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„Bin traurig und zornig“

„Bin traurig und zornig“

Hartmann Aichner war der letzte Primar der Geburtshilfe in Innichen. Ein Gespräch über falsche politische Entscheidungen, über die Hintergründe der Schließung und über die Zukunft des Krankenhauses.

TAGESZEITUNG Online: Herr Aichner, Sie haben die Geburtshilfe in Innichen maßgeblich geprägt. Jetzt wird sie zugesperrt. Überrascht Sie das?

Hartmann Aichner: Das war vorauszusehen. Ich bin überhaupt nicht überrascht. Doktor Mazzi war der letzte Arzt mit einem eigenen Team in Innichen. Jetzt, wo er gekündigt hat, war die Schließung nicht mehr zu verhindern.

Wie konnte es soweit kommen?

Als ich in Pension ging, hatte Bruneck versprochen, die Struktur in Innichen zu übernehmen und weiterzuführen. Aber das hat nicht funktioniert. Wohl weil der politische Wille gefehlt hat. Die Schließung war von langer Hand geplant, aber trotzdem ist jetzt alles sehr schnell gegangen. Es ist einfach niemand von der Stammmannschaft übrig geblieben.

Sterzing behält wahrscheinlich die Geburtshilfe im Krankenhaus, Innichen muss zusperren. Warum ist das so?

Ich persönlich denke, dass es auch deshalb soweit gekommen ist, weil sich die Sterzinger lautstark gewehrt haben. Im Oberpustertal hat sich letzthin niemand mehr besonders hervorgetan. Die Politik hat die Schließung gewollt und jetzt ist es soweit gekommen. Das macht mich sehr traurig.

Hat das Krankenhaus Bruneck überhaupt so viele Kapazitäten frei, um die Gebärenden aus dem Hochpustertal zu betreuen?

Die Patientinnen aus dem Comelico fallen wahrscheinlich weg. Es werden also rund 150 Geburten in Bruneck dazukommen. Ich gehe davon aus, dass man sich schon überlegt hat, wie das personell und logistisch machbar ist. Außerdem rechne ich damit, dass früher oder später einige Patientinnen nach Lienz ausweichen werden. In der Vergangenheit ist der Austausch über die Grenze aus versicherungstechnischen Gründen gescheitert, aber das EU-Recht spricht eine klare Sprache, da kann sich auf Dauer keine Gebietskrankenkasse widersetzen. Aber auch das sind wiederum politische Entscheidungen. Man erinnert sich vielleicht daran, dass vor einigen Jahren viele Osttirolerinnen nach Innichen wollten, auch die Bürgermeister der Gemeinden hatten sich dafür stark gemacht. Aber dieser Anlauf scheiterte.

Ein Blick in die Zukunft: Kann so etwas wie das geplante Frauengesundheitszentrum in Innichen funktionieren?

Ich denke schon. In einem solchen Zentrum sollen Hebammen die Untersuchungen bei unproblematischen Schwangerschaften vornehmen. Aber, sobald ein Ultraschall gemacht werden muss, braucht es wieder einen Arzt, das muss man bedenken. Auch für einen Pap-Test, für gynäkologische Visiten und Untersuchungen muss ein Arzt vor Ort sein. Freilich kann eine Hebamme Nachberatung und Stillberatung machen, das ist sicherlich sinnvoll. Aber als Ergänzung sollte doch ein Arzt im Dienst sein.

Ist es realistisch zu versprechen, dass die Hebammen im Hochpustertal bald auch Hausbesuche vornehmen werden? 

Das könnte durchaus gut funktionieren. Das Problem ist vielmehr: Manche Frauen werden sich entscheiden, gleich alles in Bruneck zu machen, wenn sie ohnehin dort entbinden müssen. Deshalb muss man auch Antworten auf die Fragen finden: Wie viele Hebammen werden in Innichen beschäftigt? Wie viel werden diese zu tun haben? Was kann alles angeboten werden? Die Geburtshilfe ist ein sehr weitläufiges Feld.

Was empfinden Sie beim Gedanken daran, dass Ihre Arbeit in Innichen nicht weitergeführt werden kann?

Meine Enttäuschung ist sehr groß. In Innichen hat man eine Institution geschaffen. Man hat erreicht, das Krankenhaus als babyfreundlich einzustufen. Ohne Auflagen. Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, andere Krankenhäuser haben das nicht. Das Krankenhaus Innichen war über die Jahre schlechtgeredet worden, obwohl es gar nicht schlecht war. Das finde ich schlichtweg absurd. Die Politik hatte wohl aus betriebswirtschaftlicher Sicht das Ziel, kurzfristig etwas einzusparen, aber langfristig sind diese Entscheidungen aus volkswirtschaftlicher Sicht völlig falsch. Hier bürdet man den Menschen eine Last auf, man schickt sie kreuz und quer durch das Land.

Es ist jetzt zwar etwas müßig darüber zu reden: Aber hätte es Alternativen gegeben?

Man hätte die Möglichkeit gehabt, die Geburtshilfe auszubauen. Dafür wäre es lediglich notwendig gewesen die Fühler in Richtung Osttirol und das Comelico weiter auszustrecken. Ich weiß bis heute nicht, warum man das nicht gemacht hat. Das macht mich traurig und zornig. Hier kann man nicht nur Rom die Schuld in die Schuhe schieben, das war auch eine politische Entscheidung, die hier im Land getroffen wurde. Diese Entscheidung ist in meinen Augen absolut frauenfeindlich. Das verstehe ich nicht.

Wie sehen Sie die Zukunft des Krankenhauses in Innichen?

Ich fürchte, es wird einen Dominoeffekt geben: als nächstes wird die Pädiatrie in Frage gestellt, dann die Anästhesie an den Wochenenden. Jetzt werden alle aufschreien und beteuern, dass das gar nicht stimmt. Aber ich bin überzeugt, dass es so kommen wird.

Interview: Silke Hinterwaldner

 

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