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Spurensuche

Sonia Leimer, Round Table, 2014 (Courtesy of Barbara Gross München  Nächst St. Stephan, Rosemarie Schwarzwälder, Vienna and the artist)

Sonia Leimer, Round Table, 2014 (Courtesy of Barbara Gross München Nächst St. Stephan, Rosemarie Schwarzwälder, Vienna and the artist)

Kunst Meran/Merano Arte zeigt in der Ausstellung From & To Arbeiten von zehn jungen Künstlern aus Italien und Frankreich. Beeindruckend die Metamorphose der Sinne und Formen, das panta rhei der Existenz.
von Pia Ogrizek

„Wer denkt ist nicht wütend“ steht in krakeliger Schrift auf Plexiglas geritzt. Das Plexiglas ist ein Ortsschild, in Betonfüßen verankert, und lädt den Besucher zu einer Reise an den fiktiven Ort ein. Zugleich ist es das Werk „Denkmal“ des Künstlers Leander Schwazer, der spielerisch den Satz Adornos zersetzt und den Betrachter v.a. zu einem auffordert: zu denken.

Die Ausstellung From & To, kuratiert von Valerio Dehò und Éric Mangion, hatte als loses Motto Zusammenarbeit und Auseinandersetzung. Die zehn Künstler haben sich zwei Jahre lang vor allem online ausgetauscht und gestritten, nun versucht jeder auf seine Weise, die Wut künstlerisch zu sublimieren. Wer denkt ist nicht wütend!

Beginnen wir mit zwei Werken von Julia Frank: In einem spärlich beleuchteten Raum stellt sie ein Etschufer dar, an dem Müll gestrandet ist: ein umgekippter Stuhl, Tierknochen und Fragmente schwarzer Autoreifen auf brüchigem, bröseligem Boden. Die Künstlerin stellt ein desolates, freudloses Ambiente dar, das der Mensch durch seinen Egoismus zerstört hat. Gleichzeitig weist sie auf die Begrenztheit der Ressource Erdöl hin. Es folgt die Videoinstallation Body Surface London, eine Performance von Julia Frank: In makellos grauem Anzug im Stil von Gilbert & George schnallt sich die Künstlerin eine Leinwand um und schleift sie in einem 45-minütigem Fußmarsch von Chelsea nach Kensington. Die Spuren und Verletzungen, die diese Aktion auf dem Material hinterlassen haben, sind neben dem Video – in einer Art enhanced virtuallity – sinnlich zu begreifen: Zum Teil ist der Stoff eingerissen, übersät mit Schmutz, Rasengrün, Hundekot: Zeugen der Erkundung einer Großstadt.

Das Teamwork Jambes de bottes der Künstler Diane Blondeau, Vivien Roubaud, Thomas Teurlai setzt sich mit dem unverwüstlichen Kunststoff auseinander. Man sieht einen überdimensional großen rotierenden Plastikkörper, aus Abfallplastik gegossen, der ein neues Leben als Musikinstrument erfährt: Durch Riemen, die auf riesigen Filmspulen kreisen, erzeugt dieser „Bootlegger“ seinen Sound.

In der Klanginstallation von Roberto Pugliese Emergenze acustiche werden sämtliche Daten, die diese Ausstellung und die Architektur betreffen, als chiffrierter Klang wiedergegeben. Verschieden große Plexiglaslampen dienen als Klangkörper und erzeugen eine suggestive Atmosphäre, die durch die ganze Ausstellung begleitet. Auch hier das Bedürfnis, Spuren zu verwandeln, die der Mensch und der Raum in begrenzter Zeit hinterlassen.

In der Videocollage von Leander Schwazer wird das Thema der sinnlosen Zerstörung aufgegriffen, in einem Zusammenschnitt aus Filmszenen, in denen systematisch Bilder zerstört werden, entweder aus purer Bosheit, Aggression, Rache, Tollpatschigkeit, blindem politischen Fanatismus oder Argwohn. Täglich sind wir Zeugen einer systematischen medialen Gewalt, die der realen vorausgeht oder ihr folgt. Die Gleichgültigkeit und Passivität, mit der wir zusehen, ist eine Folge der Bilderflut, die abstumpft und überfordert. In dieser visuell sehr eindringlichen Arbeit reflektiert Schwazer die geballte, rohe Aggression einer jungen Generation, die eigentlich aufbauen, vermitteln, kitten sollte.

Im selben Raum der Round table von Sonia Leimer: Aus mehreren kleinen Tischen, die in Beton gegossen sind, entsteht ein wackliger runder Tisch. Hier mischt sich das Private, Kleine, mit dem Öffentlichen, der Politik. Der Tisch weist aber eine Zäsur in der Mitte auf, als Hinweis auf das Scheitern der Einigung, sobald private Interessen in Frage gestellt werden.

Julia Frank, BSA - Body Surface Area London (video frame), 2014 (Foto Nils Erik Franson)

Julia Frank, BSA – Body Surface Area London (video frame), 2014 (Foto Nils Erik Franson)

Lorraine Châteaux versucht mittels Entfremdung Klischees, die von einem Ort oder einer Form ausgehen, zu durchbrechen. So ist eine Wand mit Schirmmützen übersät, die während einer Tour de France ins Publikum geworfen werden. Aus der Wand ragt das Schild einer Patisserie, Brezeln aus Gips hinterlassen Spuren an der Wand.

Eine äußerst interessante Arbeit stellen die Gebilde des Künstlers Tony Fiorentino dar. Auch hier ist das Bedürfnis zu verspüren, etwas zeitlich Begrenztes einzufangen, eine Spur zu hinterlassen. Wie in einem Aquarium sind kleine Skulpturen zu sehen, die dadurch entstehen, dass Zinkplatten in ein Bad aus Bleiacetat und Wasser gestellt werden. Die Platten sind von kleinen Partikeln übersät, die wie graue, glitzernde Korallenriffe aussehen. Diese Form existiert nur für die Dauer dieser Ausstellung, danach kehrt wieder die ursprüngliche Form zurück, sobald die Platten aus dem Acetat genommen werden, eine alchemistische Spielerei, auf die der Künstler auch im Werktitel hinweist: Dominium Melancholiae ist eine Anspielung auf den Meisterstich Albert Dürers, dessen Maße Fiorentinos Metallplatten haben.

Quentin Derouet schließt die Ausstellung mit großer Originalität: Auf unterschiedliche Arten legt er Spuren: an der Wand mit einem Rosenstrauch, der durch einen aggressiven Gestus Farbe hinterlässt, in der Luft durch einen Duft, der durch ein raffiniertes Erinnerungsspiel entstanden ist: Der Künstler hat sämtliche Zeichnungen seiner Jugend zerstört, destilliert und einen Parfümeur gebeten, daraus ein Parfum zu kreieren, welches er dann in seinen eigenen vier Wänden versprüht hat, auf seine Freunde, Kleider und Geliebten. Auf den Katalog der Ausstellung gesprüht trägt man den Duft nach Hause. Die Basisnote des Parfums ist der Geruch von Papier, der tagelang angenehme Spuren von Derouets Frühwerks hinterlässt.

FROM & TO ist Teil des Projekts PIANO, einem Internetportal für zeitgenössische Kunst in Frankreich und Italien, das von der Association française de développement des centres d‘art initiiert wurde.

Die Ausstellung in Meran ist bis zum 12. April zu sehen. www.kunstmeranoarte.org

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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