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Auf der Flucht

Zahlreiche Ärzte mit Werkvertrag wollen keine fixe Anstellung im Krankenhaus. Das könnte bald schon zu Versorgungsengpässen führen.

von Silke Hinterwaldner

„Hier bei uns“, sagt Ivano Simioni, „geht man immer noch davon aus, dass Südtirol ein begehrter Arbeitsplatz ist. Das ist ein Irrtum.“ Der Chef der größten Spitalsärzte-Gewerkschaft BSK-VSK arbeitet selbst als Psychiater am Krankenhaus in Bruneck und spürt jetzt hautnah, welche Folgen das Auslaufen vieler Werkverträge für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung haben wird. Auch in seiner Abteilung wird bald ein Facharzt fehlen, weil sein Werkvertrag nicht mehr verlängert werden kann.

Zur Erklärung: Nach einem Gerichtsurteil im Herbst wurden die Werkverträge für Mediziner in allen sieben Südtiroler Krankenhäusern gekippt. Viele Verträge laufen in den nächsten Wochen aus. Erste Folgen zeigen sich bereits heute: Die Augenambulanz in den Spitälern von Brixen und Sterzing musste geschlossen werden. Fünf Augenärzte haben die Verträge nicht verlängert bekommen, derzeit arbeiten für den Sanitätsbetrieb Bruneck nur noch zwei Fachärzte für Augenheilkunde und ein Assistent. Damit kann der Dienst in den benachbarten Krankenhäusern nicht mehr aufrechterhalten werden. Wartezeiten verlängern sich, Patienten sind wütend oder enttäuscht.

Gerade am Beispiel Augenheilkunde zeigt sich, wie komplex die Beauftragung von Ärzten in den Krankenhäusern sein kann. Über Werkverträge konnten sie bisher eine Art freiberuflicher Tätigkeit im Krankenhaus und nebenbei in einer eigenen Praxis nachgehen. Der Sanitätsbetrieb möchte und muss nach dem Gerichtsurteil im Herbst die Fachärzte aber in ein festes Arbeitsverhältnis übernehmen. Das bedeutet: Ärzte, die etwa einen Teilzeitvertrag unterzeichnen, können auswärts kaum noch freiberuflich tätig sein. Im Umkehrschluss müssen sie aber im Krankenhaus auch Nachtdienste übernehmen und eventuell eine Blinddarmentzündung in der Ersten Hilfe behandeln. Nicht jeder Augenarzt möchte das. Verständlicherweise.

„Eine feste Anstellung im Krankenhaus ist für viele Ärzte nicht attraktiv“, sagt Simioni, „sie bedeutet einen Verlust der Autonomie und kann auch finanzielle Einbußen nach sich ziehen.“ Aber wenn jetzt Mediziner scharenweise den Krankenhäusern den Rücken kehren, dann kommt es unweigerlich zu Versorgungsengpässen, nicht nur in der Augenheilkunde, sondern auch in der Dermatologie, in der Orthopädie, in der Pädiatrie und in vielen anderen Disziplinen.

Dabei war es eine Ärztegewerkschaft selbst, die das Urteil angestrebt hatte. Die Anao hat zusammen mit einer Tierärztin die Klage vorbereitet, wohl in der hehren Absicht, für viele Kollegen ein anständiges Angestelltenverhältnis zu erstreiten. Aber der Schuss ist für viele andere Ärzte und damit für den Sanitätsbetrieb nach hinten losgegangen.

Kann es jetzt einen Ausweg aus dieser vertrackten Situation geben? Ivano Simioni hat klare Vorstellungen davon, was jetzt getan werden muss, um die Versorgung der Bevölkerung in den kommenden Monaten gewähren zu können. „Wir brauchen eine Liberalisierung der Tätigkeit, eine klare Übergangsregelung oder zumindest eine Art Sondergenehmigung, um weiterarbeiten zu können.“ Wie genau diese Sonderregelung aussehen soll, muss aus rechtlicher Sicht aber an anderer Stelle geklärt werden. Fest steht nur: Es muss jetzt wirklich schnell gehen.

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