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Spaltpilz oder Chance?

Was denken die italienischen Abgeordneten über die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler? Und: Würden sie selbst um den Rot-Weiß-Rot-Pass ansuchen? Teil 1

Roberto Bizzo (PD): Als ich ein kleiner Junge war, hat meine Generation von einem vereinten Europa geträumt. Die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft wäre heute aus meiner Sicht das Ende dieses Traumes. Sie wäre ein folgenschwerer Schritt in Richtung einer Auflösung der Europäischen Union. Darüber hinaus gibt es viele weitere Bedenken historischer, politischer und wirtschaftlicher Natur, die den Vorschlag der doppelten Staatsbürgerschaft meiner Meinung nach nicht vertretbar machen. Es ist klar, dass ich um den Doppelpass nicht ansuchen würde.

Elena Artioli

Elena Artioli (A-Team): Ich habe das Schreiben von 19 Abgeordneten des Südtiroler Landtags an ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz Christian Strache selbst mitunterzeichnet und bin natürlich dafür, dass die Südtiroler eine doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Denn für mich gilt: Mehr ist besser als weniger! Jeder, der heute in Südtirol lebt, kann von dieser Möglichkeit Gebrauch nehmen. Mittlerweile gibt es viele Südtiroler mit einer ausgeprägten österreichischen Vaterlandsliebe: Diese Südtiroler lieben die österreichische Ordnung und Kultur. Viele Italiener sind heute noch fanatischer als die Deutschsprachigen Südtiroler, zudem gibt es viele Gemischtsprachige. Wichtig ist, dass wir niemandem etwas wegnehmen. Ich würde selbstverständlich um den Doppelpass ansuchen, meine Großmutter war Wienerin.

Alessandro Urzì

Alessandro Urzì (Alto Adige nel Cuore): Die Ersten, die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind, sind die Österreicher. Ich war öfter im Nationalrat und habe dort mit verschiedenen politischen Vertretern über das Thema gesprochen. Jedes Mal bekam ich dieselbe Antwort: Wir sind im Moment nicht interessiert, es ist nicht möglich, es ist kein Thema usw. Deshalb bin ich enttäuscht, dass dieses Thema in Südtirol wieder aufgegriffen wird. Ich frage mich: Worüber diskutieren wir überhaupt, wenn Österreich gegen den Doppelpass ist? Weiters ist unklar, wer die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen soll: nur die Deutschsprachigen oder alle Südtiroler? Auch die Asylanten, die Albaner und die aus Messina zugewanderten Italiener? Muss ich vorher die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung vorzeigen? Wie lange muss man in Südtirol leben: fünf Jahre, ein Jahr, zehn Tage? Oder haben das Recht nur Südtiroler, die seit 1918 hier leben? Das sind vielleicht sechs, sieben oder noch weniger Personen. Oder muss man nachweisen, dass man Vorfahren aus dem ehemaligen österreich-ungarischen Kaiserreicht hat? Reicht es aus, wenn nur ein Teil der Großeltern Österreicher ist? Oder müssen alle Großeltern Österreicher sein? Mein Großvater und meine Großmutter mütterlicherseits waren Österreicher aus dem Trentino, die Eltern meines Vaters aber nicht. Müssen die Großeltern deutschsprachig sein oder können auch Trentiner um den Doppelpass ansuchen? Was ist mit den Mailändern und den Venezianern, die ebenfalls zum Kaiserreich gehörten? Halb Europa war österreichisch-ungarisch. Österreich müsste also halb Europa den Doppelpass geben. Man muss den Menschen die Wahrheit sagen. Es reicht nicht zu sagen: Es wäre schön, wenn wir das bekommen. Auch der Vergleich mit Istrien ist fehl am Platz: Hier hat Italien wenigen Tausend Menschen die Staatsbürgerschaft gegeben, um sie politisch, wirtschaftlich und kulturell abzusichern. Es ging um ihr Überleben als Minderheit. Diese wenigen Italiener werden nie ein Problem für Kroatien. Österreich weiß aber, dass der Doppelpass für die Südtiroler sehr wohl zum Problem würde. Der Doppelpass wäre der Versuch, die Geschichte zurückzudrehen. Die deutschsprachigen Südtiroler sind hier in der Mehrheit und werden durch die Autonomie geschützt. Was mich persönlich betrifft: Im Moment brauche ich den Doppelpass nicht, aber die Österreicher bleiben für mich immer echte Freunde.

Umfrage: Matthias Kofler

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