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„Extrem egoistisch“

Ester Quici im Gerichtspalast (Foto: Daniel Bologna)

Zahlreiche Lügen, eine dominante Täterin ohne Motiv und sechs vorsätzlich versetzte Messerstiche, die zum Tod durch Verbluten ihres Lebensgefährten Alessandro Heuschreck beitrugen. Die Urteilsbegründung im Fall Ester Quici.

von Thomas Vikoler

Geschworene in einem Strafprozess müssen in gewisser Weise auch Psychologen sein, um zu verstehen, was Angeklagte zu bestimmten Handlungen bewegt hat. Die 104-seitige Urteilsbegründung zum Mordfall Alessandro Heuschreck ist voll von psychologischen Einschätzungen. Auch wenn die Geschworenen das Urteil nicht verfasst haben (dies besorgte der Vorsitzende Richter Carlo Busato), so scheint sie die Persönlichkeit von Ester Quici besonders interessiert zu haben.

Ester Quici, 38, wurde am 11. März am Landesgericht zu 14 Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge („omicidio preterintenzionale“) verurteilt. Und nicht wegen vorsätzlichen Mordes zu 24 Jahren Haft wie von der Anklage beantragt.

In der Urteilsbegründung wurde diese Unterscheidung überzeugend herausgearbeitet: Ester Quici, die Lebensgefährtin des am 21. März 2015 in einer Luxuswohnung in der Bozner Freiheitsstraße verstorbenen Alessandro Heuschreck, wollte nicht töten. Sie hat den 51-jährigen Angestellten der Autobahn A22 auch nicht sterben lassen, indem sie die Rettung zu spät verständigte (der genaue Todeszeitpunkt lässt sich nicht feststellen).

Quici hat Heuschreck aber sechs Stiche und Schnitte mit einem Küchenmesser zugefügt, die letztlich dazu beitragen, dass ihr Partner in der Wohnung verblutete. In mehreren Verhören hatte die Beschuldigte behauptet, sie habe Heuschreck unabsichtlich während eines Gefechts im Zuge von dessen Selbstmordversuch verletzt. Einen Selbstmordversuch, den es in den Augen des Schwurgerichts so nicht gegeben hat. Heuschreck habe, indem er sich selbst verletzte, lediglich Aufmerksamkeit erregen wollen.

Ester Quici bei ihrer Ankunft im Gerichtspalast (Foto: Karl Oberleiter)

Quici werden also sechs absichtlich zugefügte Wunden an Heuschrecks Körper zugerechnet. Allen voran, der Stich in den rechten Gesäßmuskel, den sich das Opfer unmöglich selbst zugefügt haben kann. Eine Schnittwunde am Brustkorb, die tiefe Stichwunde am linken Unterarm Heuschrecks (der sich damit verteidigen wollte), der Schnitt am Mittelfinger der rechten Hand, die Verletzung am linken Handgelenk, welche Anklage-Gutachterin Gabriella Trenchi zur Aussage bewog, diese könnte wegen des schwachen Blutaustritts nach dem Tod Heuschrecks zugefügt worden sein. Für das Schwurgericht ist dies hingegen ein zusätzliches Indiz für einen Tod durch Ausbluten.

Und dann die Stichwunde am linken Oberschenkel. Quici selbst hatte behauptet, diese habe sich Heuschreck sitzend auf dem weißen Sofa zugefügt. Weil dort keine Blutspritzer gefunden wurden, hält das Gericht diese Version für eine der zahlreichen Lügen der Angeklagten.

Es geht nämlich davon aus, dass der Hauptschauplatz des Gefechts der Bereich vor dem roten Sofa war. Dort fanden sich die meisten Blutspuren, dort sie Heuschreck aller Voraussicht nach vornüber gestürzt (deshalb die Platzwunde an der Lippe). Und dorthin, in diese Ecke, habe Quici ihren Lebensgefährten regelrecht gedrängt.

Und hier kommt wiederum die Psychologie ins Spiel. In der Urteilsbegründung findet sich nichts von einem Tatmotiv, sehr wohl aber eine detaillierte Analyse darüber, unter welchen psychologischen Voraussetzungen sich die Tat abgespielt hat. Die damals arbeitslose dreifache Mutter wird als dominante Persönlichkeit beschrieben, die sich ihre Partner – auch ihren vormaligen Ehemann – regelrecht unterwirft. „Sie sucht sich verletzbare Männer, die sich ihr leicht unterordnen“.

Ester Quici von Journalisten umringt (Foto: Daniel Bologna)

Dazu eine Passage aus der Urteilsbegründung: „Heuschreck wurde von Quici, auch wirtschaftlich, buchstäblich ausgepresst, indem sie seine schwache und beeinflussbare Persönlichkeit ausgenutzt hat“. Erinnert wird hier an die Anmietung einer monatlich 1.400 Euro teuren Wohnung – trotz des niedrigen Einkommens von Alessandro Heuschreck.

Und es wird Quici unterstellt, ihren Lebensgefährten nicht geliebt zu haben. Das Verhalten der gebürtigen Meranerin nach der Tat sei „extrem egoistisch“ gewesen, nämlich durch das Wegwischen des Bluts und der Säuberung der Küchenmessers, „jegliche Verwicklung in das Geschehene“ von sich abzulenken.

Auch die Aussagen Quicis im ersten Verhör nach dem Tod Heuschrecks sind für das Gericht ein Indiz für die Kaltblütigkeit Quicis. Sie habe ihn als eine Art Ärgernis aufgefasst, das sie zu einem neuerlichen Wohnungsumzug zwinge. „Ihre Sorge galt dem nächsten Eiskunstlauf-Wettkampf ihrer Tochter“, schreibt das Gericht.

Insgesamt also eine wenig schmeichelhafte Charakterisierung, die mit der Aufzählung der zahlreichen Widersprüche und Versionswechseln in Quicis Verhöraussagen einhergeht.

Was zu dem Gefecht um das rote Sofa geführt haben könnte, lässt das Gericht unbeantwortet: Vom „dunklen Familiengeheimnis“, dem anfangs genannten möglichen Hintergrund des Mordfalles ist nie die Rede. Es wird lediglich die Aussage Quicis wiedergegeben, wonach sich Heuschreck auf sie – wegen deren gutem Verhältnis mit seinem Bruder Moreno – eifersüchtig gewesen sei.

Im Prozess wurde auch offenbar, dass sich Quici darüber aufgeregt hatte, dass Heuschreck ihr nicht beim Herauftragen der Zimmerpflanzen geholfen habe.

Die Verteidigung hat bereits Berufung gegen den Schuldspruch angekündigt. Die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht dürfte Anfang kommenden Jahres stattfinden. Quici bleibt vorerst auf freiem Fuß.

 

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