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Engele und Teufele

st+tz+snDie Absicht war edel: Das Land wollte mit dem neuen Mediengesetz die Diskussionskultur im Netz „verbessern“. Jetzt stellt sich heraus: Vom Maulkorberlass profitiert am Ende nur der mächtige Athesia-Konzern.

von Anton Rainer und Artur Oberhofer

Kluge Unternehmer bedienen mehr als nur ein Marktsegment: Teure Mozzarella gibt’s als neu verpackte Billigvariante beim Discounter, vier der fünf beliebtesten Schokoriegel gehören derselben Firmengruppe – und Verlage mit starken Medienmarken holen sich gerne einen schmuddeligen Zweitbetrieb ins Sortiment.

Was der WELT ihre BILD ist dem Südtiroler Medienhaus Athesia (Dolomiten, Stol) ihr „Südtirol News“ – ein kleines Online-Portal, das sich hauptsächlich durch die Veröffentlichung von Pressemitteilungen und ein lebhaftes weil kaum bis gar nicht moderiertes Forum auszeichnet.

Bekannt ist: Das Medienhaus Athesia hat „Südtirol News“ als Stör-Portal (auch gegen die TAGESZEITUNG) gekauft und in der Folge als Feigenblatt-Oppositions-Portal positioniert. Bezeichnend ist der stiefmütterliche Umgang des Medienhauses Athesia mit „Südtirol News“.

Toni Ebner & Co. tun öffentlich so, als hätten sie mit dem Portal gar nichts zu tun.

Der Grund: Das „Südtirol News“-Forum ist, abgesehen von Facebook und anderen sozialen Netzwerken, die mit Abstand giftigste Kommentarspalte des Landes – und damit die Gegenthese zu einem Passus, den Landeshauptmann Arno Kompatscher in jenes Medienförderungs-Gesetz schrieben ließ, das am 22. September im Landtagsplenum verabschiedet wurde.

Darin enthalten: Ein De-facto-Maulkorb für anonyme Kommentatoren.

So legt das frisch veröffentlichte Mediengesetz fest, dass „Ausgleichszahlungen“, sprich Förderungen, „nur jenen Online-Nachrichtenportalen gewährt werden, die für die Teilnahme an den Foren […] die Einrichtung eines persönlichen, nicht übertragbaren und passwortgeschützten Benutzerkontos vorsehen.“

Eine deutliche Kursänderung: Bisher hat TAGESZEITUNG Online als erstes Online-Medium in Südtirol Nutzerbedingungen eingeführt. Und: TAGESZEITUNG Online liegt die IP-Adresse jedes Kommentarschreibers vor – also dessen digitaler Fingerabdruck, über den jeder Nutzer identifizierbar ist.

Die Vorschrift, ein passwortgeschütztes Benutzerkonto einzurichten, stellt Online-Medien wie TAGESZEITUNG Online also vor ein schwieriges Dilemma:

Lässt man sich von Beiträgen ködern oder kaufen, würgt man mit großer Sicherheit die Diskussionskultur im Netz ab.

Wehrt man sich hingegen mit Nachdruck gegen die in Europa einzigartige politische Bevormundung, schreibt sich die Entschuldigung des Landes von selbst: „So schlecht kann es den Medien nicht gehen – unser Geld wollten sie ja nicht.“

Eine Vorlage, bei der man nur verlieren kann. Oder?

Das in Sachen öffentliche Beiträge seit jeher flexible Medienhaus Athesia wählte einen dritten Weg, mit dem es das Dilemma geschickt umschifft. Die einfache Rechnung: Wer beide Schienen fährt, muss sich erst gar nicht entscheiden.

Die Strategie, sich einigermaßen schizophren durch die Debatte zu schmuggeln, begann das Medienhaus Ende Jänner dieses Jahres. „Wer auf Stol einen Artikel kommentieren möchte, muss ab sofort seine Meinung mit vollem Namen unterzeichnen“, kündigte das Portal an – und zwar „als Qualitätssiegel und als Schutz vor Beleidigungen und vor rechtlichen Schritten.“

Seither pflegt das Online-Portal eines der rigorosesten Registrierungssysteme des Landes. Wer kommentieren will, muss sich mit Vor- und Nachnamen, Wohnort, Telefonnummer und E-Mail-Adresse outen – die Daten sind für jedermann einsehbar und prominent platziert.

Die logische Folge: Innerhalb der darauffolgenden Monate ebbte die einst problematische Kommentarflut vollständig ab. Und die User wanderten zur vermeintlichen Konkurrenz ab – dem (Athesia)-Portal „Südtirol News“, welches seither auf hunderte wütende Usermeldungen unter jedem einzelnen Artikel vertrauen kann.

Und während selbst Leitartikel des gedruckten Tagblatts Dolomiten anonymen Kommentatoren Feigheit vorwerfen und ihren Lesern raten, „mit ihrem guten Namen“ zu bezahlen, inszeniert sich „Südtirol News“ neuerdings als Kämpfer für die freie Meinungsäußerung.

„Kommentare, die schnell und unkompliziert gepostet werden können, sind ein Markenzeichen von Südtirol News“, schrieb das Portal vor wenigen Tagen und mutmaßte, „dass kritische und unbequeme Kommentare gegen Politiker mit dem Gesetz unterbunden werden sollen.“ Derweil erlaubt „Südtirol News“ sämtlichen Nutzern ohne Angabe von irgendwelchen Personalien, an Debatten teilzunehmen – das krasse Gegenstück zur Datenkrake Stol.

Anders gesagt: Engele und Teufele sitzen bei Athesia unter demselben Dach.

Entsprechend durchsichtig zeigt sich die Strategie des mächtigen Medienhauses: Bestätigen die Durchführungsbestimmungen des Landes die strenge Handhabe, muss sich TAGESZEITUNG Online entscheiden, ob man sich wehrt – oder das Geld nimmt und das Forum schließt.

Zur Freude von Athesia und „Südtirol News“.

Dagegen fährt Athesia ihre Doppelgleisigkeit munter weiter: Während man mit der rechten Hand („Südtirol News“) mit geballter Faust gegen den „Maulkorberlass“ des Landes wettert, öffnet man die linke Hand (Stol) für Beiträge – und die Konkurrenz schaut durch die Finger.

Kluge Unternehmer haben wenig Skrupel.

+++ UPDATE Dienstag 12.34 Uhr +++

Gegendarstellung

Der Alleinverwalter der Südtirol News GmbH, Bernhard Paris, begehrt folgende Gegendarstellung.

„Es ist unwahr, dass suedtirolnews.it als „Störportal“ erworben, ein „Feigenblatt, die „giftigste Kommentarspalte“ oder dessen Forum „kaum oder gar nicht moderiert“ sei. Wahr ist, dass die Kommentare ein wichtiger Bestandteil des Leserangebotes sind, diese einzeln und ausnahmslos geprüft und erst dann freigeschalten werden.

Wahr ist auch, dass suedtirolnews.it als erstes Südtiroler Portal eine Moderation und Leserbewertungen bei den Kommentaren eingeführt hat. Wahr ist, dass es eine eigene, selbstbewusste, unabhängige Redaktion und Positionierung hat.

Wahr ist, dass mit der Klarnamenregelung auf Stol nach dem Motto „unterschreiben Sie mit ihrem guten Namen“ die Wertigkeit der Kommentare erhöht werden sollte und wurde.

Wahr ist auch, dass die Klarnamenregelung Monate vor der Mediengesetzdebatte um dieses Thema, eingeführt wurde, Lob aus allen politischen Lagern bekommen hat und die Anzahl der Kommentare gestiegen ist.“

Bernhard Paris

Alleinverwalter der Südtirol News GmbH und

Koordinator Athesia Medien

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