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„Was hat die Schule übersehen?“

Zwei Schüler der Hotelfachschule Bruneck haben sich innerhalb kurzer Zeit das Leben genommen. Die pädagogische Leiterin Marlene Kranebitter spricht darüber, wie sinnvolle Suizidprävention aussieht – und warum Suizid nicht auf Depression reduziert werden darf.

Tageszeitung: Frau Kranebitter, an der Hotelfachschule in Bruneck haben sich innerhalb recht kurzer Zeit zwei Schüler das Leben genommen haben. Wie hat die Schulgemeinschaft auf die Nachricht der Suizide reagiert?

Marlene Kranebitter: Die beiden Suizide waren für die gesamte Schulgemeinschaft ein Schock, der zweite noch mehr als der erste. Es ging nach diesen traurigen Nachrichten vor allem um Krisenintervention. Nach den Suiziden im Dezember 2015 und im April 2017 war es eine Notwendigkeit, das Thema „Suizid“ zu behandeln. Suizid ist ein sehr brisantes Thema für Schulen – die Dosierung ist maßgebend.

Inwiefern?

Die Auseinandersetzung mit Suizid ist eine sehr individuelle Angelegenheit, jede Klasse unterscheidet sich von den anderen und auch jeder Schüler geht anders damit um. Wir arbeiten immer noch mit den Klassen, in denen die beiden Männer waren. Wir achten darauf, welche Bedürfnisse die Schüler haben, ob und wie tief sie das Thema besprechen wollen. Es war und ist immer noch eine große Herausforderung, denn die Arbeit ist noch nicht fertig. Der zweite Schüler hat sich erst gegen Ende des letzten Schuljahres das Leben genommen und wir hatten alle Hände voll damit zu tun, aktive Krisenintervention zu betreiben. Denn es war für die Klasse sehr wichtig, das Schuljahr trotzdem positiv abzuschließen.

Wie könnte Prävention an Schulen aussehen?

Ich glaube, dass viele Gespräche im Kleinen sehr wichtig sind. Wir müssen einfach lernen hinzuhören und auf die Bedürfnisse des einzelnen Schüler achten, aber Schule alleine ist zu wenig – die gesamte Gesellschaft sollte mehr hinschauen und mehr Prävention sollte betrieben werden.

Ist schon etwas Konkretes als Suizidpräventionsmaßnahme geplant?

Die Schule hat wieder begonnen und wir müssen erst sehen, welche Bedürfnisse die Mitschüler der beiden Suizidopfer haben. Wir werden mehrere kleinere Projekte und ein größeres organisieren. Wir möchten ein sogenanntes „Festival für das Leben“ auf die Beine stellen.

Was denken Sie als pädagogische Leiterin über den Umgang mit Suizid?

Als Leiterin der Hotelfachschule Bruneck habe ich mich auch in der Pflicht gefühlt, mehr hinzuschauen und mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Was mich nach wie vor beschäftigt ist, dass ein großer Teil der Suizidopfer an Depression festgemacht wird. Es wird schon sein, dass viele Suizidopfer an Depression leiden und die Suizidgefahr bei Depression bedeutend größer ist. Aber wenn ich an unsere zwei Schüler in Bruneck denke, passt das nicht: Keiner der beiden jungen Männer litt an Depressionen. Wir dürfen bei der ganzen Geschichte nicht vergessen, dass viele Suizidopfer bis zum Tag, an dem sie beschlossen haben, dass sie nicht mehr weiterleben wollen, unauffällig sind. Suizid und Suizidprävention auf depressive Menschen zu reduzieren, ist zu wenig.

Welche Gedanken haben Sie nach dem Suizid der beiden jungen Männer beschäftigt?

Ich habe mich gefragt: Was haben wir als Schule nicht gesehen? Und was hat die Gesellschaft übersehen? Ich bin noch zu keinem Schluss gekommen. Wir haben darüber gesprochen, wo das Hinschauen seine Grenzen hat, denn für die Schüler ist es oft lästig und sie sagen, gewisse Dinge gehen Lehrpersonen nichts an. Ich habe meine Grenzen nun etwas weiter gesteckt, denn das Wohlergehen der Schüler geht uns sehr wohl etwas an. Andererseits sind die Klassenräte sehr groß und viele Fächer werden nur für ein paar Stunden in der Woche unterrichtet. Da fragen wir uns: Wer kann überhaupt auf die Schüler Acht geben? Eine Lehrperson, die nur zwei Stunden in einer Klasse verbringt und sehr viele Klassen hat, hat es sicherlich schwerer.

Was sagen die Eltern dazu?

Nach dem zweiten Suizid hat ein Vater eines Schülers angerufen und gemeint: „Das war schon der zweite Fall, die Schule sollte hinschauen.“ Die Eltern verlangen, dass weniger Druck auf die Schüler ausgeübt wird. Aber wenn die Schüler eine Klasse schaffen sollen, dann muss der Stoff sitzen, er muss überprüft und das Ergebnis benotet werden. Denn wenn wir die Noten nicht beweisen können, dann haben wir wieder ein Problem – das ist eine regelrechte Negativ-Spirale.

Was halten Sie von Suizidpräventionsmaßnahmen an Schulen?

Präventionsmaßnahmen an Schulen sind sehr wichtig, aber ein großer Kritikpunkt ist die fehlende Zeit dafür. Den Schulen wird sehr viel aufgebürdet: Suchtprävention, Gewaltprävention und Suizidprävention. Aber wer kann das zeitlich schaffen? Denn eine punktuelle Aktion ist zu wenig. Ich kann als Lehrperson ein Projekt planen, das drei Wochen dauert, aber was kann ich tun, nachdem das Projekt abgeschlossen ist? Die Aktionen und Projekte sind auf jeden Fall positiv, aber es ist eine große Herausforderung, an den Themen dran zu bleiben. Es ist eine Aufgabe von uns allen, hinzuschauen und darüber zu reden – ansonsten nutzen die Projekte nichts.

Interview: Silvia Santandrea

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (12)

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  • jennylein

    Wie kann man so ein wertloses Blabla zu einem so Thema veröffentlichen. „Ich bin ratlos“ wäre kürzer und ehrlicher gewesen.

    Ich kenne die Fälle nicht… aber generell ist Selbstmord fast immer auf Depression zurückzuführen. Unterschiedlich sind die Ursachen der Depression. Das kann mit zu viel Leistungsdruck, Drogen oder Alkohol usw. oder einer Kombination davon zu tun haben. Ein Fachmann erkennt meist recht schnell woran es lag wenn er einen Selbstmord analysiert.

    • andreas

      Weder kann ein Fachmann den genauen Grund eines Suizids nennen, wird auch keiner, er kann nur vermuten, noch sind es fast immer Depressionen, wenn dann psychische Störungen, wobei Depression eine davon ist.

      Mit deiner Begründung für Depressionen liegst auch nicht wirklich richtig.

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