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Die Frage nach dem Warum

depression-auge-traenenDer Tod an sich ist immer noch mit einem Tabu besetzt – wenn ein Mensch am Suizid stirbt, bedeutet das ein zusätzliches Tabu. Trauerbegleiterin Freya von Stülpnagel spricht im Interview über dieses Tabu und darüber, wie man Angehörigen helfen kann. 

TAGESZEITUNG Online: Der Tod an sich ist immer noch mit einem Tabu besetzt. Wie schwierig ist es mit dem Verlust eines Menschen umzugehen, der den Freitod gewählt hat?

Freya von Stülpnagel: Aus der Sicht der Angehörigen ist es sehr schwierig mit dieser Trauer umzugehen, weil sie einen plötzlichen Tod verarbeiten müssen, auf den sie nicht vorbereitet waren. Sobald eine Person den Freitod wählt, stellen Angehörige und Freunde ihre Beziehung zu dieser Person infrage und natürlich stellt man sich auch die Frage: Warum? Diese Frage, in all ihren Schattierungen und die Schuldgefühle bzw. Schuldgedanken belasten die Personen zudem.

Fragen wie: Warum habe ich nichts gemerkt?

Genau diese Warum-Fragen. Warum hat er mir nichts gesagt? Warum habe ich nichts gemacht? Warum hat er keine Hilfe gefunden? Habe ich Anzeichen nicht richtig gedeutet? War meine Liebe groß genug?
Die einzige Person, die allerdings auf diese Fragen antworten könnte, ist nicht mehr da…

Auf diese Fragen werden wir wohl auch nie eine Antwort bekommen.

Für die Seele ist es aber sehr wichtig all diese Fragen zu stellen, so lange, bis die Seele einen inneren Frieden gefunden hat. Angehörige werden diese Fragen so lange stellen, bis sie sich im Klaren darüber sind, dass sie keine Antworten bekommen. Das braucht sehr viel Zeit und man soll den Angehörigen diese Fragen daher auch nicht ausreden. Die Seele braucht diese Fragen, bis sie sich selbst vom Ereignis distanzieren kann.

Sie arbeiten seit Jahren als Trauerbegleiterin. Was haben Sie erlebt?

Ich habe bestimmt schon hunderte Trauernde begleitet. Der Weg durch diese Phase ist immer sehr verschieden und persönlich. Es kommt auf das soziale Umfeld, die Arbeitswelt und die Persönlichkeit des Angehörigen an, wie er mit dieser Situation fertig wird.

Viele Betroffene versuchen dieses Thema auszublenden und nicht darüber zu sprechen. Warum ist es tabu über den Freitod zu sprechen?

Es ist geschichtsbedingt, dass viele Menschen auch heute noch ein Problem mit dem Freitod haben. Früher wurden Personen, die einen Suizidversuch unternommen haben, diesen aber überlebten, dafür bestraft. Suizid war eine Straftat und auch von der Religion wurden Menschen, die den Freitod gewählt haben, verdammt und durften nicht auf dem Friedhof begraben werden. Im Grunde hat sich diese Haltung erst in den 70er Jahren durch die Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie langsam gelöst. Suizid ist und kann keine Straftat sein, sondern ist eine Form der seelischen Krankheit. Die Menschen haben diese alten Ansichten aber immer noch so in den Knochen, dass es mindestens noch eine Generation brauchen wird, um offener über dieses Thema sprechen zu können.

Also ist das Thema immer noch zu tabu?

Ja. Ich habe zwar beobachtet, dass sich in den letzten 20 Jahren viel getan hat. Es gibt viel Aufklärung und Präventionsarbeit. Zudem haben verschiedene Fälle gezeigt, dass Suizid nichts mit einer Schmuddelecke oder schlechter Gesellschaft zu tun hat, sondern in verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen vorkommen kann. Es ist viel passiert, aber es könnte noch mehr geschehen.

Denken im Nachhinein viele Menschen, dass es eigentlich Anzeichen gab?

Im Nachhinein, nach diesem Ereignis, deutet man Äußerungen und Verhaltensweisen oft anders, als vor dem Ereignis – weil man durch die Geschehnisse über ein anderes Wissen verfügt. Wenn das Leben normal weitergegangen wäre, hätten bestimmte Ereignisse nicht jene Bedeutung bekommen, wie nach einer Freitod-Entscheidung.

Gibt es Anzeichen, die auf eine Suizid-Gefährdung hinweisen?

Erheblicher Schlafstörungen, Veränderungen des Essverhaltens, sozialer Rückzug. Wenn man das Gefühl hat, dass sich jemand zurückzieht oder besonders verabschiedet, sollte man einschreiten und Personen direkt darauf ansprechen: Denkst du an Suizid? Wenn man die Leute offen und ehrlich anspricht, kann man sicher dem einen oder anderen das Leben retten.

Was kann man tun, um für die Angehörigen da zu sein? 

Eigentlich genau das: Da sein, zuhören und es aushalten. Die Fragen aushalten und nicht versuchen Antworten zu geben. Ganz wichtig ist dass man nicht nach dem Warum fragen darf. Diese Frage beschäftigt den Angehörigen selbst und Sensationslust ist fehl am Platz. Mitfühlend, ehrlich und möglichst schnell auf die Menschen zugehen. Praktische Hilfen, wie etwas zu Essen oder kleine Geschenke wie Blumen kommen ebenfalls oft gut an.

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