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„Zu Tode verzweifelt“

herbert-heideggerDer Fall des Mailänder DJs Fabiano Antoniani hat eine neue Diskussion über Sterbehilfe entfacht. Herbert Heidegger, Präsident des Landesethikkomitees, erklärt, unter welchen Umständen assistierter Suizid aus medizinethischer Sicht gerechtfertigt werden kann.

Tageszeitung: Herr Primar, DJ Fabo ist zum Symbol einer neu entflammten Debatte über Sterbehilfe geworden. Was sagen Sie zu dieser Diskussion?

Herbert Heidegger: Es ist sicher wichtig, dass man sich mit diesem Thema endlich seriös beschäftigt. Die Patientenverfügung und der assistierte Suizid sind Themen, die immer wieder hochkochen und emotional diskutiert werden, aber dann auf politischer Ebene wieder verschwinden. Überall diskutiert man über diese Themen, nur in Italien kommt man leider nicht weiter.

Der Musiker hat sich in einer Klinik für Sterbehilfe in der Schweiz das Leben genommen, weil es in Italien nicht möglich ist…

Genau. Unsere Aufgabe als Landesethikkomitee ist es diese Bereiche zu diskutieren und Vor- und Nachteile abzuwägen. Die große Frage ist: Wie kann man mit diesem Thema umgehen?

Sie sind Primar und Präsident des Landesethikkomitees. Wie steht man in Südtirol zu dieser Thematik? 

Grundsätzlich muss man festhalten, dass der Wunsch sich zu töten oder den assistierten Suizid zu wählen Ausdruck einer existenziellen Krise ist. Man sieht darin einen letzten Ausweg und ist zu Tode verzweifelt. Unsere Frage ist: Wie können wir einem Betroffenen, dem schwerkranken Menschen, in seiner existenziellen Krise helfen? In unserer Rechtsordnung und gesellschaftlichen Praxis sollten wir auch Menschen, die schwer krank sind, eine Perspektive zum Leben öffnen, das heißt auch, dass wir als Ärzte einen lebensbejahenden Ansatz vertreten müssen. Wir müssen helfen – und eine dieser Möglichkeiten ist die Palliativmedizin. Wir müssen die Palliativmedizin verbessern, um den schwerkranken Menschen ihre Therapiemöglichkeiten aufzeigen. Der Slogan der Palliativmedizin lautet „Hilfe beim Sterben“ und eben nicht „Hilfe zum Sterben.“

Und wenn die Situation, das Leben für den Patienten aussichtslos und nicht mehr lebenswert ist?

Wenn jemand sterben möchte, dann ist dies ein Ausdruck von Angst und Verzweiflung, aber bereits ein Gespräch mit einem Palliativmediziner kann Entlastung bedeuten, weil er über die Möglichkeit des Sterbens denken darf. Es ist allerdings nicht immer so, dass jemand, der über diese Schritte nachdenkt, diese dann auch wirklich geht. Ich glaube es ist ebenfalls unsere ärztliche Aufgabe, dass wir uns respektvoll mit dem Todeswunsch auseinandersetzen.

Das heißt? 

Wir müssen in erster Linie versuchen den Menschen im Leben zu halten, weil viele das auch so möchten…

Aber…

Jetzt kommen wir zu den medizinethischen Fragen. Die erste Frage ist, ob dieser assistierte Suizid mit dem ärztlichen Ethos vereinbar ist. Wir Ärzte sollen Leben erhalten und retten. Die zweite Frage ist: Welche Folgen würden derartigen Entscheidungen nachkommen?

Und wie entwickeln sich die medizinischen Diskussionen zu diesen Fragen?

Es gibt Argumentationen in der Medizinethik, dass ein arztassistierter Suizid – unter bestimmten Umständen – wohl mit dem ärztlichen Ethos vereinbar ist. Es ist natürlich nicht so, dass alle Ärzte einer Meinung sind. Es gibt ärztliche Grundprinzipien ethischen Handels die sagen, dass es kein absolutes Gebot gibt, menschliches Leben zu erhalten.

Die zweite Frage beschäftigt sich mit den Folgen…

Hier steht die Frage des Missbrauchs im Zentrum der Diskussion. Es könnte ja sein, dass nicht einwilligungsfähige oder psychisch nicht zurechnungsfähige Menschen plötzlich unangebracht umgebracht werden. In der Medizinethik wird auch häufig das Argument des Dammbruchs angeführt: Wenn wir den assistierten Suizid zulassen, können wir weitere Fälle nicht verhindern. Wiederum andere sprechen in diesem Zusammenhang von einem Vertrauensverlust, sollten Ärzte diesen Weg gehen.

In Belgien oder Holland gibt es bereits den assistierten Suizid. Was zeigen die Erfahrungen aus diesen Ländern?

In Holland kann man eine jahrelange Erfahrung vorweisen und diese zeigt, dass weder der assistierte Suizid noch die aktive Sterbehilfe in den letzten Jahren zugenommen haben. Besser geworden ist hingegen die palliativmedizinische Versorgung. Und auch die Erfahrungen aus Oregon (USA) zeigen, dass 40-50 Prozent der ausgestellten Rezepte für Suizidmittel nicht eingelöst werden. Das zeigt, dass viele Menschen über diese Ängste einfach nur sprechen möchten, dennoch dieser Ausdruck von Autonomie und der eigenen Entscheidung sehr wichtig ist.

Zusammenfassend: Wie könnte man diese Diskussion auf den Punkt bringen?

Dass es eine Debatte ist, die auch unter Ärzten sehr kontrovers diskutiert wird. Aus medizinethischer Sicht kann man nicht sagen, dass arztassistierter Suizid nicht möglich sein kann. Es ist eine Ausnahme für extreme Situationen, aber ich würde mich nicht trauen, jemanden dafür zu verurteilen. Der Staat muss diese Diskussion führen und festlegen unter welchen Bedingungen und Umständen ein arztassistierter Suizid straffrei sein kann.

Die Palliativmedizin wird in jenem Moment aktiv, sobald eine Person im Sterben liegt. Hat ein Patient nicht auch das Recht zu sterben oder so zu streben, wie er es möchte?

Natürlich hat ein Mensch das Recht zu sterben. Jeder Mensch hat das Recht eine medizinische Maßnahme abzulehnen. Dies gilt auch dann, wenn die medizinische Maßnahme sein Leben verlängern könnte. Er entscheidet medizinethisch über sich selbst und sein Leben.

Aber der Staat gesteht dem Patienten dieses Recht nicht ein…

Der Patient kann dieses Recht in diesem speziellen Fall nicht umsetzten. Man muss endlich ernsthaft über dieses Thema reden und Rechtssicherheit schaffen.

Unterscheidet sich diesbezüglich eigentlich Ihre private Meinung von Ihrer beruflichen?

Nein. Ich bin katholisch und gläubig, kann mit diesen Argumentationen aber gut leben. Als Arzt soll man das Leben schützen, so lange es einigermaßen sinnvoll ist. Aber nicht wir allein sind entscheidend – der Patient entscheidet.

Wie weit weg ist man in Italien von einer derartigen Diskussion?

Ich weiß es nicht, aber ich glaube sehr weit weg. Wenn man die Diskussion über die Patientenverfügung verfolgt und sieht, wie man seit Jahren und Jahrzehnten debattiert, kann man sicher nicht abschätzen, wie lange es dauern wird.

Können Sie verstehen, dass manche Menschen nicht mehr leben wollen und daher in die Schweiz reisen?

Ja, das kann ich verstehen – wenn jemand unter einer derartigen existenziellen Krise leidet und diesen Schritt als letzten Ausweg sieht. Solche Situationen gibt es.

Nationale Umfragen zeigen, dass sich viele Italiener für Sterbehilfe aussprechen. Wie schätzen Sie diese Zahl ein? Können Beispiele wie jenes aus Holland und eine breite Zustimmung der Bevölkerung etwas in Gang bringen?

Ich glaube schon, dass die Bevölkerung dafür ist, dass in dieser Thematik eine gewisse Rechtssicherheit eintritt. Viele Menschen erleben dramatische Fälle, dass Verwandte oder Bekannte im Wachkoma liegen und daher kocht das Thema immer wieder hoch. Ich glaube schon, dass Volkes Seele fühlt, dass es nun wirklich an der Zeit ist, etwas zu tun.

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