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„Gesteigerte Zufriedenheit“

Andrea Carteny, Historiker an der Uni La Sapienza in Rom, bricht eine Lanze für den Doppelpass: In Kroatien, Ungarn und Rumänien sei der Minderheitenschutz damit deutlich gestärkt worden.

Von Matthias Kofler

Die Süd-Tiroler Freiheit drängt weiter auf eine rasche Umsetzung des Doppelpasses. Um der Wichtigkeit des Anliegens Ausdruck zu verleihen, wurde ein Dozent der Universität La Sapienza nach Bozen eingeladen: Professor Andrea Carteny, Spezialist für Geschichte und Kulturen Mittel- und Osteuropas. Carteny stellte die Modelle der doppelten Staatsbürgerschaft in Kroatien, Ungarn und Rumänien vor und unterstrich, dass auch für die Südtiroler die doppelte Staatsbürgerschaft ein erstrebenswertes Mittel zur Stärkung des Minderheitenschutzes wäre.

„Nach dem Fall des Kommunismus und der Auflösung Jugoslawiens und somit auch im Kontext der erlangten Unabhängigkeit von ehemaligen Teilstaaten galt es, den Begriff der Nation neu zu definieren“, erklärte Carteny. Dies habe in den neuen Verfassungstexten und Staatsbürgerschaftsgesetzen seinen Niederschlag gefunden.

Allgemein sind die Voraussetzungen für den Erwerb einer zweiten Staatsbürgerschaft in diesen Ländern folgende: Die Bürger müssen Übereinstimmungen in der Herkunft (Ethnizität), in der Kultur (Tradition und Religion) und in der Sprache mit ihrer Mutternation aufweisen. Kroatien, mit etwas mehr als vier Millionen Einwohnern, gewährt die kroatische Staatsbürgerschaft der kroatischen Gemeinschaft im benachbarten Bosnien – dies sind bis zu einer halben Million Menschen. Ungarn, mit einer Bevölkerung von etwa zehn Millionen, bietet fast einer Million ethnischer Ungarn aus dem Karpatenbecken die ungarische Staatsbürgerschaft an – etwa die Hälfte davon lebt in Rumänien.

Rumänien, mit etwa 20 Millionen Einwohnern, hat in den letzten Jahren fast eine halbe Million rumänische Pässe an die rumänischstämmigen Bürger der Republik Moldawien (ein Land mit insgesamt 3,5 Millionen Einwohnern) ausgestellt.
Carteny argumentierte, dass die Möglichkeit des Erwerbs einer zweiten Staatsbürgerschaft die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und die spirituelle Solidarität zwischen der Mehrheitsbevölkerung des Mutterlandes und den außerhalb des Mutterlandes lebenden Minderheiten unterstreiche. Derselben Argumentation sei auch Italien gefolgt, als es in den 1990er-Jahren begann, den Italienern in Slowenien und Kroatien die italienische Staatsbürgerschaft in Aussicht zu stellen.

„Insgesamt haben sich zweite Staatsbürgerschaften als vorteilhaft erwiesen, weil sie zusätzliche Chancen und Rechte garantieren“, sagte Carteny. Er wies gleichzeitig aber darauf hin, dass eine zweite Staatsbürgerschaft sämtliche Nachteile, die sich durch den Minderheitenstatus einer Gemeinschaft ergeben, nur teilweise ausgleichen könne.

Cartenys These lautete: „Die freiwillige Möglichkeit – und nicht die Pflicht – eines Bürgers, die Staatsbürgerschaft seines Mutterlandes zu erwerben, trägt dazu bei, dass dieser als Teil einer Gemeinschaft anerkannt wird, die Zugehörigkeit zu einer Nation nicht mehr erzwungen und dass die Grenze zwischen Staaten weniger spürbar wird. Der Doppelpass ist keineswegs als eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu sehen, sondern führt unumstritten zu einer weiteren Bindung und Solidarität mit der Herkunftsnation und sorgt bei der Minderheit für mehr Zufriedenheit. Einer Minderheit dürfen die eigene Identität und die damit verbundenen Rechte niemals verweigert werden. Im Falle Südtirols wäre es vermessen, wenn Italien auf die österreichische Staatsbürgerschaft für die Südtiroler mit Unterdrückung und Abschaffung der Autonomie reagieren würde – sozusagen als Bestrafung. Die Autonomie ist ein bilaterales Abkommen und garantiert damit internationale Standards zum Schutz ethnischer Minderheiten.“

Mehrfache Identitäten und Kulturen seien in den offenen Gesellschaften ein Reichtum, hätten aber auch eine Grenze: „Eine europäische Staatsbürgerschaft könnte durchaus eine weitere gemeinsame Staatsbürgerschaft sein“, sagte Carteny. Sie solle jedoch nicht dazu führen, dass die nationale Identität und das Territorium der Zugehörigkeit aufgehoben werden. Darüber hinaus hätten die europäischen Institutionen, die das Modell einer politischen Nation voraussetzen, im Allgemeinen wenig Interesse an derartigen politischen Initiativen.

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Kommentare (33)

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  • unglaublich

    Egal ob man für oder gegen den Doppelpass für Südtiroler ist. Die Doppelmoral italienischer Regierungen ist schon peinlich. Den Italienern in Slowenien oder Kroatien die doppelte Staatbürgerschaft anbieten und in Südtirol dagegen sein.

  • andreas

    Das Gefühl, Österreicher zu sein, ist aber in Südtirol nicht sonderlich ausgeprägt, da wir eine eigene Identität entwickelt haben und Rechte haben, von welchen andere Bundesländer oder Regionen nur träumen können.
    Trotz der Zugehörigkeit zu Italien hat sich Südtirol besser als viele andere Regionen Europas entwickelt.
    So falsch war die bisherige Politik also nicht.

    Die ganze Aktion wirkt wie die Suche einer Daseinsberechtigung mancher Oppositionspartei.

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