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„Ärgernis für die Kirche“

bischof-geisler-option-1940In der Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser wird stets nur der Aspekt des christlichen Märtyrers für den Glauben betont, die politische Dimension seines Widerstands gegen den Nationalsozialismus wird hingegen ausgeblendet. Für den Historiker Hannes Obermair ist das nachgerade höhnisch.

 TAGESZEITUNG Online: Herr Obermair, der Seligsprechungsprozess von Josef Mayr-Nusser betont eigentlich nur den Aspekt des christlichen Märtyrers für den Glauben. Wird man seiner Persönlichkeit damit gerecht?

Hannes Obermair: Wohl kaum, aber das ist vielleicht auch so intendiert. Die politische Dimension von Josef Mayr-Nussers Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist der katholischen Kirche nach wie vor höchst unangenehm, weil er sie daran erinnert, wie sehr sie selbst als Institution in den Zwanziger, Dreißiger und Vierziger Jahren versagt hat. Aber das ist keine neue Erkenntnis – bereits Hannah Arendt hat mit klaren Worten auf die „profaschistische Haltung“ der christlichen Großkirchen Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hingewiesen.

mayr-nusser-josefSie waren maßgeblich an der Legitimation jener „Führer“ beteiligt, gegen die sich Gewissensheroen wie Mayr-Nusser in größter existenzieller Einsamkeit gestellt und dies mit ihrem Leben bezahlt haben. Und nach ihrem Tod wurden sie von der eigenen Kirche weitgehend vergessen, ehe eine Wiederbewertung unter rein religiösen, also bloß der Religionsgemeinschaft immanenten Interessen erfolgen konnte. Die sogenannte „Seligsprechung“ ist der deutlichste Ausdruck dieser amtskirchlichen Doppelmoral, die den eigenen Irrweg sehr erfolgreich ausblendet, aber jenen Menschen, dessen Leben an genau diesem Irrweg zerbrochen ist, doch für sich reklamieren möchte.

Was war er über seinen tiefen Glauben hinaus für ein Mensch, wie würden Sie sein ziviles, laizistisches und politisches Profil beschreiben?

Der christliche Glaube ist für Mayr-Nusser zuallererst Handeln, darin liegt die zivilgesellschaftlich-politische Dimension seiner überragenden Persönlichkeit begründet. Alles Salbungsvolle war ihm fremd, die schnörkellose Vita activa Zielpunkt seines Lebens. Er trennte nicht das politische Handeln vom religiösen Bekenntnis, das eine war im anderen geborgen und aufgehoben. Eine Würdigung wie der von Ms. Joseph Kögl im Jahre 1959 in den „Dolomiten“ publizierte Essay „Tor oder Held?“, die in Bezug auf Mayr-Nussers Eidverweigerung programmatisch von „keiner politischen Angelegenheit“ spricht, wäre ihm völlig fremd gewesen und geht an seiner Lebensleistung gänzlich vorbei. Ihm das Politische abzusprechen, ist nachgerade höhnisch, und es grenzt an eine Beleidigung der Erinnerung, dass dieses zutiefst problematische Porträt noch vor wenigen Wochen in den „Dolomiten“ völlig unkommentiert – also in eindeutig affirmativer Absicht – nachgedruckt wurde.

unbenannt2Er war lebenslustig, ganz und gar nicht der Märtyrertyp, er liebte seine Frau und war eben Vater geworden. Was führte ihn zu seiner extremen Entscheidung, in den sicheren Tod zu gehen?

Niemand kann vor einem solchen Lebenshintergrund – der vollen vitalen Blüte – in den sicheren Tod gehen wollen. Er hat offenbar diese letzte und unwiderrufliche Konsequenz in Kauf genommen, um das Grauen, in das er geraten war, psychisch, aber eben nicht physisch zu überstehen. Er war buchstäblich im „Herzen der Finsternis“, um das Conrad’sche Wort zu gebrauchen, und hat sein Zeugnis dazu benutzt – so wie etwa der Kreis der „Weißen Rose“ um die Geschwister Scholl –, ein klares und deutliches Nein zu sagen. Und er wusste nicht, ob wir das je erfahren würden. Das macht seine Haltung noch größer.

Sein extremer Mut drückt sich darin aus, dass er sehr allein war mit seiner Entscheidung. Der katholische Widerstand gegen den Nazismus und Faschismus in Südtirol war verschwindend gering. Auf wen konnte er überhaupt bauen?

Diese Einsamkeit, die an Golgotha gemahnt, muss nur schwer auszuhalten gewesen sein. Über sein familiäres Umfeld hinaus konnte Mayr-Nusser vielleicht nur noch auf Josef Ferrari vertrauen. Und dann waren da die Jugendlichen. Mit ihnen hatte er als Vorsitzender der Jugendbewegung ein inniges Vertrauensverhältnis aufgebaut, auf eigene Ausstrahlung und Güte gegründet und auf die Authentizität der neuen, dialogisch angelegten Liturgiebewegung gestützt, die Mayr-Nusser wesentlich an der Amtskirche vorbei im Geiste eines Romano Guardini oder eines Theodor Haecker praktizierte. Der Austausch mit Jugendlichen auf Augenhöhe muss entscheidend gewesen sein für jenes Urvertrauen in die Denk- und Widerstandsfähigkeit von Menschen auch in totalitären Zeitläufen, welches Mayr-Nusser niemals abhanden gekommen war.

Bischof Geisler optierte für Deutschland, der Trentiner Bischof Celestino Endrici unterstützte Mussolini. Der Seligsprechungsprozess wäre eine Gelegenheit für die Kirche, sich mit ihrer Rolle als Komplizin der Diktaturen auseinander zu setzen. Davon ist nichts zu spüren, oder?

In Südtirol jedenfalls nicht, aber die Haltung des Vatikans ist in diesem Punkt auch nicht gerade hilfreich. Die Katholische Kirche hat sich nach dem Krieg niemals ihren profaschistischen Verfehlungen gestellt, weder in Rom, noch in Brixen oder Bozen. Diese Omertà erinnert ein wenig an den Umgang mit dem Pädophilieskandalen, die auch die Diözese Bozen-Brixen erschüttert hat, aber niemals in ein Weißbuch gemündet ist. Dabei müsste die Sancta Romana Ecclesia eigentlich nur auf ihre Schwesterkirche blicken. Mit dem „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ hat die Evangelische Kirche Deutschlands, angeführt von Martin Niemöller, bereits im Oktober 1945 ihre Mitschuld am Faschismus und ihr Versagen gegenüber dem Totalitarismus eingeräumt. Dies hat zwar zu keiner größeren Aufarbeitung geführt und ist rasch der Selbstberuhigung gewichen, aber es war ein wichtiges Zeichen, das immer wieder Ausgangspunkt für Selbstaufklärung der Institution sein kann und wird.

Zugespitzt könnte man formulieren, die Seligsprechung ist für die Kirche die Gelegenheit, sich aus der Affäre zu ziehen.

Dem ist wohl so. Die katholische Kirche möchte eine der mutigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts auf ihre Weise schubladisieren, bzw. nur unter dem gereinigten Aspekt des vorbildlichen Christen, eines neuen heiligen Josefs gewissermaßen, vereinnahmen. Dies ist ihr nur möglich um Preis der Ausblendung der politisch-zivilgesellschaftlichen Dimensionen. In der Kanonisation ist strukturell kein Raum für diese Anteile, das ist ihre gravierendste Schwäche, jedoch wird sich diese restaurative Tendenz auf lange Sicht eher rächen.

Mayr-Nusser hat Hitlers „Mein Kampf“ gelesen. Hat er darin im Gegensatz zu vielen anderen das Verbrecherische des NS-Staates erkannt?

Erkannt haben dies wohl viele, aber er hat als einer der Wenigen existenzielle Konsequenzen daraus gezogen. Die Kirche in Rom wusste bestens Bescheid, ihr Informationsnetzwerk war stets perfekt. Auschwitz war den Päpsten ein Begriff, doch keiner war bereit, die Nachfolge Christi anzutreten. Dies gilt für Pius XI. (über den der amerikanische Historiker David I. Kertzer 2014 ein grundlegendes Buch veröffentlicht hat) wie für Pius XII. (dessen Versagen längst bekannt ist). Josef Mayr-Nusser hat hingegen das Neue Testament radikal ernstgenommen, und er ist darum ein Ärgernis für die eigene Kirche geblieben, das sie jetzt im Weihrauch der Kanonisation einzunebeln versucht. Damit Josef Mayr-Nusser, so wie es ihm gebührt, als Vorbild für künftige Generationen dienen kann, muss er wieder aus dem katholischen Verehrungszwang herausgeholt und in seiner vollen intellektuellen Dimension erkannt werden.

Er war kein Pazifist. Gegen den Dienst beim italienischen Heer und bei der Wehrmacht hatte er nichts auszusetzen. Zur Wehr gesetzt hat er sich nur gegen die Einberufung zur SS. Was wusste er über die SS?

Weniger als die Päpste, aber doch genug, um einschätzen zu können, dass der verbrecherische Eroberungskrieg Hitlers und die damit verbundene Mordmaschine, an der im Übrigen nicht nur die SS beteiligt war, den absoluten Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte darstellten. 1942-1945 sind die wohl dunkelsten Jahre aller bisherigen Geschichte. Mayr-Nusser war mitten drin, er wusste vermutlich genau, was die Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reiches, mit Gleichschaltung, Vernichtung unwerten Lebens, Konzentrationslager, Entscheidungsschlacht im Osten, Endsieg und vor allem Endlösung der Judenfrage meinte – den blanken, unverhüllten Terror und den Mord an Millionen. Dafür stand die Sigle SS stellvertretend. Als Mayr-Nusser 1931 zum Italienischen Heer einrückte, war diese Dimension keinesfalls gegeben. Die Äußerung hinsichtlich der Wehrmacht liegt noch auf dieser Linie, darf aber nicht als Zustimmungshaltung gewertet werden. Im Oktober 1944 ganz alleine Nein zur SS zu sagen, zu der man zwangsweise eingezogen worden war, das ist die einsamste Stunde, die man sich nur vorstellen kann. Und die Leidenswochen und -monate bis zum Hungertod in einem Viehwaggon auf dem Weg nach Dachau im Februar 1945, diese Zeit möchte man sich gar nicht erst ausmalen.

Welche Rolle spielte seine Frau Hildegard im Widerstand gegen die Nazis?

unbenannt1Sehr berührend ist beider Briefwechsel. 1979 hat Reinhold Iblacker die entscheidenden Briefstellen in seinem nach wie unüberholten Buch „Keinen Eid auf diesen Führer“ publiziert. Daraus gehen die unheimlich berührende Solidarität Hildegard Straubs mit ihrem Mann und ihre Ebenbürtigkeit hervor. Sie war seine eigentliche Stütze. Auch dies geht im katholischen Reduktionismus, der Mayr-Nusser im Nachhinein gleichsam zum asexuellen Kleriker machen will, völlig unter. Das wichtige Buch wurde übrigens von Sohn Albert Mayr 1990 ins Italienische übersetzt, ein klares Statement. Seine Eltern haben in ihren Gesprächen das Verbrecherische des Nationalsozialismus klar benannt und sich gegenseitig ihrer Widerständigkeit versichert. Sie haben einander Mut zugesprochen in der enormen Isolation des Augenblicks – niemandem konnte man trauen, insbesondere der eigenen Kirche nicht, die schwieg. Nur dem eigenen Herzen und Gewissen konnte man folgen. Aus den Briefen sprechen diese reinen Herzen, in den Begriffen, die ihnen zur Verfügung standen, und in den Worten, die man noch sagen konnte.

Mayr-Nusser war ein „Dableiber“. War seine Option für Italien eine Wahl für das kleinere Übel?

Eindeutig. Nichts verband ihn mit Italien als faschistischem Unrechtsstaat, der zudem seine sprachlichen Minderheiten wie die Slowenen oder die Südtiroler radikal unterdrückte und entrechtete. Die Option für Italien am 27. Dezember 1939, seinem 29. Geburtstag, ist daher – wiederum in ihrer Einsamkeit – eine weitere, nur in politischen Kategorien des zivilen Widerstandes gegen erzwungene Entscheidungen angemessen zu verstehende Tat. Der Optionsentscheid Mayr-Nussers war ein Akt des Widerstandes gegen den deutschnationalen Rassismus und Expansionismus, die klarste nur mögliche Absage an den Führerkult des „Völkischen Kampfringes Südtirol“ und die „Heim-ins-Reich“-Bewegung, die in der Aufgabe der Heimat gipfelten. Mayr-Nussers Optionsakt, der seit fast drei Wochen im Foyer des Stadtarchivs ausgestellt ist, hat noch keinen einzigen Vertreter der hiesigen Kurie dazu bewogen, ihn in Augenschein zu nehmen. Dabei müssten sie doch in Ehrfurcht vor diesem Dokument förmlich niederknien. Stattdessen geben ihre Vertreter eilfertige Interviews in der Tagespresse, in der sich etwa zur Behauptung versteigen, sie „wissen (!), dass Josef Mayr-Nusser in der Gemeinschaft der Heiligen ist“ und er nun zu ihren „Kontaktleuten im Himmel“ zähle (so Paul Renner in den „Dolomiten“ vom 15. März 2017). Theologie war einmal auch eine Wissenschaft gewesen, möchte man hier einfach mal anmerken. Doch ist eine solche Mischung aus naiver Begriffsverwirrung und plattem Dünkel doch auch bezeichnend für den derzeitigen Zustand der katholischen Kirche, der man nur dringend den Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit wünschen kann.

Mayr-Nusser ist eine unbequeme Persönlichkeit. Fürchten Sie, dass er durch die Seligsprechung für alle Zeiten domestiziert und entschärft wird?

1unbenanntDas wird nicht gelingen, aber der Versuch ist zumindest eindeutig beobachtbar und wird künftiger Geschichtsschreibung hervorragendes Anschauungsmaterial bieten. Die Provokation, die Josef Mayr-Nusser immer darstellen wird, kann nicht gebändigt werden durch die Anbetung der Asche im Inneren eines Kirchenraums. Wenn man die Kirche darauf hinweist, tritt entweder beredtes Schweigen auf den Plan oder man reagiert klassisch verschwörungstheoretisch, dies sei bloß Teil eines gegen Kirche gerichteten „gottlosen“ Plans. Sich dieser eigenen, ungewollten Blasphemie bewusst zu werden, das wird in der Institution Kirche wohl noch lange dauern.

Interview: Heinrich Schwazer

 

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