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„Die freundliche Banalität des Bösen“

Gibt es Sebastian Kurz wirklich, oder er nur eine Erfindung von genialen Werbestrategen? Gibt es Parallelen zwischen Kurz und Jörg Haider? Warum ist die SPÖ so tief abgestürzt? Fragen an den Bildungsforscher Hans Karl Peterlini.

TAGESZEITUNG Online: Herr Peterlini, Kurz oder Kern? Ist die Wahl bereits entschieden?

Hans Karl Peterlini: Das glaube ich nicht, wobei ich ein schlechter Prognostiker bin und meistens falsch liege. In diesem Sinne würde ich gern eine katastrophale Niederlage der SPÖ vorhersagen– in der Hoffnung, falsch zu liegen, so dass in Österreich etwas von der für das Land wichtigen sozialdemokratischen Kultur gewahrt bleibt. Leider hat die SPÖ einen hervorragenden Wahlkampf gegen sich selbst führt.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Für einen außenstehenden Beobachter wie mich ist das nicht zu verstehen, auch weil die SPÖ thematisch durchaus hätte punkten können. Österreich ist, trotz allem, ein gut verwaltetes Land. Das erlebe ich, der ich aus Italien komme, jeden Tag. Die sozialen Strukturen und Stützungen sind solide bis sehr gut. Das soziale Auffangnetz für sozial Schwache und strauchelnde Menschen ist tragfähig. Wenn dem so ist, dann ist dies auch das Verdienst der sozialdemokratischen Kultur des Landes. Die SPÖ hat dies aber nicht kommunizieren können.

Wir haben dagegen eine Schmutzkübelkampagne erlebt, die schlimmer war als in den USA …

Ich glaube, dass dies nicht ein österreichisches Problem allein ist und auch nicht nur das Problem einer einzigen Partei. Das hat wohl mit der starken Verführung und zerstörerischen Kraft der neuen Medien zu tun, für die es noch wenig Kontrolle und auch keine gesellschaftlich und politisch ausgehandelten Regeln gibt. Da herrscht noch weitgehend das Faustrecht, und da wollten einige wohl sehr schlau sein. Die SPÖ hat es freilich am schwersten erwischt. Wie nachhaltig der Schaden ist, werden wir am Wahlabend wissen.

Wie erklären Sie das Phänomen Kurz?

Das Phänomen Kurz kann man nicht einschätzen, weil es so etwas noch nie gegeben hat. Es hat in Österreich das Phänomen Jörg Haider gegeben. Haider war ein politisches Ausnahmetalent, ein Phänomen, von dem man glaubte, es sei unwiederholbar. Haider hat eine ganz gezielte Politstrategie gefahren, indem er das rechte Reservoir, das es in Österreich gibt, ausgeschöpft hat. Gleichzeitig hat er es verstanden, modern, liberal und frech aufzutreten …

Gibt es Parallelen zwischen Haider und Kurz?

Ich würde sagen, es sind zwei unterschiedliche Phänomene. Kurz ist eine Erfindung innerhalb einer Partei. Er ist wie ein Musterschüler scheinbar mühelos aufgestiegen, zuerst als Integrationsbeauftragter, dann als Außenminister. Bei Haider war es ja so, dass er sich in der damals sehr verkrusteten FPÖ nach oben gekämpft hat. Er war ein Kärntner Bursch, seine von Tracht, Jagd, Stammtisch, Fingerhakeln umwehte Aura eines bodenständigen Rebellen war ganz wichtig für seinen Erfolg. Obwohl das Land Kärnten bis heute die finanziellen Folgen des Systems Haider abtragen muss, gibt es noch immer den Haider-Nimbus. Bis heute pilgern Haider-Fans zum Unfallort.

Bei Haider hat es eine territoriale Verankerung gegeben …

Richtig. Bei Kurz weiß ich das nicht. Worin ich mir nicht sicher bin, weil man es vielleicht noch gar nicht wissen kann, ist die Substanz hinter dem Phänomen. Ist er authentisch? Ist er ein gemachtes Phänomen? Ethnographisch fällt der messianische Blick auf den Wahlplakaten auf, der irgendwie auf Erlöserphantasien verweist. Das kann gut ankommen, es kann aber auch den Zweifel nähren, ob da tatsächlich eine Person dahintersteckt oder nur eine Erfindung von genialen Werbestrategen …

Vor einem Jahr wurde Kanzler Kern noch als der Retter der Sozialdemokratie gefeiert. Warum hat er so abrupt seine Strahlkraft verloren?

Das ist eine interessante Frage, denn auch Kern war neu, er war ein Quereinsteiger, obwohl er bereits vor seinem Eintritt in die erste Reihe in der SPÖ politisch gut verankert war. Ich erlebe Kern im TV und im Radio als Politiker, der sich gut bewegen kann. Aber er ist im Moment einfach weniger schick als das Phänomen Kurz. Beide punkten stark über ihre Persönlichkeit, aber Kurz ist jünger, er ist der, der eine alte Partei auf seinen Namen umbenannt hat, er kommt frischer rüber.

Wie konnte sich ein Bürschl wie Kurz im Nu zum Alleinherrscher in einer bis dahin starren, verkrusteten, schwerfälligen ÖVP hochpushen?

Ich habe nie verstanden, wie einige – und das meine ich ehrenvoll – Alte in der Partei wie Khol, Pröll, Fischler etc, die eine politische Kultur hinter sich haben, die Partei einem solchen Alleingang anvertrauen konnten. Das Phänomen Kurz kann aufgehen. Aber: Was passiert, wenn es nicht aufgeht? Gibt es dann noch eine ÖVP? Es ist mir unverständlich, wie diese Granden sich so überraschen und überrollen haben lassen.

Einer der Effekte des Phänomens Kurz ist, dass sich auch FPÖ-Chef Heinz Christian Strache seine Kanzlerpläne abschminken kann …

Einerseits ist Strache das Phänomen Kurz zugutegekommen, weil er nicht mehr der einzige böse Bube war. Es war auffallend, dass sich Strache zu Beginn des Wahlkampfes mit Brille präsentiert hat, er wollte sich wohl einen Anstrich von Seriosität verpassen. Das war dann wohl doch zu altväterisch, jetzt ist die Brille wieder ab, ein Trend zum seriösen Auftritt ist aber geblieben. Auch Strache schaut neben Kurz alt aus, die Themen gibt Kurz vor.

Kurz frisst also nicht nur Kern, sondern auch Strache?

Man muss das Wahlergebnis abwarten: Ich kann mir einen Kanzler Strache für Österreich nicht vorstellen, aber er hat gute Chancen, Vizekanzler zu werden, unabhängig davon, ob Kurz oder Kern gewinnt. Das ist angesichts seiner Herkunft von Rechtsaußen und ungebrochenen Nähe zu diesen Kreisen schon bedenklich.

Welcher war der Hauptfehler der SPÖ?

Sie hat sich in der Flüchtlingsfrage vor sich hertreiben lassen. Gerade in dieser Frage hätte die SPÖ auf ihre Werte beharren müssen, die durchaus auf fruchtbaren Boden gestoßen wären. Es gibt in Österreich nicht nur Flüchtlingspanik, sondern auch eine großartige Hilfs- und Aufnahmebereitschaft.

Hat Kurz seine harte Linie in der Flüchtlingspolitik gefahren, weil er davon überzeugt ist, oder weil er ein knallharter Opportunist ist?

Es haben sich Leute aus seinem Umfeld in der Integrationsarbeit sehr gewundert über die Wende ihres Ministers. Ich kenne einige, die sagten fassungslos: „Da redet jetzt ein anderer Mensch!“ Kurz hat in der Integrations- und Migrationspolitik durchaus neue Akzente gesetzt. Wie es dann zu dieser radikalen Wende kommen konnte, darauf findet niemand keine Antwort. Ich vermute: Er sah darin die politische Trumpfkarte, um einerseits Strache auszubremsen und um andererseits Kern unter Zugzwang zu setzen. Wenn das bewusst so gemacht wurde, dann war es ein genialer, oder besser auch genial zynischer Zug. Fakt ist, dass Kurz mit Werten wie Solidarität und Zusammenleben nicht sorgsam umgegangen ist.

Warum sind die Ösis in ihren Kurz so verliebt?

Er ist einerseits der klassische Schwiegersohn-Typ. Er verkörpert eine neue Generation, mit Bügelfalten und perfekter Frisur, etwas sympathisch Exaltiertes. Er spricht sehr gepflegt, er wird nie laut, er kann sich beherrschen, selbst wenn er extrem zuspitzt. Selbst wenn er – in der Quintessenz – sagt, es sei besser, dass Flüchtlinge ertrinken, als dass sie zu uns kommen, wirkt es nie hetzerisch. Seine Stimme klingt immer freundlich, sein Blick bleibt milde. Er sagt das, was viele Leute hören wollen, aber so, dass es plausibel klingt. Er sagt Dinge, über die die Menschen erschrecken würden, wenn sie Strache sagen würde. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er böse ist, weil er nett ausschaut.

Mit seinen Aussagen senkt Kurz aber die Hemmschwellen …

Richtig, er legitimiert damit Fremdenfeindlichkeit. Gerade seine ruhige, nie aufgeregte Art, mit der er Humanität aufgekündigt hat, erinnert mich an Hannah Arendts Aussage zur Banalität des Bösen … sagen wir die freundliche Banalität des Bösen

Kurz ist gefährlich?

Die Person müssen wir erst kennen lernen, das Phänomen gibt zu denken.

Philipp Achammer ist wie Kurz sicher ein politisches Talent. Achammer war ein großer Bewunderer des jetzigen Außenministers. Gibt es Parallelen zwischen diesen beiden Politikern?

Sie sind beide jungstark und politische Ausnahmetalente. Auch Achammer ist irgendwie ein Schwiegermutter-Typ. Ich konnte ihn am Beginn seiner Amtszeit teilweise auch aus der Nähe beobachten. Positiv beeindruckt hat mich, dass er zuhören kann – etwa bei seinem Marsch durch die Schulen. Auch als in Südtirol die Flüchtlingsfrage hochschwappte, habe ich es sehr geschätzt, dass Achammer dem Druck, der Fremdenfeindlichkeit die Tür zu öffnen, widerstanden hat. Kurz ist nicht nur dieser Versuchung erlegen, sondern er hat diese Welle geritten. Ich würde Achammer nicht den Ratschlag erteilen, sich Kurz als Vorbild zu nehmen. Mir ist ein echter Achammer lieber, als ein Kurz-Imitat. Das hat er nicht nötig.

Was würde ein Kanzler Kurz für Südtirol bedeuten?

Das kann man nicht sagen, weil man nicht weiß, wer Kurz ist. Der ÖVP, die er vertritt, war Südtirol immer ein Herzensanlagen, sie war, ebenso wie die SPÖ, für Südtirol ein verlässlicher Partner. Bei Kurz müssen wir, sollte er Kanzler werden, erst draufkommen, wie er wirklich agiert. Die Verbarrikadierung der Brennergrenze wäre kein großer Schritt.

Interview: Artur Oberhofer

Zur Person

Hans Karl Peterlini, Jahrgang 1961, war Chefredakteur der „ff“ und des Nachrichtenmagazins „Südtirol Profil“ und machte dann Karriere als Bildungsforscher. Im Studienjahr 2014/2015 wurde er auf den Lehrstuhl Allgemeine Erziehungswissenschaft und Interkulturelle Bildung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt berufen.

 

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