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„Die Fleißigen sind die Dummen“

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Acht Südtiroler Haus- und Kinderärzte haben wegen der Honorarobergrenze gegen den Sanitätsbetrieb geklagt. Jetzt hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

von Heinrich Schwarz

Die Familien stehen voll hinter ihren Vertrauensärzten. Das hat sich in den letzten Monaten insbesondere im Pustertal gezeigt, als Eltern eine Initiative starteten, um sich mit den Kinderärzten Ewald Mair und Michael Panzenberger solidarisch zu zeigen. Die Eltern gingen im März sogar auf die Straße, um zu protestieren.

Hintergrund des anhaltenden Aufruhrs ist die staatliche Gehaltsobergrenze von 240.000 Euro jährlich: Im öffentlichen Bereich darf niemand mehr als der italienische Staatspräsident verdienen. Das betrifft nicht nur die öffentlich Bediensteten an sich, sondern auch die freiberuflichen Haus- und Kinderärzte, die mit dem Sanitätsbetrieb konventioniert sind. Der Sanitätsbetrieb darf nicht mehr als 240.000 Euro an Honoraren pro Arzt auszahlen.

Viele Haus- und Kinderärzte haben bis vor dieser Reform mehr verdient. Und als der Sanitätsbetrieb plötzlich kein Geld mehr überwies, reagierten die betroffenen Ärzte mit einem Abbau von Leistungen und Patienten – und schlossen zum Teil sogar zeitweise ihre Praxis, wie etwa im Pustertal geschehen.

Auf rechtlicher Ebene blieben die betroffenen Ärzte nicht untätig: Acht von ihnen aus allen Landesteilen schlossen sich im Vorjahr zusammen, suchten sich einen Anwalt und klagten gegen den Sanitätsbetrieb.

Am Dienstag fällte die Bozner Arbeitsrichterin Francesca Muscetta nun eine Entscheidung: Die Klage wurde abgewiesen.

Die acht Ärzte sind entsprechend enttäuscht. Die Motivation ist ohnehin schon lange an einem Tiefpunkt. „Die Fleißigen sind offensichtlich die Dummen“, sagt einer der Betroffenen.

Die Argumentation in der Klage war recht simpel: Bei den ausbezahlten Honoraren des Sanitätsbetriebes für Freiberufler handle es sich nicht um das Bruttoeinkommen – sprich das besteuerbare Einkommen –, sondern um den Praxisumsatz. Von diesem Geld müssen die freiberuflichen Ärzte unter anderem die Kosten für Miete, Strom, Sprechstundenhilfe, Geräte und Verbrauchsmaterial bezahlen. Erst was dann übrig bleibt, ist das Bruttoeinkommen. Bei der Obergrenze von 240.000 Euro wird dies jedoch nicht berücksichtigt.

„Dabei liegt unser besteuerbares Einkommen weit unter 240.000 Euro“, erklärt einer der Ärzte. Ein Praxisumsatz dürfe nicht mit dem Bruttoeinkommen gleichgesetzt werden, betont er.

Die Regelung ist auf eine sonderbare Auslegung des Staates zurückzuführen. So sei mit der Honorarsumme die Grundversorgung für die bei einem einzelnen freiberuflichen Arzt eingeschriebenen Patienten angemessen gewährleistet. Alle zusätzlichen Leistungen fallen laut dem staatlichen Leistungskatalog in den privaten Bereich.

„Man sagt uns, dass im restlichen Italien die niedergelassenen Ärzte den Hauptteil ihres Einkommens privat erwirtschaften und nur nebenbei über die Sanitätsbetriebe. Bei uns ist aber das Gegenteil der Fall“, erklärt ein Arzt auf Nachfrage.

Was die acht betroffenen Haus- und Kinderärzte besonders ärgert, ist die „Bestrafung der Fleißigen“. Je mehr man arbeite, desto weniger bleibe einem: „Wer viel für seine Patienten tut und investiert, erzielt einen zu hohen Umsatz, wobei ihm aufgrund der höheren Kosten gleichzeitig weniger Geld übrig bleibt. Wer sich – unter Anführungszeichen – nicht so sehr engagiert, hat einen geringeren Praxisumsatz, bleibt aber mit dem Bruttoeinkommen hoch oben.“

Die logische Konsequenz für die betroffenen Mediziner: Sie arbeiten nur noch so viel, um die Gehaltsdeckelung von 240.000 Euro nicht zu überschreiten.

Dem Sanitätsbetrieb und insbesondere den Familien, so sind sich die Ärzte einig, koste das am Ende mehr. Ein Kinderarzt sagt etwa: „Kinder werden nicht mehr adäquat betreut, sondern müssen bei einem Hausarzt eingeschrieben werden. Falls sie dieser nicht annimmt, bleibt noch das Krankenhaus, wo allerdings das Personal fehlt. Die Eltern sind dann unzufrieden und gehen wieder zum Kinderarzt, der die Leistungen aber privat verrechnet. Dieser Weg ist bereits vorgezeichnet.“

Ob die acht Ärzte nach der Niederlage beim Arbeitsgericht Rekurs einlegen werden, ist fraglich. Gut möglich, dass stattdessen noch einmal Druck auf die Politik gemacht wird. Diese hat sich zwar bereits in Rom bemüht, eine Lösung zu finden, allerdings habe der Staat wenig Einsicht gezeigt. Es hagelte mehrmals Absagen.

Sanitätslandesrätin Martha Stocker hat deshalb die Absicht geäußert, ein Bezuschussungsmodell für die Strukturkosten der niedergelassenen freiberuflichen Ärzte, also für Geräte und medizinische Ausstattung, einzuführen.

Doch ganz so gut kommt diese Idee nicht an. So meint ein Arzt: „Ich will kein geschenktes Geld und würde deshalb ganz sicher nicht um einen Beitrag ansuchen. Ich will, dass meine Arbeit bezahlt wird – wie vom Vertrag vorgesehen.“

LESEN SIE IN DER SAMSTAG-AUSGABE DER TAGESZEITUNG:
Wie Sanitätslandesrätin Martha Stocker auf die Entscheidung des Arbeitsgerichtes reagiert.

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