen den Sachverhalt unter einem anderen Blickwinkel sehen:
    1.die Wahlbeteiligung lag bei nur bei 42%, aber warum: weil die spanische Polizei mit an NS-Zeiten erinnender, brutaler Gewalt gegen friedliche Menschen vorgegangen ist, andernfalls hätte sie locker 80% betragen.
    2.warum hat sich die Situation zugespitzt? Sie erwähnen nicht, dass ab 2010 den Katalanen immer mehr Zuständigkeiten der Autonomie genommen wurden
    3.Sie zitiern die Gerichte, das ist doch zynisch! Es liegt doch auf der Hand, dass das Höchstgericht eines national(istischen) Staates jede Sezessionsabsicht ausschlägt.
    4.Auch ihre Aussage, Madrid suche das Gespräch ist falsch. Die Katalanen suchen das Gespräch(05.Okt) aber Rayoi weigert sich.
    5.wie schon gesagt wurden den Katalanen innerhalb ihrer Autonomie von Madrid wieder Zuständigkeiten genommen, vor allem die Steuer- und Finanzautonomie
    6. Ich stelle fest, dass die allermeisten EU Leute auf einem Auge blind sind und der Juncker-Merkel.Asselborn folgen und damit jedem, der eine eigene Meinung hat, in die rechte Ecke stellen. Nach diesem Interview zweifle diesbezüglich auch ihre Position an.

    Ein Volk, dass mit großer Mehrheit über die Selbstbestimmung abstimmt, solll, darf und Muss die weiteren Schritte selbst bestimmen. Das hat mit einseitigen Verfassungsrichtlinien und Gerichtsurteilen rein gar nichts zu tun.

    Catalunya wird seinen weg gehen, nachdem es jahrelang von Madrid verarscht wurde

  • guyfawkes

    Gratuliere: schon im zweiten Satz einen Nazi-Vergleich untergebracht. Das macht den Rest des Textes gleich um einiges glaubwürdiger.

  • andreas

    Die spanische Liga hat klar gesagt, dass sie den FC Barcelona sofort rauswirft.
    Schon dieser Umstand bringt viele Katalanen zum Umdenken bzw. würden sie sich bewusst, was sie da für einen Unsinn unterstützt haben.

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