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Geschundene Stadt

Beirut gesehen von Gabriele Basilico: Eine verletzte, geschändete Stadt erfordert eine ganz besonderen Sensibilität, sie verlangt eine spezielle Aufmerksamkeit.

Beirut gesehen von Gabriele Basilico: Eine verletzte, geschändete Stadt erfordert eine ganz besonderen Sensibilität, sie verlangt eine spezielle Aufmerksamkeit.

Der Fotograf Gabriele Basilico hat in den Jahren 1991, 2003, 2008 und 2011 vier Reisen nach Beirut unternommen. In der Galerie foto-forum zeigt er unter dem Titel „Ritorni a Beirut. 1991 – 2011“ seine Bilder aus der geschundenen Stadt.

“1991 kam ich nach Beirut, um das in 15 langen Jahren des Bürgerkrieg (seit 1975) geschundene Stadtzentrum zu fotografieren. Ziel war es nicht, eine Reportage über die Ruinen der Stadt zu erstellen, sondern einen “Stand der Dinge” abzubilden, der Platz für freie und eigene Interpretation lässt.?

Seit vielen Jahren fotografiere ich Städte und bin mit den Riten sehr vertraut, mit der man sich der Erforschung des Stadtbilds nähern muss. Aber eine verletzte, geschändete Stadt erfordert eine ganz besonderen Sensibilität, sie verlangt eine spezielle Aufmerksamkeit, man muss ihr mit Anteilnahme, aber auch mit Respekt begegnen. Zunächst sind da die Erschütterung und der Schmerz angesichts der Tragödie, dann die Angst und das Zögern, die dem rituellen Akt des Fotografierens, der Rücksichtnahme und Verantwortungsgefühl erfordert, vorausgehen. Dann geschieht etwas, vielleicht hört die Stadt zu, spürt das Zögern, sendet eine Nachricht aus und befreit mit Gelassenheit von dem Gefühl der Beklemmung, hilft, den versteinerten Blick zu lösen. Es entsteht eine metaphysische Stille, eine Pause, nach der man handeln, beobachten, und Maßnahmen ergreifen kann.

In den Folgejahren bin ich noch weitere drei Mal nach Beirut gereist, um den Wiederaufbau des Stadtzentrums mitzuverfolgen, das heute mit seiner neuen Skyline auf magische Weise wieder auferstanden zu sein scheint. Wenn ich die Möglichkeit habe, kehre ich mehrfach an die Orte zurück, die ich fotografiert habe. Für mich ist das die interessanteste und wirkungsvollste Art und Weise, eine konkrete Beziehung herzustellen, stärker in die Realität eingebunden zu sein. Das Zurückkommen schafft eine einzigartige Gefühlslage: Es ist wie das Warten auf eine ersehnte Verabredung, ein Wiedererwachen der Erinnerung an Orte, Gegenstände und Personen, als würde man den Motor eines Autos, das lange nicht gefahren wurde, wieder anlassen.

In Beirut war es aber noch mehr. Zwischen meinen Aufenthalten lagen nur wenige Jahre, aber dennoch war es jedes Mal so, als käme ich nach undenklich langer Zeit hierher zurück, einer Zeit ohne Zeit, die ein kleines Stück Weltgeschichte beinhaltet, die Erinnerung an eine Welt, die versunken ist in der physischen Realität eines Ortes. Die heutige Stadtlandschaft wälzt die kompakte und kohärente Ikonographie des alten Beirut radikal um. Wenngleich das Stadtbild im Zentrum heute perfekt die alte Topografie widerspiegelt und fast alle historischen Gebäude mit nahezu minimalen Abweichungen originalgetreu wieder aufgebaut wurden, existieren ausgedehnte Leerflächen zwischen dieser neuen “Zitadelle” und dem Meer. Auf diesen Flächen entsteht jedoch mit schwindelerregender Geschwindigkeit ein neues Beirut, das zwangsläufig anders sein wird und dessen explosive Kraft klar zu erkennen ist an den zahlreichen, am neorationalistischen Stil inspirierten, Neubauten, die im Umkreis zweier neuer städtischer Monumentalbauten angesiedelt sind: der Mohammad-al-Amin-Moschee am Platz der Märtyrer und der Central Souks von Rafael Money.”

Termin: Eröffnung am 12. Februar um 19.00 Uhr in der Galerie foto-forum, Bozen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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