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Polnischer Trick

Anwalt Mark Antonio De Giuseppe

Anwalt Mark Antonio De Giuseppe

Im Fall der Südtiroler Alk-Lenker, die sich in Polen einen EU-Führerschein holen, gibt es jetzt ein hochinteressantes Präzedenzurteil: Die polnischen Führerscheine sind gültig.

von Artur Oberhofer

Es war im Dezember vergangenen Jahres, als die TAGESZEITUNG erstmals über das Phänomen des Führerschein-Tourismus auf der Achse Südtirol-Polen berichtete.

Immer mehr Südtiroler Autofahrer, denen der Führerschein entzogen wurde, pilgern nach Polen, um dort den EU-Lappen zu erlangen.

Der Grund: In Italien, Österreich oder Deutschland müssen Bewerber nach einem Führerscheinentzug lästige medizinisch-psychologische Untersuchungen, Idiotentests und regelmäßige Blutanalysen über sich ergehen lassen. Viele Autolenker empfinden diese rigiden Bestimmungen als Schikane.

In vielen ehemaligen Ost-Staaten gibt es diese Einschränkungen nicht.

Der Mietwagenunternehmer Christian Putzer aus Hofern in der Gemeinde Kiens karrt seit vielen Monaten Südtiroler Autofahrer nach Polen. Dort können sie den EU-Führerschein erwerben. „130 Südtiroler haben bereits erfolgreich den polnischen Führerschein erworben“, weiß Putzer.

Die Bedingungen: Die Bewerber müssen ein ärztliches Zeugnis vorweisen, 185 Tage in Polen ansässig sein, 30 Fahrstunden absolvieren – und die Prüfung ablegen. Einige hundert Südtiroler sollen mit diesem „Trick“ zu einem neuen Führerschein gekommen sein.

Der Kommandant der Straßenpolizei in Sterzing, Peter Mock, warnte damals gegenüber der TAGESZEITUNG: „Wir raten den Leuten davor ab, den Führerschein in Polen zu machen, denn wir befinden uns in einer Grauzone, die Leute könnten Schwierigkeiten bekommen.“

Nun gibt es in dieser Angelegenheit ein spektakuläres Präzedenzurteil, das eine Friedensrichterin in Neumarkt gefällt hat.

In diesem konkreten Fall geht es um einen Mann aus Kaltern, dem im Jahr 2013 der Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer entzogen worden ist. Weil der Mann binnen zwei Jahren zum zweiten Mal betrunken im Auto erwischt wurde, wurde ihm der rosa Lappen widerrufen.

Widerruf bedeutet: Der Betroffene darf für die Dauer von drei Jahren keinen neuen Führschein machen (wobei es unterschiedliche Urteile zu der Frage gibt, wann diese dreijährige Sperrfrist beginnt – bereits ab der Feststellung der Tag, oder erst nachdem das Urteil Rechtskraft erlangt hat).

Was tat der Mann?

Er reiste kurzerhand nach Polen, verlegte seinen Wohnsitz dorthin. Und am 29. Juli 2015, also noch vor Ablauf der dreijährigen Sperrfrist, erwarb er die polnische Fahrerlaubnis.

Kaltern ist zu sehr Dorf, als dass nicht verborgen geblieben wäre, dass der Mann, dem zweimal der Führerschein entzogen worden war, wieder quickfidel hinter dem Steuer saß.

Und so kam es, dass der Kalterer am 13. Aprll dieses Jahres von Carabinieri-Beamten gefilzt wurde. Der Mann wies seinen polnischen Führerschein vor. Die Carabinieri-Beamten ließen den Mann weiterfahren. Ihm wurde gesagt, dass man die Sache mit dem polnischen Führerschein überprüfen werde.

Kurze Zeit später wurde dem Mann die Vorhaltung gemacht, er habe gegen Artikel 116 der Straßenverkehrsordnung verstoßen – Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis. Dem Mann wurde außerdem vorgehalten, er habe seinen Wohnsitz gar nie nach Polen verlegt, dies gehe aus den meldeamtlichen Unterlagen der Gemeinde Kaltern hervor.

Und: Da ihm der italienische Führerschein widerrufen wurde, die dreijährige Sperrzeit aber noch nicht vorbei sei, könne der vorgelegte (polnische) Führerschein nicht als gültig anerkannt werden.

Der Mann wurde außerdem aufgefordert, er möge den polnischen Führerschein bei den Carabinieri abgeben. Das tat der Mann nicht.

Sein Auto wurde verwaltungsmäßig sichergestellt. Und er erhielt eine Geldstrafe von 5.000 Euro.

Mit Rechtsanwalt Mark Antonio De Giuseppe und dessen Mitarbeiter Tobias Egger von der Kanzlei Pirhofer in Meran zog der Kalterer vor das Friedensgericht in Neumarkt. Vor Gericht legte Anwalt De Giuseppe eine umfangreiche Dokumentation vor, aus der hervorging, dass der Kalterer tatsächlich 185 Tage in Polen ansässig war.

Im Verfahren bezog sich Anwalt Mark Antonio De Giuseppe auf eine EU-Richtlinie, die besagt, dass ein Staat die von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheine anerkennt.

Die zwei Einschränkungen: Ein Staat kann die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins ablehnen, wenn der Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.

Mit dieser Einschränkung wollte die EU wohl die Einzigartigkeit des Führerscheins, also das Prinzip: Man darf in der EU nur einen Führerschein besitzen, festschreiben.

Der Haken, an dem sich nun erfolgreich der Meraner Strafverteidiger Mark Antonio De Giuseppe aufgehängt hat: In der EU-Richtlinie ist – im Gegensatz zu älteren Richtlinien auf europäische Ebene – wohl von„Einschränkung, Aussetzung und Entzug“ des Führerscheins die Rede, aber nicht von einem Widerruf („revoca“).

Die Friedensrichterin von Neumarkt, Patricia Beate Maria Caracristi, ist dieser These der Verteidigung gefolgt und hat die Geldstrafe über 5.000 Euro annulliert und die polnische Fahrerlaubnis für gültig erklärt.

Sehr zur Freude auch des Kiensner Mietwagenunternehmers Christian Putzer. „Nun hat endlich ein Gericht für Klarheit gesorgt“, freut sich Putzer.

 

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