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„Wir sind verklemmt“

Für Barbara Balldini ist der Valentinstag ein absolutes No-Go. Im Interview spricht die Sexualtherapeutin und Kabarettistin über das Smartphone als Lustkiller, „Shades of Grey“ und MeToo und darüber, warum die Leute viel weniger Sex haben.  

Tageszeitung: Frau Balldini, haben Sie den Valentinstag gefeiert?

Barbara Balldini: Nein. Ich finde den Valentinstag eigentlich ziemlich konstruiert. Ich sage zu meinem Mann immer, dass wenn er mir am Valentinstag Blumen schenkt, ich ihm diese um die Ohren schmeißen werde. Mein Liebster schenkt mir unterm Jahr überraschend mindestens einmal im Monat einen Blumenstrauß und das finde ich einfach entzückend und gehe vor lauter Freude fast in die Knie. Aber wenn man einen Tag kreieren muss, wo die Männer eh schon gestresst sind und sie dann auch noch Blumen besorgen müssen, dann tun mir die Männer leid.

Also arme Männer…

Für mich ist der Valentinstag ein künstliches Konstrukt. Ich sage auf der Bühne immer: Männer, schenkt den Frauen unterm Jahr immer wieder Blumen. Ihr habt keine Vorstellung, wie wir Frauen auf abgeschnittene Stängel abfahren. Aber der Valentinstag ist für mich ein No-Go.

Am Valentinstag geht es um die Liebe, um Beziehungen und um Sex. Frau Balldini, ist unsere Gesellschaft verklemmt oder hat sich in den letzten Jahren viel verbessert?

Im Gegenteil: Es wird wieder ärger. Ich habe das Gefühl, gerade weil wir so viel über Sex wissen, dass wir noch verunsicherter sind als früher. Früher haben wir unschuldig experimentiert, jetzt wissen wir so viel über Sex, dass wir im Bett Angst davor haben, etwas falsch zu machen. Ich bin schon vor zwölf Jahren auf die Bühne gegangen, merke aber heute, dass sich im Vergleich zu vor 12 Jahren nichts verbessert hat. Ganz im Gegenteil: Die Leute haben viel weniger Sex, weil sie zu viel Angst und Respekt davor haben, etwas falsch zu machen. Ich sage scherzhaft immer: Wir sind oversext und underfuckt (lacht).

Einerseits hat man das Gefühl, die offene Sexualität überflutet uns, andererseits gibt es noch immer viele Tabus.

Wir sehen in den Medien und Zeitschriften immer wahnsinnig schöne Menschen und mit sich selbst ist man mittlerweile so kritisch. Im Fernsehen müssen alle immer ganz toll sein und wenn ich selbst nicht auch so toll bin, dann leidet mein Selbstwertgefühl und ich traue mich im Bett nicht das zu sagen, was ich will, oder mich so zu bewegen, wie ich es gerne hätte – ich bin ja nicht so perfekt, wie das, was mir ständig vor Augen geführt wird. Auch Männer haben mittlerweile keine Lust mehr, sich die Anstrengung anzutun, Frauen zu erobern.

Weil es so hohe Erwartungen gibt?

Anstatt völlig fröhlich loslegen zu können, werden die Menschen von den Bildern in ihrem Kopf gehemmt – es gibt einfach auch so viele falsche Bilder.

Und Sie versuchen im Kabarett mit diesen vielen falschen Bildern aufzuräumen? 

Genau, wenn ich im Kabarett bin, dann räume ich ordentlich auf (lacht).

Und das funktioniert?

Ja total. Die Leute sind so dankbar, dass jemand laut anspricht, was in ihnen vorgeht. Die Leute sind sehr dankbar, weil es ein Aufklärungsprogramm und eigentlich kein Kabarett ist – aber es ist schon lustig.

Die Menschen trauen sich einfach nicht mehr, offen über ihre Sexualität zu sprechen… 

Das ist furchtbar und traurig, weil wir eigentlich im Zeitalter der Kommunikation leben würden. Alle sitzen vor ihrem Handy und tippen ununterbrochen, aber wenn es um das Gespräch geht, sind plötzlich alle sprachlos.

Haben Hollywood-Filme oder Bücher wie „Fifty Shades of Grey“ nicht mit vielen Tabus gebrochen?

Diese Filme schaffen nur neue Klischees, die wiederum stressen. Viele Frauen haben dieses Buch ihren Männern aufs Kopfkissen gelegt – so als stille Aufforderung. Dann ist der Mann wieder überfordert, weil er sieht, was er schon wieder alles bieten muss. Ich finde aber auch ganz spannend, dass in der Zeit, wo MeToo-Kampagnen für Schlagzeilen sorgen, Frauen Bücher lesen, wo sie unterworfen, gefesselt und ausgepeitscht werden (lacht).

Das genaue Gegenteil…

Genau, sie schreien MeToo und wollen sich andererseits unterwerfen. Das schlimme an „Shades of Grey“ sind aber die vielen Klischees, die bedient werden: Das Mädchen, welches eigentlich noch Jungfrau ist und dem schönen Millionär wiederstehen will, es aber nicht kann und hofft, dass sich der Millionär in sie verliebt. Diese Botschaft ist in meinen Augen als Expertin einfach nur dramatisch, weil ich nicht verstehe, warum Millionen von Frauen darauf reinfallen. Ich kann auch absolut nicht verstehen, warum Frauen diese Art von Literatur – die in meinen Augen absoluter Schund ist – schätzen und dann auch noch von ihren Männern verlangen, dass sie das lesen. Frauen wollen geachtet und geschätzt werden, aber im Buch werden sie gefesselt und ausgepeitscht – das ist doch skurril..

Vielleicht wollen die Frauen unterbewusst doch von ihrem Märchenprinzen erobert werden und die große Liebe finden…

„Shades of Grey“ ist ein modernes Märchen – Aschenputtel mit Hollywood-Einfluss. Das ist ja auch in Ordnung und die Frauen sollen es auch lesen, wenn sie das möchten, aber sie sollen deswegen nicht ihre Männer stressen. Was schon stimmt: Frauen wollen genommen werden und wünschen sich einen dominanten Mann, der diese Wünsche erfüllt. Wir Frauen sind mit unserem Leben – Arbeit, Erfolg, Kinder, Haushalt – eh schon  gestresst, dann wollen wir im Bett loslassen können und keinen anstrengenden Mann.

Themenwechsel: Frau Balldini, was sagen Sie zum Smartphone im Schlafzimmer?

Dass es ein absoluter Lustkiller ist. Acht von zehn Frauen heben ab, wenn das Handy während dem Sex klingelt. Fünf von zehn Männern ebenfalls. Alles elektronische, egal ob Handy oder TV, muss daher unbedingt aus dem Schlafzimmer verschwinden. Wir sind so etwas von medial verseucht, dass wir diese Geräte sogar mit ins Bett nehmen. Im Schlafzimmer sollte Platz für andere Sachen sein, für Gespräche, zum Lesen oder fürs Kuscheln. Ich bin mittlerweile schon ein altes Mädchen, aber früher ist uns im Schlafzimmer eigentlich immer etwas eingefallen – wir haben keine Handys gebraucht (lacht).

Wie wichtig ist Sexualität in einer guten Beziehung? 

Ich glaube es geht in einer guten Beziehung mehr um Intimität als um Sexualität. Diese Intimität, die man als Paar hat, ist viel wichtiger als die Sexualität, weil diese im Laufe der Jahre nachlässt. Aber wenn man sich berührt oder den Partner beim Kochen auf den Nacken küsst oder wenn man kuschelt, dann hält das eine Beziehung über die Jahre stabil. Wenn man sich nichts Schönes sagt und auch keine Zärtlichkeit austauscht, dann wird auch der Sex irgendwann sehr anonym und man macht es einfach, damit es gemacht ist und der Gatte wieder zwei Wochen nicht allzu grantig herumläuft.

Intimität hält eine Beziehung also lange gesund?

Intimität ist sicher wichtiger als regelmäßiger Sex. Viele Paare vergessen mittlerweile sogar sich zu begrüßen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen. Wenn Leute nur auf Sex, Erlebnisse und Highlights aus sind, dann sind sie früher oder später arm dran, weil sie nicht gelernt haben, Nähe zuzulassen.

Was ist das größte Problem im Bett?

Unehrlichkeit. Man ist mit sich selber und auch dem Partner gegenüber unehrlich. Die Frauen machen sich immer Gedanken darüber, ob sie gut waren, anstatt sich zu fragen, ob es ihnen gut geht. Frauen lassen Sachen mit sich machen, nur weil sie Angst davor haben, dass sie als prüde oder komisch angesehen werden. Ich sage immer: Leute, hört auf mit diesen ganzen Techniken, seid einfach füreinander da. Der größte Fehler ist, wenn die Leute denken: küssen, grapschen, lecken, vögeln – fertig, jetzt hatten wir Sex. Es gibt nichts Langweiligeres. Man muss einfach lernen, im Bett miteinander zu reden.

Frau Balldini, welche Tipps haben Sie für eine gute Beziehung?

In der Liebe geht es nicht darum, was ich kriegen kann, sondern darum, was ich geben kann.

Interview: Lisi Lang

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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