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Die Flüchtlings-Zahlen

Mehr als die Hälfte der Asylanträge in Südtirol wird abgelehnt. Rund 1.000 Personen warten noch auf eine Erstentscheidung. Die Daten und Fakten zu den Asylverfahren.

von Heinrich Schwarz

Es sei „eine Absurdität, aber das europäische Recht ermöglicht es“, meint Luca Critelli zum Umstand, dass Migranten, deren Asylantrag in einem Land abgelehnt wurde, in einem anderen Staat erneut ihr Glück versuchen können. „Auch in Südtirol tauchen Personen auf, die bereits in anderen europäischen Staaten waren“, sagt Critelli, der als Direktor der Landesabteilung Soziales für Flüchtlingsfragen zuständig ist.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Asylantrag abgelehnt wird, ist statistisch gesehen höher als dass er angenommen wird. In Italien fallen 56 Prozent der Entscheidungen negativ aus, wobei sich diese Zahl im Laufe der Zeit immer wieder verändert.

Laut den landesweiten Daten erhalten neun Prozent der Asylbewerber einen internationalen Schutzstatus, zehn Prozent einen subsidiären Schutz und 25 einen humanitären Schutz.

Wie Luca Critelli erklärt, können diese Zahlen in etwa auch für Südtirol herangezogen werden.

Die TAGESZEITUNG hat sich beim Abteilungsdirektor erkundigt, wie es um die Asylbewerber in Südtirol steht. Critelli betont vorweg: „Die Daten, die sich auf die Personen beziehen, die zurzeit in den Aufnahmeeinrichtungen sind, sind nie zu 100 Prozent aussagekräftig. Dies aus dem einfachen Grund, dass die Daten nicht jene Personen berücksichtigen, die die Einrichtungen bereits verlassen haben müssen – aufgrund positiver oder negativer Entscheidung.“

Aktuell sind rund 1.650 Asylbewerber in den Südtiroler Einrichtungen untergebracht. Da viele erst in den letzten Monaten angekommen sind, wartet ein Großteil von ihnen noch auf die Erstentscheidung zum Asylantrag. Laut Critelli sind dies rund 1.000 Personen. Sie müssen zittern, wie die für Südtirol zuständige Prüfungskommission in Verona entscheidet.

Rund 85 Personen befinden sich nach einem positiven Asylbescheid noch in den Einrichtungen. 45 Personen davon wurde ein internationaler bzw. subsidiärer Schutz zuerkannt. Sie müssen die Einrichtungen sechs Monate nach der Entscheidung verlassen. Die anderen 40 Personen genießen einen humanitären Schutz. Sie dürfen nach dem Entscheid nur noch einen Monat bleiben.

Bleiben noch rund 560 Asylbewerber. Bei diesen handelt es sich um jene, die sich in der Rekursphase befinden. Das heißt: Ihr Asylantrag wurde von der Kommission abgelehnt, die Betroffenen haben allerdings dagegen rekurriert. „Es ist so, dass fast alle Personen mit einer negativen Erstentscheidung einen Rekurs einreichen“, erklärt Luca Critelli. Bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, können die Asylbewerber in ihrer Unterkunft bleiben.

Vor einigen Monaten wurde noch diskutiert, ob die Rekurse am Bozner Landesgericht behandelt werden sollen. Letztendlich blieb es wegen des zu kleinen Einzugsgebietes aber bei der alten Regelung: Zuständig ist eine spezialisierte Sektion am Gericht in Venedig.

Für abgelehnte Asylbewerber gibt es seit kurzem nur noch eine einzige Rekursmöglichkeit. Denn laut einem Dekret der italienischen Regierung, das im April vom Parlament genehmigt worden ist, können sich Asylbewerber nach einer zweiten negativen Entscheidung (Kommission und Landesgericht) nicht mehr an das Berufungsgericht wenden. Dadurch sollen die Verfahren beschleunigt werden.

Auch können die Richter nun entscheiden, ohne vorher den Asylbewerber anzuhören. Es reicht jetzt die Videoaufzeichnung der Anhörung in der Prüfungskommission.

Laut Luca Critelli kann ein Asylverfahren zwei Jahre dauern: Die Kommission entscheide in der Regel nach zehn bis 15 Monaten – bei einem eventuellen Rekurs dauere es noch einmal zwischen acht und zehn Monate.

„Entscheidungen zu den Rekursen hat es schon verschiedene gegeben – zum Teil abgelehnt, zum Teil angenommen –, aber sie betreffen Personen, die in der Regel schon nicht mehr in den Einrichtungen sind“, erklärt Critelli.

Je nachdem, ob ein Antrag angenommen oder abgelehnt wird, sind die darauffolgenden Wege für die Migranten zumeist schon vorgezeichnet.

Leben in der Illegalität

Wird ein internationaler Schutz (anerkannter Flüchtling) oder ein subsidiärer Schutz zugesprochen, haben die Betroffenen die gleichen Rechte wie Italiener. Demnach können sie sich auch im EU-Ausland niederlassen.

„Es gibt noch keine großen Erfahrungswerte, wohin diese Personen gehen, da es erst bei relativ wenigen Asylbewerbern eine definitive Entscheidung gibt. Generell bewegen sich jene Personen ins Ausland oder in andere italienische Regionen, die dort Kontakte haben. Jene, die in Südtirol eine Beschäftigungs- und/oder Wohnmöglichkeit haben, bleiben zumeist hier“, erklärt Luca Critelli.

Haben Migranten einen humanitären Schutzstatus – er ist zeitlich beschränkt –, haben sie eingeschränkte Rechte und werden laut Critelli praktisch wie Nicht-EU-Bürger behandelt. Sie dürfen in der Regel nicht ins EU-Ausland.

Für all jene Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wurde, kommt eine Rückkehr in ihr Herkunftsland höchst selten in Frage. Vielmehr wählen diese Personen zwischen zwei anderen Wegen.

Der eine führt in den Norden. Denn laut europäischem Recht können die Betroffenen in einem anderen Land einen neuen Asylantrag stellen. „Das ist aus meiner Sicht eine Absurdität. Aber die Gesetze gestatten das – zumindest so lange, bis eine Abklärung zwischen den Staaten stattgefunden hat“, kommentiert Luca Critelli. Es müsse also nicht unbedingt ein zweites vollständiges Asylverfahren begonnen werden.

Der zweite Weg führt direkt in die Illegalität. Die abgelehnten Asylbewerber tauchen in den größeren Zentren Italiens unter, leben dort in Armut und werden häufig ausgebeutet – vor allem im landwirtschaftlichen Bereich. Critelli sagt: „Die Betroffenen bleiben nur sehr selten in Südtirol, weil hier die soziale Kontrolle und jene durch die Behörden größer ist. Auch in Bozen ist es schwierig, anonym zu bleiben.“

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