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Ist Kiffen doch schlimm?

Eine Serie von Jugendselbstmorden hat Südtirol geschockt: Die Meraner Psychiatrie-Primarin Verena Perwanger warnt vor der Verharmlosung von Cannabis  – weil die Drogen, die heute zirkulieren, viel stärker sind als vor 30 Jahren.

TAGESZEITUNG Online: Frau Perwanger, warum nehmen junge Menschen sich das Leben?

Verena Perwanger: Für Suizid kann es viele verschiedene Auslöser geben. Häufig sind es Einsamkeit, Stressfaktoren, psychische Erkrankungen und andere belastende Situationen, die einen Menschen in eine suizidale Krise treiben können. Das kann dazu führen, dass diese Menschen Selbstmord für den einzigen Ausweg halten.

Aber wie kann in jungen Jahren der Wunsch nach dem eigenen Tod aufkommen? Wollen diese jungen Menschen wirklich sterben oder handelt es sich um leichtfertige Entscheidungen?

Auch bei Jugendlichen gibt es unterschiedliche Momente, die zu starken Belastungen führen können. Krisensituationen in der Familie, Vernachlässigung, Gewalt und jüngst auch Cybermobbing können junge Menschen in eine Isolation treiben, aus der sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. So paradox das für uns auch klingen mag: eine Suizidhandlung kann dann in der Phantasie der Person als eine Art „letzter Triumph“ erlebt werden. Bei Jugendlichen kommt hinzu, dass sie Grenzüberschreitungen als Herausforderung empfinden. Das äußert sich beispielsweise darin, dass sie sich selbst verletzen oder Drogen konsumieren. Jugendliche sind auch anfälliger für Ansteckungseffekte, das kennt man als den so genannten „Werther-Effekt“. Reißerische Berichterstattung über Suizide in den Medien kann fast wie eine Einladung zum Selbstmord wirken. Jugendliche in schwierigen Situationen können sich dadurch vielleicht mit dem Gedanken an eine Selbsttötung anfreunden.

Im Pustertal und im Eisacktal gab es jüngst eine Häufung von Jugendselbstmorden. Kann dahinter ein Werther-Effekt stehen?

Ich kenne die Situation nicht im Detail, aber eine derartige Häufung legt eine solche Annahme nahe.

Welche Rolle spielen das Internet, die sozialen Foren, im Suizidverhalten der Jugendlichen. Ist Ihnen in Ihrer Praxis dazu etwas aufgefallen?

Das Internet spielt im Leben der Jugendlichen eine Riesenrolle. Die Erwachsenen wissen häufig überhaupt nicht, was sich in diesen Foren und Plattformen alles abspielt. In der Sendung „Le Iene“ wurde jüngst berichtet, dass es Foren geben soll, in denen Jugendliche aufgefordert oder dazu angeregt werden, sich zu verletzen. An sich ist das Internet weder schlecht noch gut, es kommt immer darauf an, wie man damit umgeht. Es ermöglich Kommunikation, Austausch mit anderen, wenn Jugendliche aber nur mehr über das Internet mit anderen in Beziehung treten, vernachlässigen sie die reale Welt. Die Folge ist, dass die virtuelle Realität zur inneren Realität wird. Wiederum gilt: Die virtuelle Realität hat positive Aspekte, aber auch hochproblematische.

Wie kann die virtuelle Realität zur inneren Realität werden? Können Sie das konkretisieren.

Zunehmend mehr Jugendliche kommunizieren hauptsächlich über Facebook und co. Sie sitzen stundenlang in ihren Zimmern, chatten mit anderen Personen und leben in der Illusion, mit anderen in Beziehung zu stehen, obwohl sie oft gar nicht wissen, mit wem sie gerade kommunizieren. Das kann eine bekannte Person sein, aber auch jemand, der ihnen etwas vorspielt. Auf Facebook können sie zahllose Freunde haben, die aber in der Realität gar nicht existieren. Das kann zum Rückzug aus der realen Welt führen, zur Aufgabe wirklicher Beziehungen und damit zur Isolation. Im Netz bewegen sie sich meist ohne das Wissen ihrer Eltern und häufig akzeptieren sie im Jugendalter auch kein Eingreifen der Eltern. Dann fehlt ihnen sowohl das Korrektiv der Eltern wie auch der Gleichaltrigen.

Eltern sind mit dem Internet meist schlicht überfordert.

Das ist ein Problem. Die Jugendlichen bewegen sich im Netz viel schneller und informierter als die Erwachsenen. Die Eltern sollten auf jeden Fall versuchen, sich nicht zu verschließen und den Kontakt mit ihren Kindern aufrecht zu erhalten. Das heißt, sie sollten sich von ihren Kindern auch zeigen lassen, was sie sich im Netz anschauen. Umgekehrt wissen Jugendliche in einer vertrauensvollen Beziehung, dass sie ihren Eltern erzählen können, was sie alles im Internet sehen oder erleben. Damit ist viel von der Gefahr gebannt.

Was können Eltern tun? Auf welche Warnsignale sollten sie achten?

Ein Warnsignal ist, wenn Jugendliche sich zurückziehen, die sozialen Kontakte mit ihren Mitschülern abbrechen, wenn sie Tätigkeiten, die ihnen normalerweise Spaß machen, nicht mehr weiterverfolgen, wenn sie Probleme in der Schule haben oder diese schwänzen, wenn sie sich mit Gewaltvideos oder Gewaltspielen beschäftigen, Drogen nehmen, anfangen, sich zu verletzen, zum Beispiel sich schneiden oder verbrennen. Das wichtigste Signal ist, wenn sie sich verschließen, nichts mehr erzählen von dem, was sie bewegt und sich von der Außenwelt abschotten oder hauptsächlich gereizt, wütend oder aggressiv reagieren Nicht immer sind die Eltern die richtigen Personen, um sie aus dieser Isolation herauszuholen, weil die ja genau die sind, von denen sie sich abgrenzen wollen. Mittlerweile gibt es viele Anlaufstellen, an die die Jugendlichen sich wenden können.

Es gibt den verbreiteten Glauben, dass sich nicht umbringt, wer darüber redet. Was sollen Eltern tun, wenn Jugendliche aus Wut oder Ärger ankündigen, sich umzubringen?

Dieser Glaube ist falsch. Die meisten Betroffenen kündigen ihren Selbstmord in irgendeiner Form an. Sie machen Andeutungen, die von ganz explizit, wie „Das Leben hat keinen Sinn mehr° oder „Ich mag nicht mehr“ bis hin zu indirekten Signalen reichen. Sie verabschieden sich von Menschen oder Sachen, die ihnen bislang wichtig waren. Solche Äußerungen sollte man ernst nehmen, ganz besonders, wenn sie von Jugendlichen kommen.

Ernst nehmen ja, aber wie?

Erstens, indem man darüber redet, ohne gleich zu urteilen. Aussagen wie: „Was redest du da, das Leben ist ja so schön“ oder „denk mal, wie gut es dir geht“, helfen Jugendlichen und generell allen Suizidgefährdeten überhaupt nicht. Natürlich sind solche Aussagen von Jugendlichen für ihre Eltern erschreckend, aber sie sollten versuchen, genau nachzufragen, was in ihren Kindern vorgeht, dass sie solche Gedanken haben. Ein Suizid ist immer ein Schrei nach Hilfe, für den die betroffene Person keinen anderen Modus findet. Wenn man die dahinterstehende Not zunächst einmal akzeptiert, ohne schnelle Lösungen anzubieten, ist ein erster wichtiger Schritt getan. Damit kann sich der betroffene Mensch öffnen.

Zweitens.

Als Zweites gilt es zu schauen, wie gravierend diese Aussagen sind. Es ist ein Unterschied, ob jemand einer momentanen Situation nicht gewachsen ist oder ob er schon konkrete Vorstellungen und Pläne im Kopf hat, wie er es machen könnte. Wenn diese Phantasien konkret werden, sollte man auf jeden Fall fachliche Hilfe suchen.

Eltern fühlen sich mitschuldig, wenn es ihren Kindern nicht gut geht. Sind sie damit noch die richtigen Gesprächspartner?

Ich würde in der Elternposition immer versuchen, zuerst selber mit dem Kind zu reden. Ob das die Mutter oder der Vater ist, hängt von Fall zu Fall ab. Es können auch Geschwister, andere Verwandte sein, aber man sollte keine Angst haben, diese Personen auch zu aktivieren. Es können auch Lehrer oder Freunde sein, die einen anderen Zugang zu diesem Kind haben. Wenn all das nicht funktioniert, würde ich den Eltern empfehlen, sich fachlichen Rat zu holen.

Wenn Jugendliche einen Selbstmordversuch unternehmen und überleben, kommen sie in die Jugendpsychiatrie. Ist das der richtige Weg?

Es ist der notwendige Weg. Nach einem Suizidversuch ist psychiatrische und psychologische Betreuung sehr wichtig, damit sich dieser Versuch nicht wiederholt. Wer sich umbringen will, steckt in einer schweren Krise, die er allein nicht bewältigen kann. Natürlich ist es nicht einfach, die Hilfe der Institution Psychiatrie zu akzeptieren, aber dort können sie erfahren, dass es Menschen gibt, die sich für sie interessieren und denen etwas daran liegt, dass ihre Situation sich verbessert.

Lässt sich der Erfolg von Aufenthalten in der Psychiatrie beziffern? Umgekehrt gefragt, wie hoch ist die Rückfallquote?

Das hängt stark von der Ausgangssituation ab. Wenn am Ursprung eine akute Krise stand, die durch äußere Ereignisse ausgelöst wurde, dann stehen die Chancen sehr gut, dass jemand wieder gut ins Leben zurückfindet. Wenn jemand an einer psychischen Grunderkrankung, beispielsweise eine psychotische Störung oder einer schweren Depression, leidet, ist eine langfristige und intensive Behandlung notwendig, um einen Suizid zu verhindern. Ganz verhindern lässt sich das Risiko nicht, aber die Chancen sind gut. Jemand, der schon einmal einen Suizidversuch unternommen hat, bleibt stärker gefährdet, weil einige Hemmschwellen wegfallen.

Bis dato haben die Medien es vermieden, über Selbstmord zu berichten. Stichwort Werther-Effekt. In Zeiten der sozialen Medien verbreiten sich solche Nachrichten mit rasender Geschwindigkeit und völlig ungefiltert Für welchen Umgang plädieren Sie?

Das ist eine spannende Frage, auf die es keine endgültige Antwort gibt. Reißerische Berichterstattung ist nie gut, aber Jugendliche beziehen ihre Informationen in der Regel nicht über die klassischen Printmedien sondern über das Internet. Das bedeutet, wir müssen einen kritischen Umgang mit den sehr schnellen Internetmedien fördern. Ganz kontrollieren wird man es nie können, aber man kann den Kindern ein Rüstzeug dafür geben. Das fängt natürlich schon in der frühen Kindheit an und nicht erst, wenn sie schon 17 oder 18 Jahre alt sind.

Eine verbreitete, gefühlte Wahrnehmung ist, dass Jugendliche heute unter einem unvergleichlich höheren Druck stehen als die Generation ihrer Eltern. Spüren Sie in Ihrer Praxis mit Jugendlichen, dass sie stark unter Druck stehen?

Man spürt ihn. Heutige Jugendliche haben einerseits viel mehr Möglichkeiten als noch unsere Generation, andererseits haben sich die Ansprüche und Anforderungen an sie gleichermaßen gesteigert. Natürlich haben wir in unserer Jugend auch viele Dinge gemacht, die als problematisch angesehen wurden und unseren Eltern Sorgen bereitet haben. Die Jugend wird durch dieses und jenes Medium verdorben, hat es geheißen. Das hat sich nicht bewahrheitet, insofern bin ich optimistisch, dass auch die heutige Jugend ihren Weg finden wird. Eine wichtige Frage scheint mir zu sein, welche Werte ihnen vermittelt werden. Ist diese Tendenz zum Konformismus, einem gewissen Standard zu entsprechen, „super“ zu funktionieren, um nicht als „Looser“ abgestempelt zu werden, wirklich das, was wir ihnen mitgeben möchten? Ich glaube nicht. Wir sollten ihnen vermitteln, dass es zum normalen Leben dazugehört, Schwierigkeiten zu haben, manchmal verzweifelt zu sein, manchmal nicht weiter zu wissen, traurig zu sein. Das alles darf man und muss es nicht wegwischen oder mit Drogen wegdröhnen.

Ist früher Drogengebrauch ein Signal für problematische innere Zustände bei den Jugendlichen?

Es ist sowohl ein Signal als auch ein Auslöser. Drogenkonsum ist derzeit bei Jugendlichen ein sehr großes Problem, viele haben im Laufe ihrer Mittel- und Oberschulzeit Kontakt mit Drogen. Einmal ein Joint ist noch kein Problem, aber genau dieser Joint wird oft zur Einstiegsdroge für verschiedene andere Substanzen. Wir wissen heute, dass sich ein konstanter Drogenkonsum im Entwicklungsalter nicht gut auf die Gehirnentwicklung auswirkt. Drogen, auch Cannabis, können später zu irreversiblen Einschränkungen führen.

Das aus früheren Zeiten übernommene Klischee vom gemütlichen Kiffer ist problematisch.

Das ist sehr problematisch. Die Substanzen, die heute auf dem Markt sind, sind zum Teil konzentrierter und stärker als diejenigen, die noch vor 20, 30 Jahren in Umlauf waren. Der berauschende, eventuell halluzinogene Anteil darin ist im Vergleich zu früher erhöht, das heißt, im Gehirn der Jugendlichen kommen mehr und stärkere Substanzen an. In einem Alter von 13 bis 18 wirkt sich das auf die Gehirnentwicklung nicht positiv aus.

Kann starker Drogenkonsum auch ein Signal für suizidale Tendenzen sein?

Es kann, muss aber nicht. Wenn Jugendliche sehr viel Drogen konsumieren, bedeutet das, dass sie dieses „Sich-Zudröhnen“ brauchen, weil sie mit ihren Emotionen sonst nicht umgehen können.

Der Papi, der seinem kiffenden Sohn sagt: Nicht so schlimm, haben wir auch gemacht! sollte das lieber unterlassen.

Verteufeln macht keinen Sinn, aber es ohne kritisches Hinterfragen einfach hinzunehmen, würde ich nicht empfehlen.

Interview: Heinrich Schwazer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (37)

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  • andreas

    @pon
    Was ist eigentlich deine Aussage, außer ein paar wirre Vermutungen?

  • josef.t

    Das Problem liegt wohl eher, in der Depression als in der Droge .
    Der Suizid ist sicher meist Ursache einer Psychose, das in der
    Gesellschaft immer noch nicht, als eine Krankheit verstanden wird .
    Die Aufklärung schon im Kindesalter, dass so ein Leiden jeden
    Menschen betreffen kann, hätte sicher eine vorbeugende Wirkung,
    um schon im zarten Alter bei ersten Anzeichen wie bei physischen
    Beschwerden, Hilfe in Anspruch zu nehmen ….
    Genussmittel gelegentlich (auch Drogen) bei einer Feier, hat noch
    niemanden umgebracht !
    „All zu viel ist ungesund“, bezieht sich auf so vieles …….

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