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„Sich messen an den Besten“

Bauarbeit Sicherheitskleidung HandwerkDie Arbeitsbedingungen in Südtirol sind gut – doch es gibt auch Schwachstellen. Das Arbeitsförderungsinstitut hat eine Studie erarbeitet.

Die Arbeitsbedingungen in Südtirol liegen gleichauf mit den mitteleuropäischen Ländern und sind in den allermeisten Fällen besser als der italienische Schnitt. Doch es gibt Schwachstellen – so bei den körperlich belastenden Arbeitsbedingungen: Das hohe Arbeitstempo und der Arbeitsdruck sind in Südtirol unverhältnismäßig stark. Dies geht aus einer Studie des Arbeitsförderungsinstitutes (AFI) hervor.

„Die ersten Ergebnisse unserer Studie liefern wertvolle Hinweise, wo die Belastungen angesiedelt sind und durch welche Entlastungen sie aufgewogen werden können“, unterstreicht AFI-Direktor Stefan Perini. Stück für Stück wolle das AFI im Jahresverlauf 2017 die weiteren Ergebnisse der Umfrage zu den Arbeitsbedingungen vorstellen.

Als Krönung einer fast zweijährigen Vor- und Feldarbeit sieht Perini die Auftaktveranstaltung am Freitag, mit der das AfI die ersten Ergebnisse der großangelegten Umfrage zu den Arbeitsbedingungen in Südtirol vorgestellt hat. Dafür habe das AFI exakt den Fragenkatalog und die Methoden verwendet, die den Umfragen von „Eurofound“, der EU-Stiftung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, in 35 europäischen Ländern zugrunde liegen.

„Die Ergebnisse sind also erstens repräsentativ für die Südtiroler Erwerbsbevölkerung und sie können zweitens direkt in den europäischen Kontext eingebettet werden“, betont Perini. Damit leiste das AFI Pionierarbeit. „Südtirol ist die erste Region in Europa, die sich rühmen kann, eine Untersuchung über die Arbeitsbedingungen nach anerkannten wissenschaftlichen Standards auf regionaler Ebene erstellt zu haben.“

Dass Südtirol durchaus mit den mitteleuropäischen Ländern Österreich, Deutschland und der Schweiz mithalten kann, wenn es um die Qualität der Arbeitsbedingungen geht, ist für Perini ein entscheidendes Ergebnis der AFI-Studie. Es gelte nämlich, sich an den besten zu messen.

88 Prozent sind mit den Arbeitsbedingungen zufrieden

88 Prozent der Erwerbstätigen in Südtirol sind mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden. Dieser Wert liegt gleichauf mit jenen in den deutschsprachigen mitteleuropäischen Ländern (D-A-CH) und etwas über dem italienischen Schnitt (82 Prozent). Besonders ausgeprägt ist die Zufriedenheit in der Landwirtschaft, bei den Finanzdienstleistungen und in der öffentlichen Verwaltung.

60 Prozent der Südtiroler Erwerbstätigen empfinden sich angemessen entlohnt

60 Prozent der befragten Südtiroler sehen die Entlohnung für Ihre Arbeit im Hauptberuf als angemessen an. Dieser Wert liegt doch etwas hinter der Schweiz (66 Prozent) und hinter Österreich (62 Prozent), aber überraschenderweise vor Deutschland (56 Prozent) und beträchtlich über dem italienweiten Schnitt (46 Prozent).

Die Zufriedenheit mit der Vergütung ist in Südtirol bei den Finanz- und anderen Dienstleistungen am stärksten ausgeprägt, in der Landwirtschaft am geringsten.

Problemfaktoren hohe körperliche Belastung und Arbeitsintensität

Die Antworten der Südtiroler Beschäftigten auf die Fragen zur körperlichen und zur psychischen Belastung zeigten ein vielfältiges Bild, so der Arbeitspsychologe und AFI-Mitarbeiter Tobias Hölbling. „Was aus der Datenfülle gleich ins Auge sticht, sind vor allem zwei Dinge“, fährt Hölbling fort: „Körperlich belastende Arbeitsbedingungen wie ermüdende Körperhaltungen oder das Tragen von Lasten sind in Südtirol stark ausgeprägt. Zudem ist die Arbeitsintensität – wie beispielsweise überlange Arbeitszeit und Termindruck –  in unserem Land hoch. Diese belastenden Faktoren sind auch verglichen mit Europa bei uns überdurchschnittlich verbreitet.“

Als positiv wertet der AFI-Experte allerdings, dass es auch viele entlastende Faktoren gibt. „Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, aber auch die gut funktionierende Zusammenarbeit in den Betrieben mildern die negativen Auswirkungen zumindest teilweise ab.“

Dass Gesetze sehr wohl die Arbeitsbedingungen verbessern könnten, zeigt sich am Beispiel Passivrauchen. Hölbling: „Die Belastung durch Tabakrauch am Arbeitsplatz wird in Österreich sehr viel stärker verspürt als in Italien, das ein vorbildliches Rauchverbot verfügt hat.“

Internationale Experten mit dabei

Zur Auftaktveranstaltung des AFI extra aus Dublin angereist war Barbara Gerstenberger, die Leiterin der „Working Life Research Unit“ von Eurofound. Sie brachte die europäische Perspektive ein. Jürgen Glaser, Professor für Arbeitspsychologie an der Uni Innsbruck erläuterte, wie Arbeitsbedingungen auf betrieblicher Ebene erfasst werden und wie sich Arbeitsbedingungen auf Produktivität und Gesundheit auswirken.

Aus der Praxis berichteten Evelyn Kirchmaier, Generaldirektorin der Firma Markas International, Barbara Jäger von Businesspool, Christine Pichler vom Gewerkschaftsbund AGB-CGIL und Toni Serafini von der Gewerkschaft UIL-SGK.

Die Stellungnahmen

AFI-Präsidentin Christine Pichler sagt: „Als Gewerkschafter haben wir es täglich mit den Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu tun. Es geht um zu hohe Belastungen, zwischenmenschliche Konflikte, Streit um die Entlohnung oder das Einhalten von Verträgen. Die AFI-Studie hilft uns genauer zu verstehen, wann der einzelne Fall Teil eines breiteren Problems ist. Deutlich wird: Faire und gute Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten sind wichtig, auch für jene, die manchmal am Rande stehen.“

Landeshauptmann Arno Kompatscher: „Südtirol will nicht nur in der Lebensqualität, sondern auch als Arbeitsstandort auf europäischer Ebene ganz vorne mitmischen. Die Landesregierung will dazu beitragen, dass Südtirol zu einem der attraktivsten Arbeitsstandorte in Europa wird. Gute Arbeitsbedingungen sind dafür ein mitentscheidender Faktor. Hier gilt es gemeinsam mit den Arbeitgebern anzusetzen. Es soll einerseits die Abwanderung der ‚klugen Köpfe‘ aus Südtirol eingedämmt werden und andererseits unser Land für hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland noch attraktiver werden. ‚Gute Arbeit‘ ist eine Win-Win-Situation: Sie bringt zufriedene Leute in den Betrieben und gleichzeitig geringere Kosten für das Gesundheitssystem und den Wohlfahrtsstaat.“

INAIL-Landesdirektor Robert Pfeifer: „Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten vermeiden helfen ist das große Anliegen des INAIL. Aus diesem Grund investieren wir stark in die Prävention. Eine genaue Kenntnis der Arbeitsbedingungen ist in diesem Zusammenhang entscheidend. Die AFI-Studie zeigt, wo der Schuh drückt. Mit Überzeugung haben wir die Studie von Beginn an unterstützt.“

Ressortdirektor Michael Mayr: „Arbeitspolitik bedeutet auch, sich für Qualität in den Arbeitsbedingungen zu engagieren. Mit dem Mehrjahresplan für die Beschäftigungspolitik 2013-2020 hat sich die Landesregierung, und damit auch das Ressort, ambitionierte Ziele gesteckt. Die AFI-Studie liefert uns nun zusätzliche Hinweise, wo und wie wir auch bei den Arbeitsbedingungen nachbessern müssen.“

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