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Ein Sarner in Saudi-Arabien

Thomas Aichner

Der Sarner Thomas Aichner lehrt an der Alfaisal University in Riad. Der Uni-Dozent spricht über die Aufbruchsstimmung im Land und über seine Liebe zu Südtirol.

TAGESZEITUNG Online: Herr Aichner, Sie haben einen beeindruckenden Lebenslauf – ein Sarner in der großen weiten Welt, sozusagen. Strebten Sie immer schon eine Karriere außerhalb Südtirols an?

Thomas Aichner: Ich würde meinen Lebenslauf nicht beeindruckend nennen (lacht). Viele meiner Freunde und ehemaligen Studienkollegen arbeiten ebenfalls im Ausland. Die meisten haben das, so wie ich, nicht wirklich geplant.

In Saudi-Arabien sind Sie Assistenzprofessor für Marketing. In Bozen Dozent für Konsumverhalten. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf Herkunftslandeffekten und kundenindividueller Massenproduktion. Was kann man sich genau darunter vorstellen?

Grundsätzlich geht es in den meisten meiner Forschungsprojekte darum, das Konsumentenverhalten zu untersuchen und besser zu verstehen, wann, wo, wie, wie viel und warum etwas Bestimmtes gekauft wird. Das Herkunftsland eines Produktes hat beispielsweise einen entscheidenden Einfluss auf die wahrgenommene Qualität oder die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Südtiroler Hersteller profitieren von diesen sogenannten Herkunftslandeffekten, da das Label „Qualität Südtirol“ oder „Made in Südtirol“ bei vielen in- und ausländischen Konsumenten positive Assoziationen hervorruft. Die Wahrnehmung unterscheidet sich allerdings zwischen Angehörigen verschiedener (Sub-)Kulturen. Zum Beispiel präferieren deutschsprachige Südtiroler Produkte „Made in Germany“, während italienischsprachige Südtiroler Produkte „Made in Italy“ durchschnittlich besser bewerten. Dasselbe Phänomen wurde etwa bei französisch- bzw. englischsprachigen Kanadiern beobachtet, die französische bzw. amerikanische und britische Produkte bevorzugen. Bei kundenindividueller Massenproduktion oder maßgeschneiderter Massenfertigung geht es darum, einzelne Produkte mit der Effizienz von Massenproduktion herzustellen, um individuellen Wünschen und Bedürfnissen von Kunden nachzukommen. Dabei sollte das maßgefertigte Produkt, zum Beispiel personalisierte Turnschuhe, genauso teuer sein wie Massenware. Möglich gemacht wird Mass Customization durch das Internet, moderne Computersysteme und innovative Technologien wie 3D-Drucker.

Sie sind Professor an der Alfaisal University in Saudi-Arabien, wie erleben Sie das Land, die Leute und die Kultur dort?

Das Königreich Saudi-Arabien ist aus wirtschaftlicher Sicht ein äußerst interessantes Land. Mit der „Saudi Vision 2030“ wird versucht, die Abhängigkeit von Erdöl nachhaltig zu reduzieren und neue Einnahmequellen zu erschließen, insbesondere im Gesundheitssektor, bei der Bildung und im Tourismus. Dadurch ergeben sich sowohl für lokale als auch für internationale Unternehmen interessante Möglichkeiten, an diesem Auf- und Umschwung zu partizipieren. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre. Das ist sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung. Einerseits ist es dadurch einfacher, neue und innovative Ideen umzusetzen, andererseits müssen aber auch sehr viele Personen auf die Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereitet und in diese integriert werden. Man spürt die Aufbruchsstimmung und den Willen, etwas Großes zu schaffen. Dabei bekennen sich die Menschen zu Ihrer Kultur und halten die traditionellen Werte hoch – ähnlich wie in Südtirol.

Können Sie Unterschiede bei den Studenten in Saudi-Arabien und hier in Bozen feststellen?

Der direkte Vergleich ist sicherlich interessant. Allerdings ist es selbst bei kleinen Gruppen nicht möglich, verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Ich habe aber vielfach festgestellt, dass Saudische Studenten mehr über Europa, europäische Produkte und unsere Wirtschaft bzw. Unternehmen erfahren wollen. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass ich hier über die größte Erfahrung verfüge. An der Universität Bozen liegt das Interesse ebenfalls auf Europa, wobei auch viele nicht-europäische Fallstudien und Beispiele aus der Praxis besprochen werden. Die Zusammensetzung der Studenten in Bozen ist internationaler, während an der Alfaisal University überwiegend Einheimische studieren. Große Ähnlichkeiten gibt es in Bezug auf die Zukunftspläne. Sowohl in Bozen als auch in Riad gibt es viele Studenten, die das Familienunternehmen übernehmen, selbst ein Unternehmen gründen oder im Management internationaler Konzerne arbeiten möchten. An diesem Ziel arbeiten sowohl Frauen als auch Männer gleichermaßen.

Vermissen Sie Südtirol, wenn Sie im Ausland sind?

Ich liebe Südtirol. Egal, wo im Ausland ich mich befinde, fehlen mir die Südtiroler, meine Eltern und Freunde, die Landschaft, die Sprache und die Kultur. Und natürlich das Essen (lacht).

Können Sie sich vorstellen, ganz nach Südtirol zurückzukehren?

Im Moment reise ich auch aufgrund meiner Lehrtätigkeit an der Universität Bozen regelmäßig nach Südtirol. Mein Ziel ist es, früher oder später wieder ganz zurückzukommen.

Welches Bild haben Sie von Südtirol und wie beschreiben Sie Ihre Heimat Ihren Bekannten und Kollegen?

Südtirol ist für mich die perfekte Mischung aus Innovation und Tradition. Ich schätze es besonders – und setze mich auch dafür ein – dass wir unsere Traditionen pflegen und uns um unsere Südtiroler Mitmenschen kümmern. Ein Bild beschreibt aber oft mehr als tausend Worte. Ich habe eine große Sammlung von Fotos aus ganz Südtirol auf meinem Handy, dank derer Südtirol wohl schon auf der einen oder anderen Bucket List gelandet ist.

Interview: Silvia Ramoser

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

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  • brutus

    …sehr traurig, kein Wort von den Menschenrechtsverletzungen im Land, naja dann hätte er wohl das letzte mal in Riad gelehrt, denn:

    Saudi-Arabien gilt als eines der Länder mit den massivsten Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Die Menschenrechtslage ist verheerend. So sind die Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und die Rechte der Frauen stark beschnitten.

    Der in der Ölmonarchie verbreitete Wahhabismus – eine der konservativsten Strömungen des sunnitischen Islams – unterwirft Frauen strengen Regeln. Ohne die Genehmigung eines männlichen Vormundes dürfen sie nicht reisen oder heiraten. Auch Autofahren ist ihnen untersagt. In der Öffentlichkeit treten sie meistens nur verschleiert auf.

    Immer wieder kommt es zu Inhaftierungen und Hinrichtungen von Regierungskritikern und Aktivisten. Vor allem die drakonischen Strafen werden international scharf kritisiert. Für besonders großes Aufsehen sorgte weltweit der Fall des Bloggers Raif Badawi, der wegen Beleidigung des Islams zu 1000 Peitschenhieben verurteilt worden war.

    Die Zahl der Hinrichtungen stieg Berichten zufolge auf mehr als 150 Exekutionen in den vergangenen beiden Jahren. Unter Diskriminierung leiden die schiitische Minderheit im Osten des Landes sowie die Millionen ausländischen Arbeitskräfte.

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