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„Die Nase voll“

spritzDer Landtag hat in einer Nachtsitzung das Landesgesetz, das die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln regelt, verabschiedet.

In einer Nachsitzung hat der Landtag zunächst den Landesgesetzentwurf Nr. 74/16: Bestimmungen auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes (vorgelegt von der Landesregierung auf Vorschlag des Landesrates Schuler) behandelt.

Mit dem Gesetzentwurf soll eine neue, zusammenfassende Regelung zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln geschaffen werden: Abstände, Zeiten, Sanktionen, Zuständigkeit der Gemeinden u.a.
Zum Gesetzentwurf hat Riccardo Dello Sbarba einen Minderheitenbericht vorgelegt.
In der Generaldebatte meldete sich niemand zu Wort.

SchulerLR Arnold Schuler erinnerte daran, dass bis vor hundert Jahren auch in Europa noch da und dort Hungersnot herrschte, in Irland z.B. aufgrund einer Krankheit der Kartoffel.

Heute seien Lebensmittel in einem ausreichenden Maß vorhanden, so günstig und so sicher wie nie zuvor. Es sei eine Utopie, zu glauben, dies ginge ohne Pflanzenschutz. Der Mensch habe immer schon versucht, seinen Anbau vor Schädlingen zu schützen. Heute sei Südtirol Vorreiter im integrierten Obstanbau in Europa. Schon seit Jahrzehnten würden sanfte Methoden eingesetzt.

Auch die Pflanzenschutzmittel seien viel sicherer geworden, es vergingen zehn Jahre an Tests, bis eines zugelassen werde.

Den Abstand zum Einsatzgebiet habe man nach wissenschaftlichen Erkenntnissen festgelegt. Kaum ein Bereich in der Lebensmittelproduktion werde so gut kontrolliert wie der Obstbau. Kaum Kontrolle gebe es im privaten Bereich, der laut Schätzungen 17 Prozent der Menge ausmache.

Auch im öffentlichen Bereich gehe man so vor, wie es in der Landwirtschaft nie zugelassen werde. So würde z.B. empfohlen, Mittel gegen die Tigermücke direkt ins Wasser zu geben. Auch bei den städtischen Alleen würden die Bäume nicht mit Weihwasser geschützt, und da rede niemand davon. Wenn man den nationalen Aktionsplan eins zu eins umsetzen würde, dann müsste man die Straße für Tage sperren.

Hier gebe es entweder die Null-Lösung, die niemand wolle, oder die Bio-Lösung, die nicht funktionieren würde.

Er habe die Nase voll, dass man immer nur mit dem Finger auf die Landwirtschaft zeige. Südtirol habe als erste Region Italiens den Aktionsplan umgesetzt, als man in Mals noch von einem Pestizidverbot geredet habe und nicht von einer Abstandsregelung. Zu letzterem sei es erst gekommen, als man gesehen habe, dass ein Verbot nicht umsetzbar sei. In Mals habe man, gestützt auf den Aktionsplan, einen Abstand von 50 Metern festgelegt, aber eine Ausnahme für die Biomittel gemacht.

Der nationale Aktionsplan sehe dagegen auch einen Abstand für gewisse Biomittel vor. Das vorliegende Gesetz sei nicht für Mals, sondern für alle Südtiroler Gemeinden.

Das sind die Tagesordnungen, die zum Gesetzentwurf eingereicht wurden:

Paul Köllensperger (5 Sterne Bewegung) forderte ein Verbot von Herbiziden (glyphosathaltige Produkte) auf allen öffentlichen Flächen und durch öffentliche Einrichtungen. Das genannte Produkt werde von Forschungseinrichtungen als krebserregend eingestuft und sei in vielen Ländern bereits verboten.
Walter Blaas (Freiheitliche) bestätigte die Toxizität des Produkts, es hinterlasse einen braunen Streifen im Gras. In Brixen habe man darauf verzichtet. Der Antrag überschreite aber die Zuständigkeiten des Landtags, der den Gemeinden hier keine Vorschriften machen dürfe.
Auch Andreas Pöder (BürgerUnion) teilte diesen Einwand. Ihm sei gesagt worden, dass Glyphosat erst in hohen Dosen krebserregend sei. Wenn man es unterbinden könne, dann solle man dies aber tun.
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) unterstützte die Tagesordnung. Dieselbe Forderung sei übrigens bereits einmal vom Landtag angenommen worden.
Der Antrag bringe keine neue Forderung, sondern wolle das Verbot in der Durchführungsverordnung zum Gesetz verankern, erklärte Paul Köllensperger.

LR Arnold Schuler stimmte den Argumenten von Blaas zu. Derzeit stehe die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat an. Die europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit stufe das Mittel derzeit nicht als krebserregend ein, auch nicht das deutsche Institut für Risikobewertung, wohl aber die WHO, die das Mittel aber in seiner maximalen Dosierung geprüft habe, nicht im normalen Einsatz.

Bei einer solchen Methode würden auch Alkohol und Kaffee und vieles andere als krebserregend gelten. Die Einstufung stehe aber der Wissenschaft zu, nicht der Politik. Daher sollte man das Brüsseler Verfahren abwarten, dieses entscheide über Zulassung oder Verbot.
Die Tagesordnung wurde mit 12 Ja und 17 Nein abgelehnt.

Paul Köllensperger forderte auch Fördermaßnahmen zur Ökologisierung der Landwirtschaft: Förderung des Umstiegs auf ökologische Landwirtschaft, die Übernahme der hohen Kontrollkosten für Biolandwirtschaft, stärkere Förderung des Bio-Verbandswesens sowie Beratung und Weiterbildung im Biolandbau.

Hans Heiss (Grüne) unterstützte die Tagesordnung. Er warnte LR Schuler davor, der Wissenschaft allzu viel zu glauben. Forschungsinstitute seien oft von ihren Förderern abhängig.
Der Meinung war auch Pius Leitner (Freiheitliche). Auch viele Warnungen von ökologischen Wissenschaftlern hätten sich nicht bewahrheitet. Er fragte, wie die derzeitige Förderung aussehe.

Auch die Wissenschaftler seien sich nicht immer einig, erklärte LR Schuler. Die europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit habe einmal Applaus für eine negative Einstufung bekommen, aus derselben Ecke, die sie jetzt wegen Glyphosat auspfeife. Ein Bauer denke in Generationen und werde nichts tun, was nach seinem Wissensstand seine Lebensgrundlage gefährde. Schuler verwahrte sich gegen den Vorwurf, dass man die Profitmaximierung fördere, die Nachhaltigkeit rücke immer mehr in den Mittelpunkt. Südtirol würde so viele Touristen anziehen, gerade weil die Bauern die Landschaft so gut erhalten hätten. Im ländlichen Entwicklungsplan seien weitere Mittel für die Biolandwirtschaft vorgesehen, für den Umstieg wie für die Erhaltung. Die Kontrollen würden wegen des Verwaltungsaufwands nicht mehr finanziert, dafür habe man die Flächenprämien erhöht. Der Erhöhung der Förderung von Beratung und Weiterbildung könne er zustimmen.

Die ersten Punkte der Tagesordnung wurden abgelehnt, der letzte Punkt angenommen.

Artikeldebatte

Art. 1 betrifft den Pflanzenschutzdienst des Landes.
Riccardo Dello Sbarba forderte eine Ansiedlung bei einem unabhängigeren Ressort, etwa beim Umweltschutz, und nicht bei der Landwirtschaft. Fast alle Bestimmungen zu diesem Punkt beträfen die Landwirtschaft, antwortete LR Arnold Schuler.
Der Artikel wurde bei 5 Enthaltungen genehmigt.

Art. 2 zur Bekämpfung der Verbreitung von Schadorganismen wurde ohne Debatte genehmigt.

OK-serie DELLO SBARBA landtagArt. 3 betrifft den Bienenschutz.
Riccardo Dello Sbarba forderte gemäß dem EU-Vorsorgeprinzip, dass auf Mittel verboten werden, die noch von den zuständigen Behörden untersucht werden. Außerdem sollten nicht chemische Mittel und biologische Methoden gefördert werden. Südtirol sei die einzige Provinz in Italien, die auch einen Verbotszeitraum vorsehe, erklärte LR Schuler. Die Zulassung eines Mittels sei sehr aufwendig, und dabei werde eigens auch die Auswirkung auf die Bienen geprüft. Gemäß Dello Sbarbas Antrag müsste man jedes Mittel suspendieren, gegen das gerade ein Kontrollantrag gerichtet werde.
Die Änderungsanträge wurden abgelehnt.
Der Artikel wurde mit 21 Ja und 6 Enthaltungen genehmigt.

Art. 4, 5 und 6 wurden ohne Debatte genehmigt.

Art. 7 betrifft die nachhaltige Verwendung von Pestiziden.

Paul Köllensperger forderte das Verbot von Mitteln, die als karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch eingestuft sind, auf allen öffentlichen Flächen. Er kritisierte auch die Ablehnung seiner entsprechenden Tagesordnung, die die Umsetzung eines Antrags einforderte, den der Landtag bereits beschlossen hatte. Riccardo Dello Sbarba wollte den Bürgermeistern die Möglichkeit einräumen, bei besonderen Bedingungen zusätzliche Einschränkungen zu verfügen.

Damit könnte Mals das umsetzen, was es seinen Bürgern versprochen habe. Ebenso sollten die Gemeinden vom Land jederzeit außerordentliche Kontrollen anfordern und besonders schutzwürdige Gebiete ausweisen können, falls sich die normalen Schutzmaßnahmen als ungenügend erwiesen.

Paul Köllensperger

Paul Köllensperger

Der Entwurf sehe eine Regelung im Einvernehmen mit dem Rat der Gemeinden vor, um Wildwuchs zu vermeiden, antwortete LR Arnold Schuler. Mals wolle z.B. auch die Beschaffenheit eines Sprühgeräts festlegen, und dies könne nicht eine einzelne Gemeinde tun. Die EU habe Glyphosat nicht als karzinogen eingestuft, Köllenspergers Antrag würde daher ins Leere gehen.

Die Änderungsanträge von Köllensperger und Dello Sbarba wurden abgelehnt. Angenommen wurde ein Antrag von LR Stocker über zusätzliche Regelungen durch die Landesregierung zur Vermeidung von Schäden an Mensch, Tier und Sachen.

Riccardo Dello Sbarba erinnerte an eine Verordnung der Landesregierung zu den Abständen, die den Gemeinden weitgehende Autonomie einräumte. Was im ganzen Land gleich sein müsse, sei die Verhinderung der Abdrift in der Nähe der Menschen.
Der Artikel wurde mit 24 Ja, 3 Nein bei 3 Enthaltungen genehmigt.

Art. 8 regelt die Überwachung und wurde mit 23 Ja und 7 Enthaltungen genehmigt.

Art. 9 regelt die Verwaltungsstrafen.
Riccardo Dello Sbarba bemerkte, dass vor allem die Mindeststrafen viel niedriger seien als sie der Staat vorsehe. Der Rat der Gemeinden fordere, die Differenz zwischen Höchst- und Mindestmaß zu verringern, sonst werde den Bürgermeistern, die die Strafen verhängten leicht Willkür vorgeworfen. Zumindest bei den schlimmsten Vergehen sollten die staatlichen Vorgaben übernommen werden.

Im Wiederholungsfalle sollte die Ermächtigung bis zu 6 Monate entzogen werden, wie es der staatliche Aktionsplan vorsehe. Sanierungskosten müssten den Zuwiderhandelnden angelastet werden. Die Strafen sollten nicht vom Bürgermeister, sondern von der Landesumweltagentur verhängt werden, aber den Gemeinden zugute kommen. Über diese Strafen sei im Landtag bereits vor einem Jahr diskutiert worden, antwortete LR Schuler, dies brauche man nicht neu aufrollen. Ein Entzug des Befähigungsausweises würde es dem Bauern verbieten, seine Pflanzen zu schützen. Schuler sprach sich auch gegen die anderen vorgeschlagenen Änderungen aus, die allesamt abgelehnt wurden.
Der Artikel wurde mit 25 Ja, 4 Nein und 2 Enthaltungen genehmigt.

Die Art. 10 bis 12 wurden ohne Debatte genehmigt.

Erklärungen zur Stimmabgabe

Das Gesetz hätte die Situation verbessern können, erklärte Riccardo Dello Sbarba (Grüne), aber man sei nicht bereit, den Gemeinden mehr Autonomie einzuräumen und mit Mals Frieden zu schließen. Dies sei eine kurzsichtige Entscheidung, gegen die er stimmen werde.

Sigmar Stocker (Freiheitliche) zitierte den “Landwirt”, der die Biolandwirtschaft als wichtig einschätzte, aber auch ein friedliches Nebeneinander forderte. Man solle den Landwirten Zeit lassen und sie nicht gegeneinander aufhetzen. Auch der Imkerbund suche die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft. Stocker lud die Abgeordneten ein, einen der beiden Sprühgerätehersteller in Terlan zu besuchen, die sich um Geräte bemühten, die Abdrift vermeiden würden. Mals habe eine wichtige Diskussion angefacht, aber es sollte sich nicht von den Grünen vereinnahmen lassen. Seine Fraktion werde für dieses Gesetz stimmen.

Mals war vielleicht der Herzschrittmacher dieser Diskussion, und das sei positiv, meinte Walter Blaas (F). Man sollte aber nicht die Bauern in gute und schlechte einteilen. Inzwischen sei vieles unternommen worden, von allen Seiten, um die Situation zu verbessern. Es sei ein anwendbares Gesetz geworden, aber die Gemeindeautonomie werde nicht respektiert. Dennoch werde er dem Gesetz zustimmen.

Ein enttäuschendes Gesetz, befand Paul Köllensperger (5 Sterne Bewegung). Besonders kritisierte er, dass die Landesregierung nicht gewillt sei, einen Landtagsbeschluss zu befolgen.

Brigitte Foppa (Grüne) kritisierte Schulers Vergleiche zwischen Landwirtschaft und öffentlichem Grün.

 

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