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„Die Kriegsrhetorik geht weiter“

Der Politologe Anton Pelinka über den österreichischen Präsidentschafts-Wahlkampf, den Heimatbegriff der Grünen – und das Frauen-Problem von Norbert Hofer.

TAGESZEITUNG: Herr Pelinka, nach dem für die Regierungsparteien desaströsem Ergebnis der Bundespräsidentschaftswahlen sprechen manche Beobachter vom „Ende der Zweiten Republik“. Haben sie Recht? 

Anton Pelinka: Die zweite Republik ist durch ihren Anfang im Jahr 1945 definiert, ob sie jetzt schon zu Ende ist, will ich nicht beurteilen. Jedenfalls war es ein tiefer Einschnitt, weil klar wurde, was sich schon länger abgezeichnet hatte: Dass die beiden ehemals großen Parteien SPÖ und ÖVP in dramatischem Ausmaß verloren haben.

Rudolf Hundstorfer, der als Kandidat der Kanzler-Partei gerade einmal elf Prozent holte, beklagt sich darüber, dass sich die Wähler für „Extreme“ entschieden hätten.

Das ist eine hilflose Erklärung, die so nicht stimmt. Weder Irmgard Griss noch Alexander Van der Bellen können als extrem bezeichnet werden. Beide waren viel stärker als die Kandidaten der Regierungsparteien, die als blass empfunden wurden. Die Wähler haben eindeutige, aber nicht extreme Positionen bezogen.

Politisch blass zu sein hat österreichischen Bundespräsidenten bisher meistens genützt, oder? 

Das stimmt, wobei schon der ÖVP-Kandidat Thomas Klestil 1992 mit der Aussage „Ich will ein starker Präsident sein“ gewonnen hat. Am Ende ist er bei dem Versuch mit seiner eigenen Partei in den Konflikt gekommen. So ganz neu ist das Bild des „starken Präsidenten“ also nicht, wenn man auch traditionell eher von einem „Vermittler“ sprach. Ob Hofer oder Van der Bellen das sein können, ist fraglich.

„Unter der Voraussetzung, dass es eine entschlossene Mehrheit im Nationalrat gibt, wird Hofer scheitern.“

Beide wurden häufig von jungen Wählern angekreuzt.

Die Regierungsparteien haben große Probleme, jüngere Wähler an sich zu binden. Der Generationenwechsel ist wie auch der Gender Gap als wichtiger Faktor zu berücksichtigen. Frauen wählen überproportional Grün, Männer die Freiheitlichen. Dementsprechend hat Norbert Hofer große Probleme bei Frauen und Van der Bellen große Probleme bei Männern.

Wird ein Bundespräsident Hofer an seinen Ansprüchen ebenso scheitern wie Klestil vor ihm?

Unter der Voraussetzung, dass es eine entschlossene Mehrheit im Nationalrat gibt, wird Hofer scheitern. Im Zweifel ist Österreich ein parlamentarisches System, das den Kurs der Regierung bestimmt. Der Präsident spielt nur eine Rolle, wenn diese Mehrheit nicht stabil ist. Die Aussagen, die Hofer im Wahlkampf gemacht hat, waren da wohl etwas überschwänglich und nicht sonderlich durchdacht.

„Sollte über den Brenner eine große Zahl von Flüchtlingen ins Land kommen, könnte das für einen Wahlsieg Hofers sprechen.“

Haben die Regierungsparteien angemessen auf die bemerkenswerte Wahlschlappe reagiert? Personelle Konsequenzen hat man ja bereits ausgeschlossen. 

Nein, die Spitzen der Regierungsparteien versuchen jetzt, sich selbst zu retten. Nur: Das wird vermutlich nicht reichen. Es wird personelle Änderungen geben, ob übermorgen, in drei Wochen oder erst im Herbst auf dem Parteitag der SPÖ. Hier etwas zu ändern, ist aber leicht, die schwierige Frage lautet, was man inhaltlich ändern kann. Die Regierung ist in der hochemotionalen Flüchtlingskrise und der Frage der Brennergrenze von der Position Angela Merkels zu einer Position gekommen, die sehr stark der Politik Viktor Orbáns ähnelt. Das hat weder die Merkel-Fans bei den Grünen noch die Wähler der Freiheitlichen beeindruckt – sie empfanden die Position der Regierung als völlig unklar.

Können parlamentarische Neuwahlen ein möglicher Ausweg sein?

Sollte Hofer die Stichwahl gewinnen, was wahrscheinlich ist, wird es innerhalb der Sozialdemokratie und der Volkspartei zu Unruhen und Konflikten kommen. Das kann zu einer Instabilität der Regierung und Neuwahlen führen.

Wird die Stichwahl von der Frage entschieden, ob am 22. Mai Flüchtlinge am Brenner stehen?

Sie kann eine Rolle spielen, obwohl ich das für eine übertriebene Furcht halte. Es gibt in Österreich keinen Notstand, wir sind als Rechtsstaat nicht überfordert. Sollte über den Brenner aber eine große Zahl von Flüchtlingen ins Land kommen, könnte das für einen Wahlsieg Hofers sprechen.

In Südtirol hoffte man, dass mit dem Ende des Bundespräsidentschaftswahlkampfs auch die Kriegsrhetorik aus Wien aufhört.

Das war eine unberechtigte Hoffnung, es wird noch weitergehen. Diese Signale kamen ja in erster Linie von der Regierung – wesentlich entscheidender als die Wahl zum Bundespräsidenten ist etwa die Frage, ob man mit baldigen Neuwahlen rechnet oder erst einen Termin im Jahr 2018 anpeilt.

Südtirols Rechtsopposition, die der FPÖ tendenziell nahesteht, hofft auf einen Bundespräsidenten Hofer – etwa um den Wunsch nach der doppelten Staatsbürgerschaft voranzutreiben.

Das halte ich für eine Überschätzung der Rolle des Bundespräsidenten. Über solche Fragen entscheiden Kanzler, Außenminister und andere Akteure. Weisungen kann ein Bundespräsident nicht erteilen.

„Es gibt in Österreich keinen Notstand, wir sind als Rechtsstaat nicht überfordert.“

Wie Hofer hat auch Van der Bellen auf seine Stichwahl-Plakate den Begriff „Heimat“ gepackt. Was sagt uns das?

Van der Bellen ist ein grüner, linksliberaler Kandidat und hat als solcher im Sinne der Umwelt durchaus ein gewisses Heimatverständnis. Er hat versucht, den Begriff für sich zu besetzen, um nicht ins linke Eck gestellt zu werden. Über die Politik eines Kandidaten sagen diese Begriffe aber nichts aus.

„Einen, statt spalten“ ist das gemeinsame Ziel von zwei stark polarisierenden Kandidaten. Wie passt das zusammen?

Wenn es Polarisierung gibt, und das ist durchaus wahrscheinlich, müssen beide jetzt versuchen, den schwarzen Peter dem jeweils anderen zuzuschieben. Zwischen verängstigten Modernisierungsverlierern, das ist vor allem die Klientel der Freiheitlichen, und zukunftsoptimistischen Modernisierungsgewinnern findet ja seit langem eine Polarisierung statt – und das nicht nur in Österreich.

Hilft es im Wahlkampf, den jeweils anderen als Faschisten zu bezeichnen?

Nein, das ist einfach nur dumm. Den Begriff Faschismus als billige Alltagspolemik zu verwenden, ist vollkommen sinnlos. Weder Van der Bellen noch Hofer sind Faschisten im politologischen Sinne.

Wer wird die Stichwahl gewinnen?

Van der Bellen hat eine Chance, wahrscheinlich ist aber ein Sieg Hofers.

Interview: Anton Rainer

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