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Flüchtling im Auto

Flüchtling im Auto

Wer aufgrund verstärkter Zugkontrollen reisenden Flüchtlingen etwas Gutes tun möchte, könnte versucht sein, sie im eigenen Auto über die Grenze zu bringen. Edle Fluchthilfe oder verbotene Schlepperei?

Von Anton Rainer

Derzeit steht der Zähler bei 569 – so viele erfolgreiche Fluchthilfeaktionen verzeichnete das Berliner „Peng“-Kollektiv seit vergangenem August. In einer Mischung aus Kunstaktion und politischer Kampagne fordert sie Touristen, Pendler und sonstige regelmäßige „Grenzgänger“ zu einem offenen Rechtsbruch auf: Wer nach Österreich oder Deutschland einreist, soll nicht mit leerem Auto fahren – und dafür so viele Flüchtlinge wie möglich mitnehmen.

Es ist eine Frage, die sich auch im Land der „Grenze Europas“, wie die Landeshauptstadt Bozen am vergangenen Samstag beschrieben wurde, stellt: Dürfen Privatpersonen Flüchtlingen, die aufgrund der trilateralen Kontrollen aus Zügen geholt wurden, im Privatauto über die Grenze helfen?

Nein, sagt das Gesetz – „Jein“ aber dessen Anwendung in der Praxis.

In den für Südtirol relevanten Zielländern Deutschland und Österreich erfüllt die Beihilfe zum Grenzübertritt zwar den Tatbestand der Schlepperei, Verstöße werden aber vor allem bei einmaligem Vergehen so gut wie nie geahndet. Vor allem seit die „alltägliche Notsituation“ an der Brennergrenze zur regelmäßigen Anwendung der betreffenden Paragrafen führte.

Das war vor wenigen Jahren noch anders: Als der Bozner Gewerkschafter Alois Burger im September 2011 in gutem Glauben mehreren Personen über eine Online-Plattform die Mitreise im Privatauto erlaubte, ahnte er nicht, dass es sich dabei um illegal Einreisende handelte. Burger wurde verhaftet, landete vorübergehend in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München – und entging nur knapp einer mehrjährigen Haftstrafe.

Heute heißt es in den detaillierten Gebrauchsanweisungen des umstrittenen Fluchthilfe-Portals: „In den meisten Fällen dürften Fluchthelfer, selbst wenn sie erwischt werden sollten, nach unserer Einschätzung strafffrei bleiben.“ – und: „Sogenannte Helferfälle haben in der Praxis […] kaum eine Bedeutung, da sie selten verfolgt werden.“

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Nach deutschem Gesetz ist die Beihilfe zur illegalen Einreise strafbar, wie man auch bei der Bundespolizei in Rosenheim, an einem der meistausgelasteten Grenzorte, bestätigt. Polizei-Sprecher Rainer Scharf: „Ein Beamter vor Ort ist gezwungen, eine Anzeige zu machen, ein Staatsanwalt kann aber sofort entscheiden, sie nicht weiter zu verfolgen.“ Derartige Einzelfälle habe es immer wieder gegeben, auch Österreicher und Italiener seien auf diese Weise (kurz) mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.

Die Folgen aber seien meist überschaubar: „Niemand ist verpflichtet, Ausweise zu kontrollieren, wenn er jemanden mitnimmt – und gefälschte Pässe kann ohnehin kein Laie erkennen.“ Das heißt: Fluchthelfer, die sich auf Unwissenheit berufen, kommen meist ungeschoren davon.

Noch einmal deutlich laxer werden Vergehen dieser Art im Flüchtllings-Transitland Österreich gehandhabt, wo die rechtswidrige Einreise laut Paragraf 114 des Fremdenpolizeigesetzes bestraft wird. Dazu kommt es jedoch selten, wie ein Sprecher des Tiroler Landeskriminalamts bestätigt: „Es ist nur eine Straftat, wenn Entgelt im Spiel ist, das ist das wesentliche Kriterium. Eine Einreise ohne finanzielle Gegenleistung ist straflos.“ Eine klare Ansage, die durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs sogar noch weiter relativiert wird:

Ein Italiener, der sich vor dem Landesgericht Innsbruck gegen den Vorwurf der Schlepperei wehren musste, hatte fünf Libyer und neun Syrer über die österreichische Grenze gebracht. Der Pauschal-Tarif des improvisierten Flüchtlings-Taxis: 160 Euro pro Person. In erster Instanz wurde der Italiener verurteilt, der Oberste Gerichtshof war anderer Meinung:

Die insgesamt 2.000 Euro seien ein „adäquater Fuhrlohn für Transportdienste“ und keine „unrechtmäßige Bereicherung.“ Der Italiener wurde freigesprochen.

Bei der Bundespolizei in Rosenheim warnt man dennoch davor, die jüngsten Entscheidungen als Freibrief für Schlepperei über den Brennerpass zu verstehen: „Wir können nur dazu raten, nach Ausweisen zu fragen“, so Rainer Scharf, „und bei der Organisation über Online-Mitfahrzentralen den gesunden Menschenverstand zu benutzen.“ Wer andererseits Angst habe, aus Versehen zum Fluchthelfer zu werden, solle nicht zögern, die lokale Polizei einzuschalten. „Dann ist man auf der sicheren Seite.“

 

 

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