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Ohnmächtige Schaffner

Ein Kontrolleur eines Südtiroler Nahverkehrsbetriebes bricht sein Schweigen: Er räumt mit dem Vorurteil auf, dass nur Einwanderer und Asylbewerber schwarzfahren. Und er verrät, dass Schaffner angewiesen werden, Touristen nicht zu strafen.

von Artur Oberhofer

Der Mann stellt nur eine Bedingung: „Ich bitte Sie, die Informationen sehr vertraulich und anonym zu behandeln, da meine Arbeitsstelle und auch die Gesundheit und das Leben meiner Familie davon abhängen. Die Situation ist wirklich schwierig!“

Ein Schaffner, der als Kontrollorgan bei einer großen Nahverkehrsgesellschaft in Südtirol beschäftigt ist, bricht nun sein Schweigen.

Im Gespräch mit der TAGESZEITUNG berichtet er, unter welch prekären Bedingungen die Schaffner in Südtirol arbeiten müssen. Und er räumt auch mit einem Vorurteil auf: Dass nämlich nur Einwanderer und Asylbewerber schwarzfahren. „Stimmt nicht“, so der Kontrolleur.

Die Quote der Schwarzfahrer habe in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen. „Unter den Ertappten sind auch immer mehr Einheimische und auch Touristen, nicht nur Einwanderer und Asylsuchende“, berichtet der Kontrolleur.

TAGESZEITUNG Online: Wie schwierig ist die Arbeit als Kontrolleur?

Kontrolleur: Die Situation ist sehr schwierig. Denn es kommt immer öfter zu verbalen und körperlichen Angriffen – auch von Seiten der Einheimischen. Das große Problem ist das in Italien geltende Recht und die daraus resultierenden Folgen.

Sie meinen damit?

Wenn wir einen Schwarzfahrer erwischen und ein Strafmandat ausstellen, geschieht es sehr oft, dass die Bestraften Rekurs beim Amt für Personennahverkehr einlegen, und dieses den Bestraften mit einer Entschuldigung für das Verhalten des Kontrollbeamten die Strafe zurückzahlt.

Im Ernst?

Ja. In vielen Fällen zahlen die Schwarzfahrer nicht einmal die Strafe, was dann für die Bestraften nicht einmal rechtliche Folgen hat.

Der Kontrolleur erzählt in der Folge vom „König“ unter den Südtiroler Schwarzfahrern. Der Mann habe inzwischen Strafbescheide von über 500 Euro angesammelt. Gegen diesen Schwarzfahrer hätten die Kontrolleure keine Handhabe.

Im Gegenteil: Der Mann lache den Kontrolleuren ins Gesicht.

TAGESZEITUNG Online: Gegen diesen Schwarzfahrer können Sie nichts ausrichten?

Nein, er fährt bis heute jeden Tag und unbehelligt ohne gültigen Fahrschein. Wie gesagt: Jeden Tag! Wenn wir ihn kontrollieren, lacht er nur – und nimmt den Strafzettel mit.

Sie könnten ja die Polizei rufen?

Wir Kontrolleure haben längst aufgehört, bei Konflikten mit Schwarzfahrern die Polizei oder die Carabinieri zu rufen.

Warum?

Falls sie wirklich kommen, was meistens nicht der Fall ist, da sie unterbesetzt sind oder kein Fahrzeug zur Verfügung haben, nehmen sie nur die Daten der Schwarzfahrer auf, und wir müssen sie dann wieder zusteigen lassen. Auch hat sich bei einigen Schwarzfahrern längst herumgesprochen, dass Polizei und Carabinieri vor allem in ländlichen Gebieten nach Bürozeiten arbeiten. In der Gemeinde, in der ich lebe und hauptsächlich arbeite, sind die Carabinieri nur von 8.00 Uhr bis 12.30 Uhr und von 14.00 Uhr bis 16.30 Uhr zu erreichen. Ruft man außerhalb dieser Zeiten an, bekommt man die Zentrale in Bozen zu sprechen, und der Weg von Bozen zum Einsatzort beträgt dann etwa eine halbe Stunde.

Sie als Kontrollpersonal dürfen die Schwarzfahrer nicht festhalten?

Nein, das dürfen wir nicht. Außerdem wissen wir nie, ob die Carabinieri auch wirklich kommen. Es kam auch schon vor, dass sie erst am nächsten Tag gekommen sind.

Sie fühlen sich alleingelassen?

Ja. Der Rechtsstaat Italien lässt uns allein. Wir haben keine Polizeigewalt und auch nicht die rechtliche Stellung eines Polizei- oder Carabinieri-Beamten. Sprich: Unsere rechtlichen Möglichkeiten sind sehr begrenzt. De facto können wir nur hoffen, dass der erwischte Schwarzfahrer freiwillig zahlt.

Die Gewerkschaften haben jüngst darüber geklagt, dass die Menschen keinen Respekt mehr vor Schaffnern hätten …

Das ist richtig, die Moralvorstellungen in der Gesellschaft haben sich verändert. Und auch die Politik macht es uns nicht leicht …

Wie meinen Sie das?

Nach einer mündlichen Anweisung des Assessorates sollen wir Touristen nicht bestrafen, da dies ein schlechtes Bild auf den Südtiroler Tourismus werfen könnte.

Man hat Angst vor negativen Kommentaren im Netz?

Richtig. Und es ist leider auch so, dass wir in den meisten Fällen im Falle von verbalen oder tätlichen Angriffen auch von den zahlenden Mitreisenden keine Unterstützung bekommen. Oft sind es die Zahlenden, die uns beschimpfen. Auch kam es schon des Öfteren zu Tätlichkeiten gegenüber den Familienmitgliedern der Kontrollorgane. Es ist also nicht so, dass wir das Schwarzfahren tolerieren oder nicht unsere Arbeit machen wollen. Wir werden allein gelassen, wir sind auf uns allein gestellt.

Deswegen sagen sich viele Kontrolleure: Warum soll ich den Helden spielen?

Eben: Warum den Helden spielen? Ich frage Sie: Würden Sie Ihre Gesundheit riskieren, wenn Sie genau wissen, dass dem Schwarzfahrer eh nichts passiert? Logischerweise regen sich die zahlenden Fahrgäste über diese Missstände auf, aber das ist nicht die Schuld der Gewerkschaften oder des Kontrollpersonals.

Die Ohnmacht der Kontrolleure?

Das ist der richtige Ausdruck. Wir sind ohne Macht, ohnmächtig. Und ich würde Sie gerne einladen, uns Kontrolleure mal zu begleiten. Sie würden dann nämlich auch sehen, dass das Aggressionspotenzial sogar bei den zahlenden Passagieren sehr hoch ist.

 

 

 

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