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Der Absturz in die Normalität

Florian Kronbichler (Foto: Fb)

Politikerprivilegien ade: Der Ex-Onorevole Kronbichler beschreibt, wie schwierig es ist, in die Welt des Florian Normalverbraucher zurückzukehren.

Er sei auch nur ein Mensch. Tja, ein bisschen habe er die Politiker-Privilegien als Onorevole auch genossen. Und jetzt vermisst er sie bereits.

Florian Kronbichler hat auf Facebook unter dem Titel „Der jähe Absturz in die Normalität“ laut darüber nachgedacht, wie schwierig es für den Onorevole Kronbichler ist, in die Welt des Florian Normalverbraucher zurückzukehren.

Lesen Sie selbst:

„Politiker sind auch nur Menschen. Sagt sich so leicht. Die Floskel ist gewöhnlich mildernd gemeint. Will sagen: haben halt auch Schwächen. Drum, seien wir nicht zu streng mit ihnen! Doch nein, ich durchlebe alleweil die umgekehrte Erfahrung: nämlich die Wieder-Mensch-Werdung des Politikers von ehedem. Da warst du Parlamentarier, bis gestern, und auf einmal bist du nur noch normaler Mensch. Und wie in allem im Leben, es sind die Kleinigkeiten, die das Problem groß machen.

Eigentlich hielt ich mich für vorbereitet, aber es kam ärger, und zu Anfang stand ein Missverständnis. Die Dienststelle für Parlamentarier hatte uns Scheidenden per Rundmail mitgeteilt, dass unser Parlamentarierstatus mit 22. März 2018 verfällt. Das wusste ich.

Deshalb freute ich mich über den Zusatz, wonach die georderten Fahrten per Zug oder Flugzeug (im Inland) noch bis Monatsende März Gültigkeit hätten und gratis wären. Angenehm, dachte ich. Und eingedenk der dereinst dem Parlamentarier lebenslang zustehenden Spesenbefreiung für Fahrten aller Art, entschloss ich mich, den kleinen gewährten Zeitskonto ohne schlechtem Gewissen in Anspruch zu nehmen.

In Rom hätte ich noch allerhand zu erledigen, am Außenministerium den Dienstpass zu erneuern (für eine Wahlbeobachtungsmission demnächst in). Außerdem hatte ich einem Schriftstellerfreund auf Sizilien schon lang versprochen Aserbaidschan, ich würde ihn einmal besuchen. Was lag da näher, als alles zusammenzulegen, die gestreckte Fahrtengelegenheit auszunutzen und Tickets zu ordern: Bozen – Rom mit dem Zug, Rom – Catania mit dem Flugzeug, hin und retour.

Ich wende mich ans Reisebüro der Abgeordnetenkammer, die Beamtinnen dort kennen mich, das ist hilfreich, und vorsichtshalber versichere ich mich, ob alles noch gratis sei, so wie die letzten fünf Jahre und wie ich es aus dem Rundmail verstanden habe. Nein, ist es nicht: Mit dem Parlamentarierstatus ist am 22. März auch das Recht auf Freifahrten verfallen. Ausgenommen nur jene Fahrten, die bis zum Verfallsdatum, eben 22. Dezember, bestellt waren. Hatte ich nicht.

Also erkundigte ich mich nach dem Preis. Rom – Catania, nur Hinflug: Nur noch zwei Restkarten, 460 Euro pro Person. Hoppla! Man erklärt mir, es sei wegen der Ostersaison. Nach Ostern werde alles wieder günstiger. Verschiebe ich meinen Sizilien-Besuch doch lieber und fahre nur nach Rom.

Meinen Termin am Außenministerium habe ich Mittwoch, 12 Uhr. Dafür muss ich den ersten Zug nehmen – Bozen ab: 5.16 Uhr. Rosmarie, meine Frau, war so klug und wusste, ich muss erst die Fahrkarte nehmen. Es war – ich wusste das von Kollegin Luisa Gnecchi – „das letzte verbliebene Privileg der Parlamentarier“, – dass man in jeden Zug Italiens ohne Billett einsteigen kann. Kam der Schaffner, zeigte man ihm die „tessera“, den Parlamentarierausweis, er machte Billett und wies einem den Platz zu. Platz für einen Parlamentarier war immer, auch wenn es hieß, der Zug sei ausverkauft.

Das Billett Bozen – Rom, 2. Klasse, kostete 90. Euro. Das darf einen viel deuchen, wenn er fünf Jahr lang gratis gefahren ist, und das dazu erster Klasse. Eigentlich hatte ich mich zu Anfang der Legislatur vorgenommen, prinzipiell 2. Klasse zu fahren.

Florian Kronbichler vor dem Wirtschaftsministerium

Das hehre Prinzip verging mir bald. Erstens entdeckte ich bald den Vorteil der 1. Klasse. Abgesehen vom Komfort, man fand immer Platz, man konnte arbeiten, und zweitens blieb ich, wenn ich gelegentlich zweiter fuhr, nie unbehelligt. Wenn nicht der Schaffner, so fragten einen schon mitreisende Bekannte, was man hier suche. Ob man Bürgernähe demonstrieren wolle. Mir kam eine Episode mit Alexander Langer in den Sinn.

Der hat zu seiner Zeit als Landtagsabgeordneter (1980er Jahre) gern in der Kolping-Mensa gegessen. Bis er einmal, in der Warteschlange stehend, hinter sich ein paar Lehrlinge motzen hörte: „Was nimmt denn dieser Langer uns hier die Plätze weg? Der könnte auch im Gasthaus essen“.

Sitz ich also im Frecciargento, 2. Klasse, mit normal erstandenem Billett. Geht schon, halt freilich viel enger. Ich liebte die Einzelsitze in der Ersten, und vorzugsweise ohne Gegenüber mit Tisch dazwischen. Man hatte Ruh und konnte lesen, schreiben und telefonieren. Hier, in der Zweiten gibt’s keine Einzelsitze. Man sitzt gewissermaßen zu viert am Tisch. Darauf kämpft jeder um sein Plätzchen, und unter dem Tisch ist ein ständiger stiller Krieg um Beinfreiheit im Gang. Und ist’s hier nicht nur enger, sondern holpert der Zweitklasse-Wagon auch stärker als der Erstklassige? Mir kommt so vor. Toiletten sind auch weniger, und sind sie doch dreckiger?

Ich schäm mich für den Verdacht.

Zug fahren werde ich fortan also weniger komfortabel. Ich habe mich bisher immer gewundert, wie mich Leute für mein wöchentliches Bozen-Rom-Bozen-Pendeln bedauern konnten. War ausgesprochen angenehm.

So Richtung Auer befiel mich ein nächster Kummer: die Zeitung! Ich hatte mir abgewöhnt, am Bahnhofskiosk eine der großen italienischen Zeitungen zu kaufen. Wie vertraut das Geschepper an den Übergängen der Erste-Klasse-Wagone! Es bedeutete, der Mann mit den frischen Zeitungen kommt. „Corriere, Repubblica, Gazzetta …“ rief er.

Florian Kronbichler

Man konnte eine wählen. Gratis, versteht sich. Unter geübten Erste-Klasse-Passagieren galt längst das stille Übereinkommen, dass Nachbarn nicht eine und dieselbe Zeitung wählten. Man tauschte dann. Der Getränkewagen war auch schon einmal besser bestückt. Trenitalia spart. Auch an seinen Edelkunden. Dass es in der 2. Klasse aber überhaupt nichts zu trinken oder zu knabbern gibt, ärgert mich erst jetzt.

Ich beginne mir vorzustellen, wie das erst in Rom sein wird. Im Parlament. Das Leben ohne Parlamentarierausweis. Werden sie mich hinein lassen – ohne tessera? Das denke ich schon. Ich habe dort viele Altmandatare unbehelligt ein- und ausgehen gesehen. Außerdem kenne ich viele vom Personal.

Ich vertraue darauf, dass fünf Jahre Höflichkeit von heute auf morgen vergessen sind. Und ich täusche mich nicht. Ich werde behandelt, als ob ich noch Parlamentarier wäre, werde „Onorevole!“ gegrüßt und durchgewinkt, wo immer ich auftauche und hinwill. Parlamentsangestellte sind die wandelnden Höflichkeiten.

Wissen, ob sie einem Ex-Parlamentarier zu seinem Ausscheiden gratulieren oder bedauernd kondolieren müssen. Jedem wird das Gefühl gegeben, dass sein künftiges Fehlen für das Parlament ein schwerer Verlust sei, für ihn persönlich sicher aber eine große Befreiung.

Ich schlendere durch den Palazzo. Wie viele Altkollegen doch da sind! Ich versuche, an ihren Mienen abzulesen, ob sie nun „wieder“ da, will sagen: Überlebende sind, oder so wie ich schon Ex sind, und in diesem Fall, ob sie freiwillig ausgeschieden oder bei den Wahlen entweder nicht kandidieren durften oder gar durchgesaust sind. Für jede Pathologie braucht es die geziemende Trostdosis. Ich weise jede Bedauernsbekundung zurück. Ich sei freiwillig ausgeschieden. Sei gern da gewesen, und bin glücklich, es nicht länger zu sein. Ist wahr, aber wie das jemandem glauben zu machen, der von den Wählern oder von seiner Partei verjagt worden ist?

Aus Gewohnheit schaue ich an meinem Postfach vorbei. Könnte ja noch irgendwas drin sein. Naivling! Wo ich war, da steht jetzt ein neuer Name drauf. Freundliche Neue nehmen mich mit an die Bar, in die berühmte Bouvet. „Geht auf mich“, spiele ich den Altmeister. Hätte ich nur nicht! Meine „tessera“ gilt nicht mehr. Abgelaufen mit 22. März 2015, und Bargeld habe ich keins dabei. Müsste dafür erst zum hausinternen Bankomat laufen. Und ob ich dort noch Zugriff habe? Alles kein Problem. Man hat Kollegen, ex und wirkliche. Doch mich lässt der Fall an den Wert der „tessera“ denken.

Mit ein bisschen Humor darf gesagt werden: Die „tessera“, das Kartl, ist das wichtigste Arbeitsgerät des Parlamentariers: Mit der „tessera“ weist er sich aus, wird überall durchgelassen, stimmt er ab, beweist seine Anwesenheit und bezahlt er.
Im Parlament ist das bargeldlose Leben schon verwirklicht. Basta la tessera.

Ich selber hatte das Privileg, dass ich nicht einmal diesen plastifizierten Ausweis zücken musste. An allen neuralgischen Stellen: Ämter, Restaurant, Bar, Kontrollposten wusste sie: „È quello con la kappa“. Es gab in der 17. Legislatur nur einen mit K. Die Frauen/Herren an den Kassen tippten das K (so sie es gleich fanden, was bei Amtsdienern mitunter keine Selbstverständlichkeit war), und schon erschien am Display mein voller Name. Während andere, wichtigere Kollegen in ihren Taschen herumfingerten und ihre „tessera“ nicht fanden, wunderten sie sich jedes Mal über die Vorzugsbehandlung, die ich genoss. Einfach „Kappa“ und basta. Das war ich.

Die Tessera ist jetzt tot. Ich merkte das erst nach und nach. Zuerst merkte ich, dass meine Mail-Box von Tag zu Tag weniger gefüllt war. Keine Einberufungen mehr, das war klar – und angenehm. Dann begannen, die vielen und weitgehend überflüssigen Benachrichtigungen abzunehmen. Kollegen, einst so schreibwütig, waren auf einmal still. Erleichtert, weil der Fülle schlicht überdrüssig, nahm ich das Verschwinden der diversen Presseschau-Mappen zur Kenntnis. Was da einem an Online-Pressemüll zugemutet wurde!

Jede Partei und aus jeder Partei jede Unterrichtung mit ihrem eigenen Pressespiegel. Zeitungen lese ich noch immer lieber selber, als dass ich mir von wechselnden Pressereferenten auswählen und vorkauen lasse. Und doch: Was hätte es all diese Pressefritzen und Agenturen gekostet, wenn sie mich weiter in ihrem Verteiler bleiben hätten lassen? Man empfindet in meiner Lebensphase gern als Abschalten, was anderszeitig ein Loslassen wäre.

Es wird Zeit für die Rückfahrt. Ich muss schon gelernt haben und erinnere mich daran, dass ich jetzt eine Rückfahrkarte lösen muss. Ich nutze dafür (noch) das Reisebüro der Kammer. Dort kennen sie mich. Ich habe nämlich immer eine Fahrkarte gelöst, bis mir Kollegin Gnecchi jenes „einzige verbliebene Privileg“ verraten hat, dass wir auch ohne in jeden Zug springen können. Auskunft der freundlichen Reisebüro-Frau: Alle Frecce und sonst wie zumutbaren Verbindungen Rom-Bozen ausverkauft. Erst für den nächsten Tag, Donnerstag, 29. März, 10.45, wären noch Restkarten. Wieso? „Ponte di Pasqua!“

Muss ich mir eine Gelegenheit zum Übernachten suchen. Das Zimmer, das ich für fünf Jahre bewohnte, habe ich an den weiterparlamentierenden Kollegen Schullian weitervermittelt. Der „Ponte di Pasqua“ hat selbstverständlich auch in Rom die Betten gefüllt und die Preise getrieben. Ein Freund findet mir noch ein nettes Zimmer zu einem jedem Politpensionisten zumutbaren Preis. So komme ich zu einem zusätzlichen Abend in Rom. Ich bin nur mehr ein Mensch, immerhin.“

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