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Die Touristenschwemme

aichner-wandern_hufeisentour_2014In diesem Tourismusjahr sind die Nächtigungen um 7,22 Prozent auf 31,4 Millionen gestiegen. IDM-Präsident Thomas Aichner sagt: „Es kann nicht unser Ziel sein, diese Zahl immer weiter zu steigern.“

Tageszeitung: Herr Aichner, im Sommer gab es 19,7 Millionen Nächtigungen – fast 1,5 Millionen mehr als ein Jahr zuvor. Dabei war das Wetter nicht so optimal wie im letzten Jahr. Haben uns die Krisen in anderen Tourismusländern den neuen Rekord beschert?

Thomas Aichner: Der Erfolg hat viele Väter. Die Krisensituation in anderen Regionen ist sicher ein Grund. Allerdings profitieren davon nicht nur wir, sondern alle Alpenländer. Man muss dazu auch sagen, dass nicht jeder, der in die Türkei fahren wollte, in die Alpen gefahren ist. Die Konkurrenten sind die ganzen Meeresdestinationen wie Spanien oder Griechenland. Der Faktor Krise hat uns natürlich geholfen, aber man darf das auch nicht überschätzen.

Was wären die anderen Faktoren, die eine Rolle gespielt haben?

Einer ist sicher, dass wir im letzten Jahr mit unseren guten Strukturen gepunktet haben und die Leute wiedergekommen sind. Südtirol hat eine gute Fähigkeit, Gäste zu binden. Ein Faktor war sicher auch das Wetter, das heuer im Schnitt relativ gut war. Dass es nicht so heiß war, war sicher kein Schaden. Und was man nicht unterschätzen darf: Das Glück trifft die Vorbereiteten.

Inwiefern?

Es wird seit Jahrzehnten in Kommunikation und Produktentwicklung investiert. Das zahlt sich langfristig aus. Ein Beispiel aus einem anderen Sektor: Weil VW so gut verankert ist, kaufen die Leute nach dem Dieselskandal weiterhin Autos. Ein anderer Hersteller wäre pleite gegangen. Wenn es tendenziell gut läuft, wirkt sich dieser positive Hebel noch stärker aus. Neben den Investitionen in die Dachmarke gibt es in Südtirol auch Einzelbetriebe, die sehr viel investiert haben. Man denke etwa an Adler in Gröden oder Quellenhof in Passeier. Solche Leitbetriebe tun sich nicht nur selbst einen Gefallen, sondern helfen dem ganzen Land. Viele Leute sehen diese Leitbetriebe oder lesen von ihnen, können sich einen solchen Urlaub aber nicht leisten und suchen deshalb eine Alternative im selben Gebiet.

Wenn man das ganze Tourismusjahr betrachtet, wurde erstmals die Marke von 30 Millionen Nächtigungen geknackt. Mehr noch: Es sind 31,4 Millionen. Da stellt sich die Frage, wann genug ist…

Eine gute Frage. Es kann nicht unser Ziel sein, die Nächtigungen immer weiter zu steigern. Unser dauerhaftes Ziel muss sein, Leute anzusprechen, die unser Produkt – also unser Land – wertschätzen und bereit sind, einen fairen Preis zu zahlen, sodass wir in Zukunft durch gute Preise Wertschöpfung generieren und nicht nur durch Menge.

Mehr Qualität als Quantität also?

Ja, aber explizit nicht Luxustourismus. Wenn man Luxustourismus betreibt wie St. Moritz, ist man bald für die Einheimischen nicht mehr erschwinglich. Das ist nicht unser Lebensraumkonzept, denn dieses ist ganz stark auf Einheimische ausgerichtet. Wir sollten einen Tourismus haben, der auch für Einheimische leistbar ist. Wenn man sich vorstellt, wie die Einzelhandels- und Immobilienpreise hinaufschießen, dass man nicht mehr hier leben kann, hat man das Ziel verfehlt. Der Tourismus soll den Südtirolern etwas Gutes tun und nicht etwas Schlechtes. Nur sollen die Betriebe einen guten Durchschnittspreis berechnen können.

Das ist derzeit nicht so?

Oft ist es so, dass viele Betriebe einen guten Preis haben, diesen aber nicht das ganze Jahr über halten. Häufig machen sie Rabatte, sodass am Ende nicht viel herauskommt. Es muss das Ziel sein, dass wir weiter an unserer Qualität arbeiten und diese so kommunizieren, dass jemand bereit ist, die Preisliste zu bezahlen, ohne Sonderangebote machen zu müssen. Gerade im Meraner Raum gibt es im Frühling immer ein Risiko.

Sind wir in Südtirol derzeit allgemein zu billig?

Allgemein kann man nicht sagen. Es gibt schon Betriebe, die gute Preise haben. Aber ich sehe schon noch Luft nach oben. Man kann aber auch nicht automatisch nur den Preis nach oben schrauben, man muss auch die Qualität hinauftun. Dabei ist vor allem die Servicequalität gemeint und nicht die Infrastrukturqualität. Wir Europäer sind sehr preissensibel: Wir sind nur bereit, einen höheren Preis zu zahlen, wenn dieser auch gerechtfertigt erscheint.

Gibt es im Südtiroler Tourismusmarketing eine Nächtigungszahl, die man sich als grobe Grenze setzt?

Davon habe ich nie gehört, aber in den letzten Jahren ist das wohl auch nicht mehr so diskutiert worden. Die Diskussion ist vielleicht eingeschlafen, weil es zwischen 2011 und 2015 Rückgänge gab und man nicht glaubte, dass man die 30-Millionen-Marke überschreitet. Jetzt gab es einen gewaltigen Sprung, sodass ich mir vorstellen kann, dass die Diskussion kommen wird, wenn es noch ein Jahr so weitergeht.

Sehen Sie sowohl für den Sommer als auch für den Winter noch Potenzial nach oben?

Das muss man differenziert betrachten: Es gibt bestimmte Orte in Südtirol, wo die Kapazitäten zu bestimmten Jahreszeiten sicher an die Grenzen gestoßen sind. Aber wenn ich das Ultental hernehmen darf: Dort gibt es im Sommer und im Winter noch Luft. Meran hingegen hat im Sommer seine Grenzen erreicht, im Winter aber auf jeden Fall noch Luft. Durchschnittlich gesehen sehe ich für beide Saisonen noch Potenzial. Gerade im Winter gibt es in kleinen Orten wie Watles oder Stuls neue, beliebte Familienangebote. Wenn solche kleine Orte 300 Gäste mehr haben, ist das sehr viel. Für Betriebe mit Urlaub auf dem Bauernhof bietet es vielfach die Grundlage, um weiter Viehwirtschaft betreiben zu können. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, auf die Peripherie zu schauen, damit auch die kleinen Betriebe arbeiten können.

Sind Sie überrascht über die Zahl von 31,4 Millionen Nächtigungen?

Sehr. Das heißt, dass wir jetzt Verantwortung übernehmen müssen. Man muss damit umgehen können. Ich selbst wohne etwa in Obermais neben der Passeirer Straße, was mit zwei kleinen Kindern problematisch sein kann. Wobei man die Straße andererseits locker überqueren kann, wenn eh alle Autos stehen. Es kommen jedenfalls große Herausforderungen auf uns zu, was die Anreise betrifft. Deshalb ist gerade die Diskussion um Zugverbindungen wichtig. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, damit nicht unsere Lebensqualität leidet. Denn es ist ja die gute Lebensqualität, mit der wir werben.

Interview: Heinrich Schwarz

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