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„Mehr war nicht drin“

„Mehr war nicht drin“

Wie Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder das Gruber-Degasperi-Abkommen und dessen Auswirkungen für Südtirol bewertet.

Tageszeitung: Herr Durnwalder, ist die heutige Kritik am Gruber-Degasperi-Abkommen berechtigt?

Luis Durnwalder: Um das Abkommen bewerten zu können, muss man sich in die damalige Zeit hineinversetzen. Es gibt Kritiker, die meinen, man hätte damals mehr herausholen und erkämpfen können. Man muss aber wissen: Weder Österreich noch Italien gehörten zu den Siegermächten. Beide Staaten haben aus meiner Sicht das Getan, was möglich war.

Wie meinen Sie das?

Italien hat im Zweiten Weltkrieg erst sehr spät die Seiten gewechselt. Bei den Friedensverhandlungen erinnerte man sich an die Österreicher, die beim Einzug Hitlers in Wien jubelten. Beide Staaten hatten 1946 also nichts mehr zu melden. In Osteuropa wollte man das Minderheitenproblem mittels Deportationen lösen. Die Südtiroler hofften, die Selbstbestimmung zu erhalten. Österreich wiederum setzte in die Friedensverhandlungen die Hoffnung, dass man Südtirol zurückgewinnen werde. Auf der anderen Seite hatte Italien bereits Istrien und Dalmatien verloren. Man wollte also keine weiteren Gebietsverluste hinnehmen. Die Siegermächte sprachen sich dagegen aus, Italien weiter zu demütigen, auch aus Angst, so den sich ausbreitenden Kommunismus zu stärken. Das Gruber-Degasperi-Abkommen war folglich ein Kompromiss, für den alle Seiten ihr Opfer bringen mussten: Österreich verzichtete auf Südtirol, Südtirol erhielt keine Selbstbestimmung – und Italien musste die große Hypothek einer Autonomie für Südtirol hinnehmen. Man hat damals das Bestmögliche herausgeholt. Mehr war nicht drin.

Wie bedeutsam ist das Abkommen aus autonomiepolitischer Sicht?

Südtirol stand 1946 nicht im Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass sich das Abkommen auf 30 Zeilen beschränkte. Das war der Ursprung für die späteren Streitigkeiten. Wenn man damals ein vernünftiges Abkommen verfasst hätte, in dem festgelegt wird, dass die Autonomie dem Schutze der Südtiroler dient, dann hätte es kein Sigmundskron, keine UNO-Verhandlungen und auch keine Anschläge gegeben. Stattdessen beschränkte man sich auf die vage Formulierung, wonach der Bevölkerung des Gebietes die Ausübung einer autonomen regionalen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt gewährt werde. Das Gebiet wurde aber nicht klar definiert, genauso wenig wurden autonomen Kompetenzen festgelegt. Für Südtirol stand damals aber viel auf dem Spiel. Wir hatten keine Staatsbürgerschaft mehr, diese erhielten wir erst 1948 wieder. Wir konnten nicht wählen und wussten nicht, ob wir dableiben konnten oder weggeschickt werden. Das Abkommen war eine bescheidene Grundlage für unser Autonomiestatut. Die Autonomie wurde erst in den folgenden Jahrzehnten step bei step erarbeitet. Heute haben wir ein recht gutes, zweites Statut, das aber nur die Interpretation dieses ersten Statutes darstellt.

Inwieweit wurden die Möglichkeiten, die das Abkommen bot, ausgeschöpft – vor allem in ihrer Regierungszeit?

Selbstlob stinkt zwar nicht. Es hätte aber sicher noch mehr herausgeholt werden können. Andererseits ist in keinem Gebiet Europas in den letzten Jahrzehnten so viel passiert wie in Südtirol. Wir standen in den 60er Jahren auf dem 92. Platz aller 102 Provinzen Italiens. Heute sind wir die Provinz mit der höchsten Lebensqualität und der geringsten Arbeitslosigkeit. Im europäischen Vergleich sind wir auf Platz 19 aller 272 Regionen. Den Wohlstand haben nicht die Politiker nach Südtirol gebracht, sondern die dort lebende Bevölkerung. Die Politiker haben nur die Rahmenbedingungen geschaffen. Südtirol ist wie ein Diamant, der erst noch geschliffen werden musste. Zunächst war es ein schmutziger Stein, aber seit er geputzt wurde, glänzt dieser Stein. Aus den Kompetenzandeutungen im Pariser Vertrag haben wir sehr viel gemacht. Das Friaul, das ebenfalls autonom ist, hat vergleichsweise gar nichts aus seinen Möglichkeiten gemacht.

Interview: Matthias Kofler

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