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„Der Huber spielt die Tuba“

Hans Heiss

Kann ein Linker oder ein Grüner für Selbstbestimmung sein? Werden sich der linke Blaue Wolfgang Niederhofer und Ulli Mair in die Haare geraten? Kann man die Italiener ins Freistaat-Boot holen? Ein Interview mit Hans Heiss.

TAGESZEITUNG Online: Herr Heiss, kann ein Linker oder ein Grüner für die Selbstbestimmung bzw. für einen Freistaat Südtirol sein?

Hans Heiss: Selbstverständlich kann sich auch ein Südtiroler Linker oder Grüner solche politischen Perspektiven ausmalen. Aber in solchen Fragen bräuchte es einen Konsens aller Sprachgruppen, den ich unter deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern nicht sehe, unter italienischsprachigen schon gar nicht. Die Autonomie setzt auf Ausgleich und Gerechtigkeit zwischen den Sprachgruppen, auf Einschränkung staatlicher Souveränität, auf Entwicklung territorialer Selbstverwaltung, auf Wohlstandsmehrung und Verteilungsgerechtigkeit. Sie ist ein evolutionärer, gemeinsam zu beschreitender Weg, grundsätzlich anders als der Bruch, den ein Freistaat bedeuten würde.

Der Umstand, dass mit Wolfgang Niederhofer ein „linksliberal Sozialisierter“ zu den Freiheitlichen gestoßen ist, hat insbesondere in den sozialen Medien kontroverse Diskussionen ausgelöst. Sie kennen Niederhofer: Ist er ein blauer Wolf im grün-roten Pelz?

Leider kenne ich Wolfgang Niederhofer persönlich nur flüchtig, verfolge aber seine Stellungnahmen mit Interesse: Als „linksliberal“ würde ich ihn nicht bezeichnen, sondern als „Ökoregionalen“, als jemand, der auf Nachhaltigkeit, auf regionale Kreisläufe und bundesstaatlichen Föderalismus setzt. Vor allem ist er ein Utopist, der die Blauen dem bürgerlich-liberalen Lager zuführen will. Aber mit bürgerlichem Liberalismus und der Vision einer offenen Gesellschaft im Geiste von Popper und Dahrendorf haben die Freiheitlichen so viel zu tun wie Sacharin mit Rohrzucker – nämlich gar nichts. Niederhofer wird sehr bald – um Ihr Bild aufzugreifen – die Flöhe im blauen Pelz spüren, den er sich übergezogen hat.

Was halten Sie – nicht als Grüner, sondern als Politikinsider – von der derzeitigen Personalpolitik des neuen F-Obmannes Andreas Leiter Reber? Findet bei den Blauen ein Paradigmenwechsel statt?

Leiter Reber will offenbar interne Grabenkämpfe und Bruchlinien durch Professionalisierung und Verjüngung beenden. Mir steht nicht zu, bei der blauen Konkurrenz Eingeweideschau zu betreiben. Aber mit der neuen personellen Achse von Obmann-Landessekretär-Kassier will Leiter Reber Professionalität, Drive, Kampfgeist und den Zug zur Mitte signalisieren – gegen SVP und STF, die den Freiheitlichen immer noch den Rang abzulaufen droht.

Andreas Leiter Reber und Wolfgang Niederhofer

Glauben Sie, dass ein Wolfgang Niederhofer, der – wie er selbst sagt – das „menschenverachtende Gedankengut“ der Freiheitlichen bislang bekämpft hat, mit einer Ulli Mair kompatibel ist?

Wolfgang Niederhofer muss schon sehr missionarisch begabt sein, wenn er sein inklusives Gesellschafts- und Freiheitsmodell just bei den Freiheitlichen verwirklichen will, die ihr ihre Polit-Visionen auf Ausgrenzung begründen – raus aus Italien, raus mit Ausländern, raus aus der EU. Mit Ulli Mair kann man privat Pferde stehlen, politisch kann ich Wolfgang N. nur raten: „vai e via.“

Die ethnische Komponente – Deutsche gegen Italiener spielt in der Volkstumspolitik nicht mehr so sehr die zentrale Rolle. Für wie realistisch halten Sie ein Freistaatsmodell, das von allen drei Sprachgruppen mitgetragen wird?

Glauben Sie wirklich, der ethnische Konflikt und die wechselseitige Lauerstellung wären begraben? Misstrauen und Sorge sind vor allem unter Italienischsprachigen im Lande auf dem höchsten Stand seit vielen Jahren. Glauben Sie, dass sich Italiener in Südtirol auf einen Freistaat einließen, nachdem sie ständig von der deutschpatriotischen Rechten und Teilen der SVP hören: dass Italien den Bach runtergeht, dass der Staat und sie selbst nicht viel wert sind, dass viele Italiener im Grunde Faschisten wären? Ein Partner, der ständig die eigene Schwäche erlebt und der vorgeführt wird, wird sich nicht ins Boot des Freistaats setzen.

Warum überlassen Grüne und Linke das volkstumspolitische Feld den Rechten?

Eben aus dem Grund, weil wir nicht primär volkstumspolitisch denken, weil wir die Kategorisierung nach Volksgruppen als die Grundschwäche Südtirols ansehen, die Einteilung in Kästchen, gerastert nach Deitschen, Walschen, Krautwalschen und anderen. Wir sind primär Europäer mit starker regionaler Bindung; um die Volkstumspolitik reißen sich bereits zu viele andere.

Noch heute gibt es Leute wie Sigmund Kripp, der sich als Grüner bezeichnet, der die Selbstbestimmung als prioritär ansieht.

Ich schätze Freund Kripp, als klugen, in Wirtschaftsfragen exzellenten Mann von grimmiger Ironie. Aber er ist seit geraumer Zeit aus den Grünen ausgetreten. Als Unternehmer sieht er die Selbstbestimmung vorrangig, auch ist er ein Alt-Tiroler, dessen Beheimatung in Österreich auch familiär begründet ist. Kripp stellt sich die SB wie eine Scheidung nach langer Zerrüttung vor: Als sauberen Schnitt, wie zwischen Tschechien und der Slowakei. Aber dass die Autonomie gewachsen ist, dass sie Verbindlichkeiten und Verbindungen geschaffen hat, eine völkerrechtliche Grundlage von enormem Wert, die nicht auf die Müllhalde der Geschichte gehört, vermag er nicht zu sehen. Dass der Weg in die Selbstbestimmung das Vertrauenskapital, die Vorzüge der Autonomie und die Beziehungen der Sprachgruppen auf Dauer stören würde, scheint ihm nebensächlich.

Wie lassen sich diese beiden Seelen miteinander verzahnen: Grüne, die mit der Selbstbestimmung kokettieren und ein Riccardo Dello Sbarba, der entsetzt darüber ist, dass sich der Konvent mit der Selbstbestimmung befasst?

Es gibt unter eingeschriebenen Grünen in Südtirol kaum jemand, der mit der Selbstbestimmung flirtet: Wir sind hier nicht in Schottland oder Katalonien, wo Selbstbestimmung getragen ist von einem „civic nationalism“, einer inklusiven Vision, die alle hier Lebenden einschließt. SB heißt in Südtirol hinter dem völkerrechtlichen Firnis: Kleinhalten der „Walschen“, Heimatrecht nur für Südtiroler, Leitkultur als Pflichtprogramm. „Bei uns spielt noch der Huber die Tuba“, wie es Pius Leitner mal ausgedrückt hat. Hinter der Selbstbestimmung made in Südtirol steht die pure Reaktion – daher nein Danke! Riccardo Dello Sbarba ist nicht entsetzt, sondern realistisch.

In allen anderen Staaten sind die Grünen für die Selbstbestimmung, als Prinzip der Freiheit. In Südtirol nicht! Ist das von den Südtiroler Grünen propagierte interethnische Modell der Hemmschuh? So nach dem Motto: Die heiße Kartoffel ja nicht angreifen, damit wir die „Walschen“ nicht vergraulen?

Wer sagt, dass wir die ,heiße Kartoffel’ SB nicht angreifen? Der Wille zur Selbstbestimmung ist bei einer Minderheit der Südtiroler zwar intensiv spürbar. Ich sehe ihn aber nicht vorherrschend in der deutschen und ladinischen Sprachgruppe und ganz entschieden nicht bei Italienern: Genau dieser gemeinsame Wille aller Sprachgruppen aber wäre die erste Voraussetzung. Wenn aber tragende Kräfte einer Gesellschaft, wie es die Italiener Südtirols sind, zudem Teile der anderen Sprachgruppen, nicht mitgehen, dann droht nicht nur Misserfolg. Dann führt die Forderung nach Selbstbestimmung zur tief greifenden Spaltung, die ich mir für Südtirol nicht wünsche.

So verlockend der Ausblick auf die Selbstbestimmung erscheint, so groß die Sehnsucht danach unter manchen Bürgerinnen und Bürgern ist, der Weg unseres Landes bleibt für die Zukunft ein anderer, ein oft mühsamer, von Kompromissen gesäumter Weg. Das Ringen um eine verbesserte Autonomie mag oft unbefriedigend und ermüdend sein, sie sichert aber Frieden, Auskommen und Wohlstand, anders als der waghalsige ,Sprung ins Dunkel’ der Selbstbestimmung.

Ist der Fall Niederhofer ein Signal dafür, dass die Volkstumspolitik (der Freiheitlichen) jetzt einen intellektuellen Teint bekommen wird? Dass die Diskussion auf eine andere Ebene gehievt wird?

Die Freiheitlichen sind ihrer Natur nach tief greifend antiintellektuell: Bei ihnen zählen Hausverstand, Bauchgefühl und Polarisierung weit mehr als intellektuelle Schärfe und Differenzierung. Wolfgang Niederhofer und all jene, die auf ein Saulus-Erlebnis der Blauen hoffen, werden sich noch wundern.

Interview: Artur Oberhofer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (21)

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  • meintag

    Dass ein Dello Sbarba mit Selbstbestimmung und Tiroler Kultur nicht klar kommt liegt ihm im Grunde in der Wurzel weil er eine andere Erziehung über die Wertigkeit des Menschen genossen hat. Ein Beispiel hierfür ist Merkel welche auch den Sinn des Lebens in einer Anderen Wertekultur mit auf den persönlichen Weg bekommen hat. Die Charakter Beider ist dann das Resultat ihrer politischen Visionen.

  • unglaublich

    Das Selbstbestimmungsrecht ist ein Menschenrecht, das man nicht nach Belieben anwenden kann. Es steht allen Völkern dieser Erde zu, Punkt, ob es einem passt oder nicht. Die Grünen und besonders Dello Sbarba haben gezeigt, wie antidemokratisch und beliebig sie mit demokratischen Grundwerten umspringen. Dass Heiss Hans das auch noch verteidigt ist einfach nur traurig und unglaublich kurzsichtig.

  • george

    Ach, ihr Schwätzer (sehr viele hier!). Erkennt ihr nicht einmal, dass ihr nur leeres Stroh drescht mit euren Sprüchen, während euch der Lauf der Dinge dauernd überholt?

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