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Geschlagene Frauen

frau gewalt mannGewalt gegen Frauen geht nicht zurück. Warum viele Frauen zögern sich Hilfe zu holen, keine Anzeige gegen die Täter erstatten und die Präventionsarbeit immer noch zu einseitig ist. 

Tageszeitung: Frau Wielander, Gewalt gegen Frauen ist nicht rückläufig. Überrascht Sie diese Tatsache? 

Barbara Wielander (Frauenhaus Brixen): Nein, eigentlich nicht. Wir würden uns natürlich wünschen, dass unsere Sensibilisierung mehr Wirkung zeigt – aber die Gewalt ist leider nicht rückläufig.

Man versucht seit Jahren zu sensibilisieren und gegen die Gewalt zu arbeiten. Die neuesten ASTAT-Daten zeigen ein ähnliches Bild wie im Vorjahr…

Die Daten verändern sich nicht. Es gibt zwar viele Gesetze, die versuchen, Frauen zu schützen, aber es wird viel zu wenig gemacht, um die Männer zu erziehen. Anti-Gewalt-Training wird zwar angeboten, aber zu wenig unterstützt, sodass es die Männer nicht für notwendig erachten, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen. Die Männer haben vielfach noch ein Bild im Kopf, dass sie auf ihre alten Machtrechte zurückgreifen dürfen und sich benehmen können, wie sie wollen. Es wird sehr viel Präventionsarbeit geleistet, dass Frauen unsere Dienste in Anspruch nehmen, aber auf der anderen Seite wird zu wenig gemacht. Wo es eine geschlagene Frau gibt, gibt es auch immer einen Schläger. Am Ende müssen sich viele Frauen auch noch anhören, dass ein Scheit nicht alleine brennt – also dass sie schon fast mitschuld daran sind, dass sie misshandelt werden.

Männern geht es also darum Macht auszuüben?

Genau. Und genau diese Macht wird von der Gesellschaft sehr oft legitimiert. Die Strafen und Konsequenzen für die Männer sind zu locker. Wir kennen reihenweise Fälle, wo Männer nach einigen Jahren erst ein Gerichtsverfahren bekommen: Ich wurde gerade als Zeugin zu einer Verhandlung vorgeladen, wo der Fall bereits zweieinhalb Jahre alt ist. Die Folgen für die Männer sind einfach zu wenig griffig. Das ist kein Kavaliersdelikt – hier muss auch die Gesellschaft schärfer reagieren und bestimmtes Verhalten verurteilen.

Zögern viele Frauen vielleicht auch aus diesem Grund und holen sich erst spät Hilfe?

Das sicher auch. Aber die meisten Frauen wollen ihrem Mann kein Strafverfahren anhängen – sie wollen nur ihre Ruhe haben. Viele Frauen trennen sich und holen sich Hilfe – aber die meisten dieser Frauen wollen keine Anzeige gegen ihren Mann erstatten. Sie wollen einfach nur ihre Ruhe haben und in Zukunft in Ruhe gelassen werden.

Warum?

Das hat oft mit einer emotionalen Abhängigkeit zu tun. Die Frau erlebt ihren Mann mit zwei Gesichtern: Einerseits hat sie ihn geliebt oder liebt ihn noch immer und anderseits sind die Schläge und Kränkungen schmerzhaft. Dieses doppelte Gesicht macht es vielen Frauen schwer.

Täter ist häufig der Ehemann oder Lebensgefährte. Warum ist auch der Ex-Mann als Täter derart weit vorne in der Rangliste? Distanzieren sich viele Frauen zu wenig?

Nein. Die Frau sucht Abstand, aber der Mann eben nicht immer. Ganz viel passiert auch über die Kinder. Der Mann fordert ein, die Kinder sehen zu wollen, aber oft wollen dies die Kinder nicht und der Mann gibt der Frau die Schuld an dieser Misere. Der Frau wird der Vorwurf gemacht, dass sie die Kinder beeinflusst und so übt er ständig weiter Druck auf sie aus. Zudem gibt es noch das ökonomische Problem: Eine Frau die mit dem ökonomischen Minimum leben muss und vom Mann eigentlich Unterhalt für die Kinder bekommen müsste, dieses Geld aber nicht bekommt, leidet unter ökonomischer Gewalt. Dies kann sich auch Jahre nach einer Scheidung noch hinziehen. Plus: Viele Männer wollen den geforderten Abstand nicht einhalten und beginnen die Frau zu stalken oder in der Nachbarschaft Gerüchte und Lügen zu verbreiten, dass er das Opfer ist und wie böse die Ex-Frau ist – damit bringt man die Faru wieder in Bedrängnis, da viele Menschen dem Mann glauben.

Gibt es eine hohe Dunkelziffer?

Es gibt eine italienische Statistik aus dem Jahr 2006, die besagt, dass sich nur 3 Prozent der betroffenen Frauen an die Beratungsstelle gewandt haben. Ich bin sicher, dass man diese Studie im Jahr 2016 nicht auf Südtirol umrechnen darf, aber ich gehe durchaus davon aus, dass es auch bei uns hohe Dunkelziffern gibt.

Wie erleben Sie eigentlich Ihre Arbeit im Frauenhaus?

Wir haben mit all diesen schlimmen Themen sehr viel zu tun, aber das Schöne an unserer Arbeit ist, dass wir mit den Frauen, die zu uns kommen, an einer Lösung arbeiten. Das tut gut, vor allem, wenn man sieht, dass die Frauen erfolgreich sind.

Erleben Sie auch die andere Seite, dass Frauen wieder zu ihren Männern zurückgehen?

Ja. Das passiert sehr oft bei Frauen mit Migrationshintergrund, weil sie keine Alternativen sehen. Wir sind natürlich nicht glücklich darüber, können es aber verstehen. Wir legen den Frauen aber immer nahe, dass es uns gibt und dass sie jederzeit zurückkommen können. Unsere Aufgabe ist es den Frauen aufzuzeigen, was möglich ist – annehmen und umsetzten müssen es die Frauen selbst. Die Statistik zeigt aber nicht, wie viele Frauen es nach dem zweiten oder dritten Mal erfolgreich geschafft haben, einen Schlussstrich zu ziehen.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Ich denke es müsste ein Auftrag an die Gesellschaft sein. Man muss auch untereinander sagen, welches Handeln in der Gesellschaft Platz hat und was eben nicht. Zudem muss man Frauen die Sicherheit bieten, dass ihnen geholfen wird, solange sie Hilfe brauchen. Die Informationen auf staatlicher Ebene, dass es schon wieder an Geldern für Frauenhäuser fehlt, sind erschreckend und ich bin froh, dass wir diese Unterstützung in Südtirol weiterhin bieten können.

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