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Der Millionen-Künstler

Die Preise für Werke des Meraner Künstlers Rudolf Stingel klettern in astronomische Höhen. Bei der jüngsten Versteigerung des New Yorker Auktionshaus Christies zahlte ein unbekannter Käufer 9.6 Millionen Dollar für das Selbstporträt Untitled (After Sam) aus dem Jahr 2006.

von Heinrich Schwazer

38.000 Euro (46.360 Euro mit Auktionsgebühren) zahlte ein Käufer bei den diesjährigen Bozner Kunstauktionen für eine kleinformatige Papierarbeit des Meraner Künstlers Rudolf Stingel aus dem Jahr 1995/96. Im November des vergangenen Jahres war ein Leinwandarbeit aus dem Jahr 1992 für 149.000 Euro (181.780 Euro) über den Tisch der Bozner Kunstauktionen gegangen.

Viel Geld, aber Kleingeld wenn man es mit den astronomischen Summen vergleicht, die für Stingel mittlerweile in den großen Auktionshäusern der Welt hingeblättert werden. Millionen werden für seine Werke auf dem Versteigerungsmarkt, dem so genannten Secondary Market, schon seit Jahren bezahlt.

Doch jetzt hat der 1956 in Meran geborene, in New York lebende Künstler, eine Schallmauer durchbrochen.

Am 17. Mai des Jahres wurde beim New Yorker Auktionshaus Christie’s ein nach einer Fotografie von Sam Samore gemaltes Selbstporträt „Untitled (After Sam)“ aus dem Jahr 2006 für sagenhafte 9,6 Millionen Dollar versteigert. Die Maiwoche war für Stingel eine Testwoche. Wenige Tage davor vermerkte die Fachzeitschrift „artmarket-Monitor“: „Next week is going to be a big test of the market for Rudolf Stingel’s work“ (Die kommende Woche ist für Stingel-Werke eine wichtige Testwoche.“ .

Christie’s hatte gleich 5 Werke von Stingel im Angebot, die zusammengenommen auf mehr 15 Millionen Dollar veranschlagt waren. Das Auktionshaus Sotheby’s bot zeitgleich 4 Werke zu einem Wert von 5,4 Millionen Dollar an und Phillips hatte ein 2 Millionen Dollar Werk im Angebot.

Astronomische Summen, mit denen Stingel auf dem hitzigen Auktionsmarkt endgültig im hochpreisigen Kunstmarkt der sogenannten „ Blue Chips“ angelangt ist. Als „Blue Chips“ bezeichnet der Kunstmarkt die zehn bis zwanzig weltweit meist verkauften Künstler, weil sie für Sammler wie für Investoren gleichermaßen attraktiv sind.

Das großformatige Selbstporträt entstammt einer Serie von fotorealistischen Ölbildern, die Stingel seit 2006 malt. 2005 hatte er mit einem nach einer Fotografie von Robert Mapplethorpe gemalten Porträt der Galeristin Paula Cooper erstmals die reine Abstraktion hinter sich gelassen. I

n einer 180 Grad Wendung begann er realistische Selbstporträts zu malen, kehrt zum individuellen Selbstausdruck zurück: „Ich bin ein klassischer Maler, habe aber lange Zeit nichts von mir mitgeteilt. Dann kam mit den Selbstporträts das Gegenteil.“ Pate stand dabei Gerhard Richter: „Warum ist Gerhard Richter so populär? Weil er den Leuten mit seinen realistischen Bildern zeigt, dass er nicht nur abstrakt, sondern richtig malen kann.“

Wie wird man zum Künstler, dessen Bilder auf Auktionen Millionen erzielen? 2012 hatten diese Frage zahllose Südtiroler Künstler auf den Lippen, als Stingel im Rahmen der artiparlando-Vortragsreihe im Museion Rede und Antwort stand. Gefragt hat niemand.

Als 30jähriger war er nach 7 Jahren in Mailand 1987 nach New York umgezogen. Versuchsweise, wie er sagt: „Ich wollte es probieren. Ich konnte nicht Englisch sprechen, aber ich habe sofort gemerkt: Das ist der Ort, wo ich hin will.“ Freunde und Bekannte nahmen ihn zu Vernissagen mit. Die New Yorker Galerienszene sei klein gewesen damals, sehr überschaubar. Auf ein paar Häuserblock drängte sich alles zusammen. Heute sei das alles komplizierter geworden: „Heute ich alles Sampling, jeder ist ein DJ. Eine führende Kunstrichtung gibt es nicht mehr.“

Stingel malte damals sehr farbig, ein spätes Informel: „Ich habe Farbe auf der Leinwand hin- und hergeschoben, war verzweifelt, unglücklich und depressiv. Ich musste mir was einfallen lassen,“ sagt er mit einem Zwinkern. Aufmerksamkeit bescherten ihm Werke, die stark von der Konzeptkunst der sechziger Jahre bestimmt waren, Bilder, bei denen es darum ging, Malerei möglichst subjektlos umzusetzen. „Es ging um die radikale Geste: „Weiße Bilder gab es schon, also überlegte ich mir, wie ich Bilder machen kann, ohne dass ich sie selber machen muss?“

Statt Bilder an die Wand zu hängen, legte er einen Teppich aus und verkleidete die Wände mit billigen Styroporplatten, auf denen die Besucher sich verewigen konnten. Theoretische Diskurse interessieren ihn dabei relativ. Seine 1989 publizierten „Instructions“, Gebrauchsanweisungen zur Herstellung seiner Bilder, waren mehr aus der Not geboren, über seine Bilder reden zu müssen, denn als tiefgründige Reflexion: „Künstler stottern ja nur herum, wenn sie über ihre Werke reden sollen. Die Amerikaner haben von Lacan geredet, alles Dinge, die ich nicht verstand. Ich kam mir total blöd vor. Deshalb habe ich die Instructions verfasst. Heute sind mir Fragen danach, wo das Bild anfängt und wo es aufhört, vollkommen egal.“

Wie das System im Innersten funktioniert, weiß auch Stingel nicht, aber eines weiß er: „Es gibt darüber jede Menge Verschwörungstheorien. Aber es läuft eigentlich ganz einfach. Der Konsens über einen spannenden Künstler fängt im Kreis der Künstler an, die Galeristen kommen erst später. Es sind die Künstlerkollegen, die bestimmen, was wert ist, angeschaut zu werden.“

Strategisches Denken kann auf dem Weg nach oben nicht schaden. Dazu gehört, sich die Galerien und Ausstellungsorte genau auszusuchen. Südtirol gehört nicht dazu: „Ich liebe Südtirol, aber in der Kunst … zu medioker. Das ist wie Monopoly, es gibt Regeln. Aber wenn man als Künstler an Business denkt, auch nur eine Minute, ist man schon verloren.“ Und die alte Tugend Geduld ist auch noch immer hilfreich: „Ich habe 21 Jahre lang schlechte Nachrichten aus Basel ertragen müssen. Das muss mir erst einmal einer nachmachen.“

Eine Zuhörerin stellte die Frage nach seiner Motivation, nach seiner Befriedigung bei der Arbeit. Die Antwort lautete bündig wie ein Gedicht: „Befriedigung? Kenne ich nicht.“

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

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  • george

    Nur weil ein paar ausflippen und soviel hinblättern, müssen die „Kunstwerke“ nicht gut bzw. wert sein. Vielmehr ist so, dass einige Wenige viel zu viel Geld haben und sich solche Eskapaden auf Kosten vieler Anderer einfach leisten können. Umgekehrt wird nicht alles, was wirklich hohen künstlerischen Wert hätte, hoch bezahlt. Meist bestimmt nicht der Künstler den Wert, sondern jene, die Geld vermarkten und ihre Investition bewusst auffällig einsetzen um den Wert ihrer Investition noch höher erscheinen zu lassen, um daraus noch mehr zu gewinnen.

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