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Wenn Internet krank macht

ulrike-netzUlrike Schmidt ist Forscherin am Max Planck-Institut in München. Im Tageszeitung-Interview erklärt sie, warum Internet für Jugendliche riskant sein kann.

TAGESZEITUNG Online: Frau Schmidt, Sie forschen an den Auswirkungen des Internets auf die menschlichen Psyche. Um welche psychischen Krankheiten geht es?

Ulrike Schmidt: Es geht zum einen um die Internetabhängigkeit an sich, die momentan allerdings noch nicht als Krankheit anerkannt ist, aber es gibt bereits ein vorgeschlagene Diagnosekriterien, vielleicht wird sie also mal als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt werden. Außerdem gibt es die Online-Spielsucht, also Online-Poker oder all die Reality- bzw. „Second-life“-Spiele. Vor der Internetabhängigkeit gibt es eine Vorstufe, das ist der übermäßige Internetgebrauch – der liegt vor, wenn man sich so viel mit dem Internet beschäftigt, dass soziale Kontakte vernachlässigt werden, die Konzentration nachlässt und man in Schule und Beruf nicht mehr so aktiv ist.

Welche Altersgruppe oder Menschen allgemein betrifft das vor allem?

Es kann natürlich jeder davon betroffen sein, aber grundsätzlich gibt es ein paar Gruppen, die im Vordergrund stehen. Das sind in erster Linie Jugendliche und Kinder, aber auch Menschen, die ohnehin schon an psychischen Symptomen leiden, die soziale Ängste haben oder Angst davor haben, aus dem Haus zu gehen. Solche Menschen haben häufig einen übermäßigen Internetkonsum.

Ist das Internet also Ursache, Auslöser oder Verstärker solcher psychischen Krankheiten?

Ein Auslöser ist es nicht, aber es ist ein Verstärker und eine Begleiterscheinung. Übermäßige Internetabhängigkeit ist eine Suchterkrankung, wie es sie auch in anderen Bereichen gibt – man kann ja beispielsweise auch spielsüchtig sein ohne die Spiele im Internet zu spielen.

Das heißt Krankheiten wie Burnout, Depression oder ADHS sind damit nicht gemeint.

Es gibt beispielsweise die Posttraumatischen Belastungsstörung oder die soziale Phobie, bei denen eine Internetsucht eine Begleiterscheinung sein kann. Manche Traumapatienten haben ohnehin große Angst davor hinauszugehen und beschäftigen sich dann übermäßig mit dem Internet. Das ist eine Art Schutz- oder Bewältigungsmechanismus, der dann aber die Erkrankung verstärken kann.

Welche Tätigkeiten im Internet sind also besonders betroffen?

Zum einen die bereits genannten Online-Spiele oder Spiele wie Poker oder Second-life-Spiele, bei denen man sich eine andere Identität zulegen kann, zum anderen Online-Shopping. Außerdem betrifft es Foren, die Kontakte zu Menschen ermöglichen, die man gar nicht kennt und zugunsten derer man seine anderen Kontakte vernachlässigt.

Wie kann man erkennen, ob man selbst oder ein Bekannter betroffen ist und wie kann man in solch einem Falle vorbeugen?

Worüber man sich zuerst bewusst werden muss, ist, dass das Internet Teil unseres Lebens ist. Wenn man aber merkt, dass jemand das Internet dazu benutzt, andere Aktivitäten zu vermeiden wie soziale Kontakte oder Einkaufen, wenn die Leistungen in Beruf und Schule nachlassen und man sich eigentlich durchgängig mit dem Internet beschäftigt, dann sind das Hinweise, die auf eine Sucht hindeuten können.

Häufig ist es auch so, dass eine Suchterkrankung wie die Internetsucht nicht von den Betroffenen selbst, sondern vom sozialen Umfeld erkannt wird.

Das heißt, übermäßiger Rückzug ins Internet kann auch als eine Art Warnsignal fungieren?

Richtig, kann. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, da ist es gar nicht so selten.

Nun spielt Facebook gerade in der heutigen Zeit eine große Rolle und häufig unterhält man sich nur noch über Chat, anstatt sich miteinander zu treffen. Wo ist das noch im normalen Bereich und ab wann wird das Verhalten krankhaft?

Wenn man mit Menschen, die man schon einmal wirklich gesehen hat, den Kontakt über Facebook und Mail pflegt, ist das vollkommen normal. Wenn man aber überwiegend soziale Kontakte hat, die anonym sind, und die man vermehrt aus Foren oder Reality-Spielen kennt, dann kann das auf einen krankhaften Internetkonsum hinweisen.

Gibt es bereits Forschungen zu diesem Thema?

Leider gibt es davon bislang relativ wenig, bei uns am Max-Planck-Institut gibt es keine. Es gibt aber Internet-Ambulanzen beispielsweise in Tübingen und in Mainz; ob es in Italien auch welche gibt, weiß ich leider nicht. Es wird vereinzelt Forschung dazu betrieben, aber in Anbetracht der Bedeutung der sozialen Medien und des Internets müsste diese Forschung noch verstärkt werden.

Was wollen sie durch ihre Forschungs- und Vortragstätigkeit erreichen?

Ich hoffe, dass ich darauf aufmerksam machen kann, dass Internetgebrauch auch schädlich sein kann, nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Ich hoffe, dass gerade Eltern den Umgang ihrer Kinder mit dem Medium überprüfen. Es geht nicht darum, dass das Internet schlecht ist – es ist ein normales und wichtiges Kommunikationsmittel. Aber es muss beachtet werden, dass es auch mit krankhaftem Verhalten einhergehen kann.

Interview: Silva Albertini

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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