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„Kaum Begegnungspunkte“

Die Zweitsprachkompetenz der Südtiroler Schüler ist erschreckend schlecht. Uni-Professorin Annemarie Saxalber über die Gründe für diesen Negativ-Trend. 

TAGESZEITUNG Online: Frau Saxalber, die Ergebnisse der EURAC-Studie zur Zweitsprachkompetenz der Südtiroler Oberschüler sehen nicht besonders rosig aus. Überraschen Sie diese Ergebnisse?

Annemarie Saxalber: Ja, ich muss zugeben, dass mich diese Ergebnisse schon ziemlich überrascht haben, aber man muss dazusagen, dass wir bisher selten die Alltagssprachkompetenz in Südtirol untersucht haben. Als Schulfrau habe ich mich immer auf die schulischen Kompetenzen und die Bildungssprache konzentriert. Aber diese Studie zeigt uns jetzt interessante Aspekte auf, vor allem aber zeigen die Ergebnisse, dass man auch die Alltagssprachkompetenz nicht einfach so auf der Straße findet.

Die Studie hat keine Fachsprachenkompetenzen sondern den alltäglichen Gebrauch der Zweitsprache untersucht. Ein Fünftel der deutschen Schüler gab an sich nur mit Mühe auf Italienisch verständigen zu können.

Primär unterscheidet man in der Sprachkompetenz zwischen zwei Bereichen: Einerseits die CALP-Kompetenzen, also die bildungssprachlichen Kompetenzen und andererseits sogenannte BICS-Kompetenzen, also kommunikative Fähigkeiten, die im Alltag gebraucht werden. Erstere sind kognitiv gestreute Fertigkeiten, die man vor allem in der Schule erlernt. Zum zweiten Bereich gehören die Aussprache, die Redeflüssigkeit und andere Merkmale der Kommunikation. Es scheint so, als würden die Möglichkeiten des Sich-Hineinversetzens in eine andere Sprachwelt fehlen. Dadurch fehlen aber auch die Möglichkeiten kommunikative Fähigkeiten zu erlernen.

Wie hängen diese beiden Formen der Sprachkompetenz zusammen. Kann man sagen, dass wenn die Kenntnisse für einen alltäglichen Gebrauch fehlen, auch die Bildungssprache schwindet?

Die Studie äußerst sich diesbezüglich zwar nicht, aber im Normalfall ist es so, dass sich Menschen erst die BICS-Kompetenzen einer Sprache aneignen. Aber es ist nicht immer so: Wenn wir beispielsweise Kinder mit Migrationshintergrund betrachten, zeigt sich, dass diese oft gar keine Möglichkeiten für die Alltagssprache haben, in der Schule aber die Bildungssprache relativ gut erlernen.

Wenn man die aktuellen Ergebnisse mit jenen von vor sieben Jahren vergleicht, zeigt sich, dass sich die Zweitsprachkompetenz deutlich verschlechtert hat. Wie erklären Sie sich das?

Man muss natürlich die gesellschaftlichen Entwicklungen sehen. Es geht um die Zeitspanne zwischen 2007 und 2014, also genau die Zeit der Wirtschaftskrise. Es geht um eine gesellschaftlichen Wiederspruch zwischen Globalisierung und dem Rückzug ins Regionale, weil man sich in der großen Unsicherheit auf die eigene Sprache und Kultur konzentrieren will. In Südtirol beobachtet man auch, dass die italienische Bevölkerung in den ländlichen Gebieten abnimmt und in die Zentren zieht, wo sie ihresgleichen findet. Umgekehrt fühlt sich aber auch die deutsche Bevölkerung auf der Sprachebene des Dialekts sehr wohl und daher fehlen häufig Begegnungspunkte zwischen den Sprachgruppen. Das wiederum führt dazu, dass sich diese beiden Personengruppen erst finden müssen, weil sie sozusagen in ihren Bezirken leben. Sollten sie sich dann in Vereinen oder bei Veranstaltungen finden, kommt es noch immer häufig vor, dass man gewisse Sprachhemmungen vorfindet. Wenn eine Sprachgruppe – egal ob Deutsch oder Italienisch – einen starken Dialekt nutzt, muss der Kollege noch mehr Stufen überwinden, um beim Gespräch bleiben zu können. Hinter dieser Situation steht eine bewusste sprachplanerische Haltung, die aber zu noch größeren Barrieren führt.

Die Studie zeigt, dass die Dialektkenntnisse von italienischen Oberschülern ihre Zweitsprachkenntnisse positiv beeinflussen. Wie kann man sich das erklären?

Dahinter steckt, dass sich diese Schüler in eine Gruppe besser integrieren können und dadurch natürlich auch die Zweitsprache häufiger gebrauchen. Wenn man den Dialekt der anderen Gruppe versteht, fühlt man sich gleich viel integrierten und das ist ein sehr wichtiger Schritt.

Was kann man tun, um diese Situation zu verbessern?

Bestimmte Faktoren, die diese Entwicklung gesteuert haben, kann man nicht direkt beeinflussen – beispielsweise die Landflucht der italienischen Bevölkerung. Aber wir müssen erreichen, dass die Sprachgruppen bewusst auch die andere Sprache nutzen, um die Zweisprachigkeit zu fördern. Das ist eine große Aufgabe für die Gesellschaft, denn wir selbst müssen kleine Tutoren werden und uns gegenseitig unterstützen und ermutigen, damit der andere dem Gespräch folgen kann und die Zweitsprache nutzt. Es geht darum, bewusst die Zweitsprache zu nutzen und auch bewusst anderen zu helfen, damit sie die Zweitsprache nutzen können, um so die Hemmungen abzubauen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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