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„Panikartige Reaktion“

Die Initiative für mehr Demokratie erleidet mit ihrem Vorschlag für ein neues Wahlgesetz Schiffbruch. Warum Opposition und Mehrheit Nein zum Lausch-Gesetz sagen.

Von Matthias Kofler

Die Initiative für mehr Demokratie preschte mit einem kuriosen Vorschlag für ein neues Landes-Wahlgesetz vor: Stefan Lausch und Co. fordern nicht weniger als die Abschaffung des Machtverhältnisses zwischen Mehrheit und Opposition.

So sollen bei den Wahlen nicht mehr nur Parteien antreten, sondern parteiübergreifende Listenbündnisse. Aus diesem Angebot wählt der Bürger dann seine Kandidaten für den Landtag. Das Sahnehäubchen des Vorschlags: Geht es nach Erwin Demichiel und Co., sollen die Bürger die Mitglieder der Landesregierung sowie den Landeshauptmann künftig direkt wählen können. Damit werde das bisherige Verhältnis zwischen Mehrheit und Opposition de facto aufgehoben. Der Landtag könne dadurch deutlich produktiver arbeiten, weil er sich nicht mehr mit den „üblichen Machtspielchen“ beschäftigen müsse.

Wie reagiert man im Landtag auf das Lausch-Gesetz?

Paul Köllensperger kann sich mit den ins Spiel gebrachten Vorschlägen nicht anfreunden. Die Initiative orientiere sich am Schweizer Modell, das auf Konkordanz ausgerichtet sei und bei den Eidgenossen auch gut funktioniere. In Südtirol gebe es jedoch ein solches Konkordanzmodell nicht. Eine Umgestaltung des politischen Systems könne man nur schrittweise und nicht auf einen Schlag per Wahlgesetz erreichen.

Als problematisch erachtet der Grillino auch den Vorschlag der freien Kandidatenlisten. Geht es nach Lausch und Co., sollen die Bürger selbst die Kandidaten nominieren. Köllensperger meint: „Ich rate davon ab, mit den Parteien komplett abzufahren. Parteien stehen für bestimmte Werte und Ideen; sie haben ein Programm, an das sich die Wähler orientieren können. Was passiert, wenn der Erstgewählte auf der freien Liste ein Rechter ist, irgendwann zurücktritt und für ihn ein Linker auf dem zweiten Platz nachrückt?“, fragt sich der Abgeordnete. Auch die Direktwahl der Landesregierung sei „zu stark personalisiert“: Es gewinne derjenige, der die großen Lobbys und viel Geld im Rücken habe. Der Grillino fordert, dass „nicht der Populärste, sondern der Kompetenteste“ in die Landesregierung kommen solle. Dies sei auch bei der heutigen Landesregierung kaum der Fall.

Dem Gesetz der Initiative räumt Köllensperger wenig Chancen ein. Jetzt gelte es erst einmal, sich auf den SVP-Vorschlag für das neue Wahlgesetz zu konzentrieren. Die Volkspartei verfolge damit ein klares Ziel: Gleich viele Mandate bei weniger Stimmen zu erhalten.

Skeptisch äußert sich auch Andreas Pöder von der BürgerUnion. Der Lausch-Vorschlag müsse zwar mit in die Diskussion eingebunden werden. Und die Direktwahl des Landeshauptmannes ohne Bindung an Partei und Mehrheitsbonus könne er auch unterstützen. „Aber durch die übrigen Vorschläge würde die Kontrolle der Macht im Landtag abgeschafft“, befürchtet Pöder.

Der Abgeordnete erklärt: „Bei einer bunt zusammengewürfelten Landesregierung würden die Bürger vor der Wahl nicht wissen, ob diese Landesregierung beispielsweise nach der Wahl eine wirtschaftsliberale oder eine ökosoziale Politik betreiben würde. Ob die Landesregierung nach der Wahl eine zuwanderungsfreundliche oder eine zuwanderungsfeindliche Politik betreiben würde, ob die Landesregierung nach der Wahl eine Politik für das traditionelle Familienbild oder für das progressive Familienbild, für die Vermischung oder für die Trennung der Sprachgruppen etc. machen würde.“

Andreas Pöder sagt: „So groß die Mängel der heutigen Parteiendemokratie auch sind, aber durch eine gewisse Zuordnung der Kandidaten an Gruppierungen und Parteien wissen die Wähler, welche Kandidatengruppen sie nach der Wahl in der Mehrheit und welche in der Opposition möchten.“

In dieselbe Kerbe schlägt die SVP-Abgeordnete Magdalena Amhof: „In einer Zeit, in der die Unsicherheit in der Bevölkerung ohnehin schon groß ist, wäre ein Wahlgesetz, das die gegenwärtige Parteienlandschaft komplett auf den Kopf werfen würde, der falsche Ansatz. Keiner würde die Verantwortung für ein solch unvorhersehbares Risiko übernehmen.“ Die SVP-Abgeordnete spricht sich klar dagegen aus, das Parteiensystem über den Haufen zu werfen, da es Sicherheit, Nachhaltigkeit und Stabilität garantiere.

Magdalena Amhof will daher an ihrem eigenen Vorschlag für ein neues Wahlgesetz festhalten. Auch dort ist die Direktwahl des Landeshauptmannes vorgesehen. Eine Direktwahl der Regierung kommt für Amhof hingegen nicht in Frage: Die Regierung solle weiter vom LH zusammengestellt werden, der die Landesräte auf der Grundlage von Kompetenz, aber auch nach Teamfähigkeit und Loyalität auswähle.

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+++ UPDATE +++

Nun liegt eine Stellungnahme von Stephan Lausch vor:

„Es wäre natürlich sehr viel zu sagen zu den Kommentaren der Herrn und Frauen Politiker in der heutigen Ausgabe der Tageszeitung. Das ist hier aber nicht der geeignete Rahmen. Feststellen wollen wir aber, dass wir uns von seriösen Politikern erwartet hätten, dass sie sagen, sie würden sich einmal alles genau anschauen, eventuell auch mit uns reden, sich die Neuigkeiten erklären lassen und dann ein Urteil abgeben. So unterstreicht die panikartige Reaktion des herrschenden politischen Systems – ohne Unterschied zwischen Mehrheit und Opposition(!) – hingegen gerade die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Erneuerung, die dieses System eben sicher nicht selbst zustande bringt.“

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