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Der Maulkorb

Die Süd-Tiroler Freiheit wollte am Freitag mit einem Südtiroler Arzt auf die Probleme im Gesundheitswesen hinweisen. Doch dem Arzt wurde ein Sprechverbot auferlegt.

„Mehr Therapie als Bürokratie!“: Die Süd-Tiroler Freiheit stellte am Freitag eine neue Plakataktion vor.

Auf einer Pressekonferenz wollte die Süd-Tiroler Freiheit zusammen mit einem Arzt aus Bozen auf die Probleme im Südtiroler Gesundheitswesen hinweisen. Der Arzt sollte die Problematik der ausufernden Bürokratie schildern. Doch ihm wurde von der Krankenhausverwaltung ein Sprechverbot auferlegt.

„Man wünscht keine Kritik am System. Wir zeigen dennoch die Problematik ungeschminkt auf“, so die Süd-Tiroler Freiheit.

Sie schreibt in einer Aussendung: „Südtiroler Ärzte müssen heute einen Großteil ihrer Zeit mit unnötiger Bürokratie verbringen. Dies geht nicht nur auf Kosten der Ärzte, sondern auch der Patienten.“

Die Plakate werden ab 14. Mai an diversen Bushaltestellen im Vinschgau zu sehen sein werden, die Botschaft gelte aber für ganz Südtirol. 

Die Ärzte-Berichte

Zwei Ärzte haben sich bereit erklärt, der Süd-Tiroler Freiheit die Situation zu erläutern. „Damit den beiden Ärzten beruflich kein Schaden zugefügt wird, geben wir deren Berichte anonym wieder“, so die Bewegung.

Ein Arzt berichte über allgemein südtirolweite Probleme im Gesundheitswesen, die dem italienischen System geschuldet seien, und widmet sich ausführlich dem Fall Schlanders:

„Ein großes Problem, das immer noch zu wenig durchdiskutiert wurde, ist der Ärztemangel. Im Ausland gäbe es mehr als genug Ärzte, die zweisprachig sind. Das Problem besteht darin, dass diese Ärzte nicht zurückkommen, weil das Südtiroler Gesundheitswesen nicht autonom entscheiden darf. Das einzige, was die Politik tun darf, ist Geld ausgeben.

Die Gesetze sind von Catania bis zum Brenner alle gleich, und somit wurde ein strukturelles Problem geschaffen. Dies ist typisch für das total italienische System. Die Ärzte kommen mit diesem System nicht zurecht. In Südtirol haben sie weniger Berufsaussichten.

Die Bezahlung, besonders für Jungärzte, ist im Vergleich zu Österreich, Deutschland, und vor allem der Schweiz, viel niedriger. Hinzukommt Folgendes: Sogar Ärzte, speziell junge Primare, die bereits in Südtirol sind, flüchten vom öffentlichen Sanitätsdienst weg ins Ausland. Dies ist ein ganz großes Problem etwa in Brixen.

Dabei gab es in der Vergangenheit eine Ärzteschwemme, doch die Ärzte wurden schlecht behandelt. Jetzt dagegen fehlen ca. 300 Ärzte. 

Die Bürokratie ist gewaltig! Diese hat eine lange Geschichte. Die Computerprogramme hat man stümperhaft schon vor Jahren angegangen, werden nur langsam weiterentwickelt und sind daher defizitär. Das Krankenhausinformationssysten (KIS) ist nicht ausgereift und noch zu wenig etabliert. Die Ärzte verlieren dadurch viel Zeit. Sie müssen viele Zettel schreiben, die Schwestern und Pfleger ebenso.

Bürokratie gibt es zwar auch in anderen Ländern, aber bei uns ist sie noch schlimmer als anderswo, weil wir ein schwaches Computersystem haben. Es weist enorme Defizite auf und geht auf den ehemaligen Sanitätsdirektor, Dr. Andreas Fabi, zurück. 

Die Probleme im Krankenhaus Schlanders sind folgende:

1. Immer mehr Abteilungen werden mit italienischen Ärzten, die kein Wort Deutsch sprechen, aufgefüllt. Besonders frappant ist dies in der Pädiatrie. Dort sind mindestens 90 Prozent der Ärzte Italiener. In der Gynäkologie, Anästhesie Chirurgie und in der Ersten Hilfe sind es mindestens 50 Prozent. Die einzige Abteilung, in der noch unsere Leute sind, ist die innere Medizin.

2. Primariate des Krankenhauses Schlanders sollen mit den Primariaten des Krankenhauses Meran zusammengelegt werden. Nur die innere Medizin soll ausgenommen werden. Zwar sieht ein italienisches Gesetz die Zusammenführung der Primariate vor, doch für das Krankenhaus Schlanders ist dies eine ganz schlechte Entwicklung.

Beispiel Radiologie: Der ehemalige Gesundheitslandesrat Richard Theiner hat das Primariat für die Radiologie bereits vor Jahren abgeschafft. Der Primar sitzt also in Meran. Zudem verfügt dort die Radiologie über weitere zehn bis 14 Ärzte. In Schlanders gibt es nur einen Radiologen. Das Problem: Im ganzen Vinschgau gibt es keine Magnetresonanz, während es in Meran drei gibt (zwei im Landeskrankenhaus und eine in der Annaklinik).

Die Patienten im Vinschgau sind gezwungen, vermehrt entweder nach Zams im Oberinntal auszuweichen oder einen privaten Radiologen aufzusuchen. Dabei gilt die Magnetresonanz heutzutage als Routineuntersuchung. Hinzuzufügen ist, dass es bei der Radiologie in Schlanders keinen nächtlichen Bereitschaftsdienst gibt.

Im Krankenhaus Schlanders kann deshalb ab 17 Uhr und am Wochenende keine Computertomographie mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Die Patienten müssen daher nach Meran. So etwas kann also herauskommen, wenn ein Primar für zwei Krankenhäuser zuständig ist.

Es sei daran erinnert, dass im Südtiroler Landtag die Vinschger Landtagsabgeordneten gegen den Erhalt der Primariate gestimmt haben!

3. Die „Freunde des Krankenhauses Schlanders“ haben das Gefühl, gegen eine Betonmauer zu rennen. Das einzige, was sie erreicht haben, ist, dass die Geburtshilfe noch da ist. Andere Abteilungen wie die Chirurgie sollen sterben. Es gab bereits den Plan der Tageschirurgie. Dort sollen nur noch Minioperationen durchgeführt werden. Dies bedeutet, dass eine Blindarmoperation in Zukunft in Meran durchgeführt werden soll. 

Fazit: Es braucht gewaltige Veränderungen! Doch das Problem ist politisch und hängt am italienischen System. Die Ärzte haben ganz wenig Rückhalt von der regierenden Politik. Es braucht jemand, der Andere vor sich hertreibt. In den Medien wird vieles kleingetreten. Man hält sich – und das ist augenscheinlich – enorm zurück. Man merkt, dass heuer Landtagswahlen sind.“

„Mein wichtigstes Werkzeug? Kugelschreiber“

Der zweite Arzt beschreibt seine Stellungnahme vom praktischen Blickpunkt aus und anhand von konkreten Beispielen. Für ihn ist es insbesondere die Verwaltung, die krankt:

„Eine gesunde Verwaltung gehört zur guten Unternehmensführung. Wenn die Verwaltung  aber zunehmend in die Abwicklung der eigentlichen (produktiven) Arbeit eingreift und somit deren Effizienz mindert, ist der Toleranzwert überschritten. Die Verwaltung des Sanitätsbetriebes nähert sich besagtem Toleranzwert – fühlbar an der täglichen klinischen Arbeit, sichtbar an den Zahlen zu den Kosten.

Im Gesundheitswesen leidet aber nicht nur das medizinische Personal unter dem bürokratischem Aufwand, sondern direkt und indirekt auch der Patient.

Mein wichtigstes Werkzeug? Nein, nicht das Skalpell. Es ist der Kugelschreiber. Ein gefühltes Drittel des Arbeitsaufwandes verbringe ich mit bürokratischer Leistung. Dieser Anteil kann auch, den Zeitaufwand betreffend, bis auf drei Viertel ansteigen (praktisches Beispiel: stationäre Aufnahme).

Zudem wird eine Formularschlacht betrieben, die Daten liefern soll: Daten zur Effizienzerfassung, Daten zur Zielrichtung, Daten zur Bestätigung der Zielrichtung, Daten zur Auslastung (Beispiel: statistische Erfassung Aufnahme / Entlassung, gerechtfertigte Aufnahmen). Gerne werden auch Bestätigungen über Bestätigungen verlangt (Beispiele: OP-Bericht, Hilfsmittel).

Die Zeiten der digitalen Erfassung sollen Erleichterung schaffen – sollten! Denn wider Erwarten wächst der Arbeitsaufwand, wenn digitale Daten nicht digital belassen werden, weil davon wieder eine Kopie in Papierform zur Archivierung notwendig ist. Es bleibt ein Trugschluss.

Im Durchschnitt erwartet mich alle vier Monate eine neue Liste, ein Zusatz in einem Programm, ein neues Formular. Die alleinige Unterschrift auf vielen Formularen ist nicht ausreichend: der Stempel des Arztes muss mit drauf. Aber die gestempelte Unterschrift ist auch nicht ausreichend: sie muss vom Vorgesetzten noch unterschrieben und gestempelt werden.

 Ein Teil der Datenerfassung dient der Qualitätssicherung und der Entwicklung. Kein Zweifel an deren Sinnhaftigkeit. Fraglich ist nur die Art und Weise dieser Erfassung (Beispiel: Prothesenregister).

Vieles an diesem bürokratischen Aufwand ist hausgemacht: keine gesetzliche Vorschrift gibt diesen vor, vielfach ist es Usus, oftmals Automatismus, immer wieder neue Selbsterfindung. Es scheint nicht bewusst zu sein, wie sich verschiedene administrative Vorgaben auf die Praxis auswirken, wie stark die Bürokratie in das medizinische Handeln eingreift.

Sogar in Büros der Verwaltung seufzen Mitarbeiter unter der Formularflut: als wenn es sonst nichts zu tun gäbe! Mit gebundenen Händen zeigt sich Ratlosigkeit.

Seitens der Patienten wird beklagt, dass das medizinische Personal zeitlich so knapp bemessen sei. Keine Zeit zum Reden, keine Zeit zum Fragen, keine Zeit für einen persönlichen Kontakt, lange Wartezeiten auf Visiten, lange Wartezeiten auf Untersuchungen und Therapien.

Was wäre, wenn nun ein gefühltes Drittel mehr von dieser Zeit zur Verfügung stünde? Zufriedenere Patienten, kürzere Wartezeiten, mehr medizinische Leistung, mehr Behandlung.“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (19)

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  • erich

    Was prangert die SF hier an, das gibt es in keinem Privatbetrieb, das ist auch der Grund warum öffentliche Betriebe oft Schwierigkeiten haben. Kritik oder Missstände sind intern vorzubringen, wenn das so weit ausartet, dass Parteien oder Presse einzelne Mitarbeiter interviewen dann ist das der Anfang vom Ende eines Betriebes. Hier geht es nicht um den Mitarbeiter, der wird nur von einer Partei instrumentalisiert.

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