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„Ich verneige mich“

LH Kompatscher unterstrich die Bedeutung der Wertehaltung im Widerstand und der Verantwortung für die heutige Gesellschaft. LPA/Oskar Verant

LH Kompatscher unterstrich die Bedeutung der Wertehaltung im Widerstand und der Verantwortung für die heutige Gesellschaft.
LPA/Oskar Verant

LH Arno Kompatscher am „Tag der Autonomie“: „Auch wenn der Widerstand nur von wenigen ausging, war seine Rolle für die Autonomie bedeutend.“

„Auch wenn der Widerstand nur von einer relativ kleinen Gruppe ausging, spielte er für die spätere Entwicklung der Autonomie unseres Landes eine bedeutende Rolle“, sagte Landeshauptmann Arno Kompatscher und würdigte in seiner Rede besonders die anwesenden Zeitzeugen Franz Breitenberger, Erich Pichler und Renato Ballardini für ihren Einsatz und dankte den vielen anderen, etwa Josef Mayr-Nusser, Josef Ferrari, Kanonikus Michael Gamper, Friedl Volgger, Josef Noldin, Franz Thaler und Sandro Bonvicini, deren Angehörige ebenfalls zur Tagung nach Schloss Tirol gekommen waren. Anlass war der heutige Tag der Autonomie, an dem an die Unterzeichnung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens am 5. September 1946 erinnert wird.

Der Landeshauptmann setzte den historischen Widerstand und seine Folgen überdies in einen allgemeinen Kontext: Nicht der Widerstand gegen ein nationalistisches Gedankengut zugunsten eines anderen sei gemeint, sondern die Bedeutung des Widerstands aufgrund einer Wertehaltung, als moralische Grundlage einer Gesellschaft.

„Ich verneige mich deshalb vor den Menschen, denen die heutige Würdigung anlässlich des Tages der Autonomie gilt, dafür, dass sie den Mut hatten, zu ihren Werten zu stehen, dafür, dass sie für ihre Überzeugung große Opfer in Kauf genommen haben bis hin zur Gefährdung der eigenen Unversehrtheit, ja, zum Verlust des Lebens. Dafür,dass sie nicht der Demagogie, der Propaganda, dem Populismus, den vermeintlich einfachen Lösungen erlegen sind. Dafür, dass sie durch ihre Haltung und Handlungen, wenn sie auch nicht unmittelbar von Erfolg gekrönt waren, Südtirol einen großen Dienst erwiesen haben und uns heute Vorbild sind“, erklärte Landeshauptmann Kompatscher.

Der Wert Freiheit sei immer mit Verantwortung verbunden. „Auch Autonomie bedeutet Verantwortung, die eigene Sache selbst gestalten zu können und das Gesetzgebungsrecht ist auch eine Verpflichtung zur Solidarität. Gerade in diesen Tagen ist es wichtig, verantwortungsvoll zu handeln und offen zu den christlich-humanistischen Werten unserer Gesellschaft zu stehen“, sagte Kompatscher.

Zum Tag der Autonomie sprachen Historiker (im Bild Elfriede Perathoner) über die Bedeutung des Widerstands für die Autonomie.

Zum Tag der Autonomie sprachen Historiker (im Bild Elfriede Perathoner) über die Bedeutung des Widerstands für die Autonomie.

„Die Wertehaltungen von damals gelten heute in gleichem Maße. Wir leben in einer freien, demokratischen Gesellschaft. Trotzdem braucht es auch heute den Mut, gegen den Strom zu schwimmen, in bestimmten Situationen, damit dieselben Fehler nicht noch einmal gemacht werden“, erklärte er. Damit appellierte der Landeshauptmann auch an die anwesenden Maturanten, diese Prinzipien, die für das große Ganze gelten, auch im täglichen Zusammenleben einzusetzen, etwa gegen Mobbing. „Es liegt an jedem einzelnen von uns, diese Werte auch umzusetzen“, schloss Kompatscher.

Die Rede des Landeshauptmanns bildete heute den Abschluss der Tagung „Autonomie und Widerstand“ auf Schloss Tirol, an der neben der gesamten Landesregierung auch Parlamentarier, Altlandeshauptmann Luis Durnwalder und sein ehemaliger Nordtiroler Amtskollege Wendelin Weingartner sowie Bischof Ivo Muser und zahlreiche Bürgermeister und Gäste teilnahmen. Vor Landeshauptmann Kompatscher beleuchteten die Historiker Stefan Lechner, Carlo Romeo und Elfriede Perathoner den Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus aus der Sicht der drei Sprachgruppen in Südtirol und dessen Bedeutung für die Entwicklung der Autonomie in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Der Zeithistoriker Lechner würdigte in seinem Referat den Widerstand der Dableiber im Zusammenhang mit der Option von 1939 und dessen Folgewirkung für die Autonomie. „Die Umsiedlung der Südtiroler war Teil eines verbrecherischen nationalsozialistischen Programmes zur ethnischen Flurbereinigung“, wertete der Historiker, ebenso wie die italienische Seite mit der Option rassenpolitische Ziele verfolgt habe. Hauptargument der Dableiber rund um Kanonikus Michael Gamper sei aber ein anderes als der reine Widerstand gegen die totalitären Regime gewesen: „Es ging um den Erhalt der Südtiroler Volksgruppe, den Erhalt der Heimat.“

„Ohne Widerstand keine Autonomie", erklärte Historiker Stefan Lechner. LPA/Oskar Verant

„Ohne Widerstand keine Autonomie“, erklärte Historiker Stefan Lechner.
LPA/Oskar Verant

 

Das Bestehen einer deutsch- und ladinischsprachige Mehrheit im Land sei auch später für die SVP notwendig für die Autonomiebestrebungen gewesen. „Besonders im Jahr 1945 maß die politische Elite im Land dem Widerstand große Bedeutung zu. Ohne den Nachweis eines antinazistischen Widerstandes hätten die Alliierten die Gründung der Südtiroler Volkspartei am 8. Mai 1945 unter dem ersten Obmann Erich Amonn niemals erlaubt“, sagte Lechner.

„Als Fazit bleibt“, so der Historiker abschließend, „dass das Ziel der Dableiber- und Widerstandsbewegung, das in einer Wiederangliederung Südtirols an Österreich bestand, zwar nicht erreicht wurde, dass aber hinsichtlich der Gewährung einer Autonomie den Dableibern maßgebliche Meriten zuzurechnen sind. Neben Österreich ist vor allem den Dableibern und NS-Gegnern die Gewährung der Autonomie zu verdanken, da nur sie nach 1945 politisch überhaupt handlungsfähig und präsentabel waren.“

Der Historiker und Literaturkritiker Carlo Romeo analysierte in seinem Vortrag die Vorstellungen des lokalen italienischen Widerstands für eine Nachkriegsordnung Südtirols. Der italienische Südtiroler Widerstand, der sich im nationalen Befreiungskomitee CLN organisiert hatte, war der Auffassung, dass Südtirol nach dem Krieg wieder Italien angeschlossen, der Minderheit aber große Freiheiten und weitreichende Autonomie zugestanden werden müsse.

Konkret, führte Romeo aus, war man im CLN der Meinung, dass die Option zurückgenommen, die deutsche Sprache wieder zugelassen und eine Autonomie gewährt werden müssen. „Die Positionen des CLN entsprechen im Kern also dem Geist des Gruber-Degasperi-Abkommens, das die Magna Charta der Autonomie darstellt, in der wir heute leben“, sagte Romeo. Der Bozner Historiker wies in seinen Ausführungen aber auch darauf hin, dass der Standpunkt der Widerstandbewegung zwar autonomiefreundlich war, die Gruppe aber noch im Jahre 1944 fast komplett zerschlagen worden war und deshalb nach dem Krieg praktisch nicht mehr auf dem politischen Parkett vertreten war.

Romeo kam in seinem Referat auch auf ein interessantes zeitgeschichtliches Detail zu sprechen: die (sich anbahnende) Zusammenarbeit zwischen dem Widerstand der deutschsprachigen und der italienischsprachigen Bevölkerung Südtirols: „Manlio Longon, der Chef der Bozner CLN-Gruppe, hat Kontakt zu Erich Amonn aufgenommen und bei drei Treffen war man sich einig, gemeinsam gegen den Nazifaschismus ankämpfen zu wollen.

Die Frage der Brenner-Grenze wurde bei diesen Kontakten aber ausgespart“, erklärte Romeo. Es sei allen klar gewesen, dass sich die „nationalen“ Ansichten der deutsch- und italienischsprachigen Widerstandsgruppen fundamental voneinander unterscheiden. Dieser diametrale Unterschied in der „nationalen“ Frage ist laut Romeo auch der Grund dafür, weshalb es nach dem Krieg keinen Kontakt zwischen deutschen und italienischen Widerstandskämpfern gegeben habe.

Carlo Romeo beleuchtete die Sicht und Bedeutung der italienischsprachigen Widerstandsbegwegung. LPA/Oskar Verant

Carlo Romeo beleuchtete die Sicht und Bedeutung der italienischsprachigen Widerstandsbegwegung.
LPA/Oskar Verant

Ein ganz anderes Bild hat Elfriede Perathoner in ihrem Beitrag zum Widerstand in den ladinischen Tälern gezeichnet. Die Ladiner waren als eigene Sprachgruppe gar nicht anerkannt und der Widerstand war weder einheitlich noch organisiert. Weil kein organisierter Widerstand vorhanden war, hatten die Ladiner keine Möglichkeit, nach dem Krieg ihrem Wunsch nach Wiedervereinigung mit Tirol bzw. Österreich Ausdruck zu verleihen. Das Bemühen um eine Autonomie wurde als antiitalienische Agitation und neuer Pangermanismus abgetan. Es kam sogar dazu, dass der CLN von Cortina bei den Alliierten bewirken konnte, dass Ampezzo, Buchenstein und Livinalongo der Provinz Belluno zugeteilt wurden und somit die Aufteilung Ladiniens auf drei Provinzen bestätigt wurden. Gerade diese Dreiteilung seit 1927 drohte die Identität der Ladiner zu zerstören. Die aufgezwungene und durch den Zweiten Weltkrieg bestätigte Dreiteilung bestehe bis heute und habe die weitere politische Zukunft der Täler unterschiedlich beeinflusst, so Perathoner.

In seinem Filmbeitrag „August auf der Flucht“ erzählte Filmemacher Andreas Pichler über seinen Großvater Anton Pichler, der nach der Besetzung Südtirols durch die nationalsozialistischen Truppen wegen seines aktiven Widerstands erst ins Trentino und dann in die Schweiz flüchtete. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1945 wurde er vom CLN nach Rom berufen und setzte sich dort für die Wiedereinführung des Deutschunterrichts an Südtiroler Schulen ein. Der Historiker und österreichische Staatssekretär a.D. Ludwig Steiner hingegen ging in einem Videobeitrag auf die Rolle Tirols bei Südtirols Weg zur Autonomie ein.

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