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Guerilla am Brenner

Video-Quelle: Localteam

Am Landesgericht Bozen bereitet man sich auf zwei große Prozesse gegen Teilnehmer der gewaltsamen Ausschreitungen am Brenner vom 7. Mai 2016 vor: Gegen 63 Beschuldigte ist nun Anklage wegen leichter Delikte erhoben worden, weitere 70 Anklagen wegen Plünderung und Verwüstung sollen folgen.

Von Thomas Vikoler

Eine friedliche Kundgebung gegen die geplanten Grenzkontrollen, wie sich manch einer der anwesenden Politiker vielleicht er-wartet hatte, war das wahrlich nicht. Am 7. Mai 2016, einem Samstag, flogen am Benner buchstäblich die Fetzen. Rund 500, vornehmlich aus italienischen Städten angereiste Anarchisten, lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei.

Die setzte Wasserwerfer ein, 18 Beamte wurden verletzt, neun Aktivisten aus dem Schwarzen Block wegen Widerstands gegen Amtspersonen verhaftet. In einem Schnellverfahren zwei Tage später am Bozner Landesgericht wurden einige von ihnen zu Haftstrafen zwischen zwölf und sechzehn Monaten verurteilt und enthaftet.

Die Staatsanwaltschaft hat nun einen Strang der Ermittlungen zum Guerilla-Kampf am Brenner gegen die Grenzkontroll-Ankündigungen der österreichischen Regierung abgeschlossen.

Gegen insgesamt 63 Teilnehmer wurde Anklage erhoben – mit Vorladung zur Hauptverhandlung. Und zwar deshalb, weil es in der Anklage um vergleichsweise leichte Delikte geht: Abhalten einer nicht gemeldeten Demonstration, Unterbrechung eines öffentlichen Dienstes (mehrere Regionalzüge konnten wegen der kurzzeitigen Besetzung der Geleise nicht fahren) und das Tragen von waffenähnlichen Gegenständen.

Der Fall wurde Einzelrichter Michele Papparella zugeordnet, die erste Verhandlung könnte im Juni stattfinden.

Wesentlich komplexer ist der zweite Strang, zu dem die Ermittlungen kurz vor dem Abschluss stehen. Hier geht es um wesentlich schwerere Verbrechen: Etwa Verstöße gegen Strafrechtsartikel 419 des Strafgesetzbuches mit dem Tatbestand der Verwüstung und Plünderung („devastazione e saccheggio“). Darauf steht eine nicht unerhebliche Gefängnisstrafe von acht bis 15 Jahren. Zerstört wurden bei den gewaltsamen Ausschreitungen im italienischen Teil des Brenner-Passes die Uhr des dortigen Kirchturms, aber auch zahlreiche Fensterscheiben von Geschäften.

Am Landesgericht stellt man sich auf eine Mega-Vorverhandlung gegen voraussichtlich 70 Beschuldigte ein. Es wurde bereits darüber räsoniert, die Vorverhandlung in Räumlichkeiten außerhalb des Gerichtspalastes durchzuführen (die TAGESZEITUNG berichtete). Inzwischen ist man in der Strafabteilung zur Überzeugung gelangt, dass es ein Armutszeugnis für das Bozner Tribunal wäre, wenn die Verhandlung etwa in der Stadthalle stattfinden würde.

Beide Verfahren „bleiben“ also am Landesgericht, auch weil letztlich kein großer Auflauf von angeklagten Anarchisten zu erwarten ist. In Italien gibt es keine Pflicht, bei Verhandlungen anwesend zu sein. Und die Zahl der Anwälte, welche die Teilnehmer der gewaltsamen Demo am Brenner vor Gericht vertreten werden, wird sich in Grenzen halten.

Einer der Verteidiger wird der Trienter Advokat Giampiero Mattei sein, bekannt als Verteidiger von Peter Paul Rainer im Mordfall Christian Waldner.

Ein Teil der insgesamt 163 Personen, die von den Ermittlern aufgrund des umfangreichen Videomaterials als Täter identifiziert wurden, kommt aus Trient und Rovereto, die übrigen aus Städten in ganz Italien. Die Anarchisten-Szene hatte sich für jenen 7. Mai 2016 gut organisiert.

Neben der schwierige Identifizierung der mutmaßlichen Täter – ein Großteil von ihnen war während der Randale vermummt -, setzten sich die von Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante organisierten Ermittler auch mit der Frage auseinander, wer die Köpfe hinter den gewaltsamen Ausschreitungen waren. Das machte die Untersuchungen in der italienischen Anarchisten-Szene höchst aufwändig.

Oberstaatsanwalt Bramante erhielt bekanntlich wegen Drohungen aus diesem Umfeld Personenschutz.

Die Verteidiger werden aller Voraussicht nach für die Unschuld ihrer Mandanten plädieren, weil eine zweifelsfreie Identifizierung der aktiveren unter den Demonstranten nicht möglich sei. Es ist deshalb davon auszugehen, dass häufig ein verkürztes Verfahren beantragt wird. In einem solchen entscheidet der Richter aufgrund des vorliegenden Aktenmaterials. Im Falle einer Verurteilung gibt es immerhin ein Drittel Strafnachlass.

Möglich ist auch, dass sich an den Verhandlungstagen zahlreiche Unterstützer der Angeklagten vor dem Landesgericht einfinden werden, um ihre Solidarität zu signalisieren. Auch auf diese Eventualität bereitet man sich am Bozner Landesgericht vor.

Die Vorverhandlung zu den 70 Fällen von mutmaßlicher Verwüstung und Plünderung wird nicht vor Herbst stattfinden. Bis dahin dürfte das Hauptverfahren gegen die 63 Angeklagten zu den leichteren Delikten bereits am Laufen sein.

 

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