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Sind Frei.Wild rassistisch?

Sind Frei.Wild rassistisch?

Frei.Wild provoziert und polarisiert die öffentliche Meinung wie keine andere deutschsprachige Band, aber kaum eine andere ist derzeit auch so erfolgreich. Der Journalist und Autor Klaus Farin hat die vier Musiker zwei Jahre lang immer wieder getroffen, mit Fans, Kritikern und Wissenschaftlern gesprochen. Sein Buch ist nicht nur eine Band-Biografie, sondern eine Auseinandersetzung mit brisanten Themen der Gegenwart. Ein Gespräch.

TAGESZEITUNG Online: Herr Farin, zwei Jahre Beschäftigung mit Frei.Wild. Das muss Liebe sein.

Klaus Farin: Ach nein. Ich arbeite gerne gründlich. Deshalb mache ich lieber Bücher als aktuellen Journalismus.

Aber etwas muss Ihnen doch gefallen an der Band.

Mit Gefallen hat das nichts zu tun. Als politischen Journalisten interessieren mich Widersprüche, Mythen, Tabus, Vorurteile. Frei.Wild ist eine Band, die durch die Kampagane gegen sie gesellschaftlich relevant geworden ist. Ich finde es interessant, dass an sich intelligente Menschen – Journalisten, Politiker, Lehrer, Linke – die ganzen Vorurteile und Klischees einfach nachbeten, Auftrittverbote fordern, ohne sich mit der Band näher beschäftigt zu haben. Es ist offensichtlich, dass die Mehrheitsgesellschaft versucht, sich auf dem Rücken von Subkulturen zu entschuldigen.

Ist das ein Ergebnis Ihrer Recherchen: Dass niemand sich genauer mit der Band auseinander gesetzt hat?

Niemand ist übertrieben. In meinem Buch kommen ja auch scharfe Kritiker der Band zu Wort, die sich schon damit beschäftigt haben. Aber im Großen und Ganzen herrscht ein reflexhafter Umgang mit der Band vor. Frei.Wild steht für alles Böse, für Patriotismus und von dort ist man schnell bei Nationalismus, Rassismus, bei Rechtsrock oder Grauzonenbands. Viel nachgedacht wird dann nicht mehr. Die meisten folgen denjenigen, die am lautesten schreien.

Weil Frei.Wild für die Ängste in der Mitte der Gesellschaft steht.

Ängste spielen sicher eine Rolle. Frei.Wild steht vor allem für eine Renaissance des Heimatbegriffs und das ist zumindest in Deutschland ein großes Tabu. Außer in Bayern und Franken ist das ein schwieriges Thema. Mit Heimat, Heimatliebe, Patriotismus ist man in Deutschland ganz schnell Rechts außen. Andererseits erleben wir in ganz Europa eine Renaissance des Heimatbegriffs. Viele Jugendliche beschreiben sich als patriotisch. Fussball-Fans zum Beispiel, die aber gar nicht den traditionellen Patriotismus sondern eher regionale Ausprägungen darunter verstehen: Mein Dorf geht mir über alles! Die Frage ist, wie definiert sich dieses neue deutsche Wir? Ist das inklusiv oder ausgrenzend? Ich finde, dieses Thema darf man nicht den Rechten überlassen. Als konservative, dezidiert nicht-linke Band, macht Frei.Wild sich da natürlich schwer verdächtig. Für mich besteht genau darin auch eine Chance.

Welche?

Weil Frei.Wild ganz andere Leute erreicht, an die klassisch linke Bands nicht herankommen. Sie sind zwar konservativ, aber sie ziehen klare Grenzen gegenüber rassistischen Tendenzen. Eigentlich ist das ja schon eine Leistung, denn vom Konservatismus zur Ausgrenzung, beispielsweise von Migranten, ist der Weg kurz. Wenn Frei.Wild hier klar Position bezieht, und das machen sie ja seit einiger Zeit, kann die Band Leute erreichen, die anfällig für rassistische Tendenzen sind. Heimatliebe ist ok, aber Rassismus ist ein absolutes No-Go.

Genau das glauben viele der Band nicht.

Es ist natürlich schwierig, weil man anhand ihrer Texte beide Positionen belegen kann. Eine Zeile wie „Ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land“ geht gar nicht. Die ist intolerant und die pathetische Überhöhung „heiliges Land“ erweckt unangenehme Assoziationen. Genauso der Satz: „Früher gab´s den Stern, heute gibt´s das Kreuz“. Sie haben es sicherlich nicht so gemeint, aber das muss man einfach so interpretieren, als würden sie sich erhöhen wie die Millionen jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Das gleiche gilt, wenn sie von Volk reden. Volk kommt von völkisch und schließt Zugewanderte aus. Anhand solcher Sätze kann man sie in der Tat als völkisch orientiert interpretieren, aber wenn man die Gesamtheit anschaut, ihre Interviews und ihr Auftreten, geht es in eine andere Richtung.

In welche?

Frei.Wild vertritt keine rassistische Positionen, es gibt keine einzige rassistische Zeile in ihren Texten, was sie von Rechtsrockbands deutlich unterscheidet. Und es gibt keine Ideologie der Ungleichwertigkeit bei ihnen. Ich wünschte mir, dass sie das manchmal deutlicher formulieren, aber im Großen und Ganzen geht es in die richtige Richtung.

Kann man diese Zeilen als reine Ausrutscher interpretieren?

Ich glaube schon, die betreffenden Lieder sind ja zum Teil schon älter. Es gab Ereignisse, zum Beispiel der Eklat mit den Freiheitlichen, die sie motiviert haben, sich mit solchen Themen auseinander zu setzen. Sie sind älter und nachdenklicher geworden. Der politische Druck auf sie hat etwas bewirkt, aber mittlerweile macht er keinen Sinn mehr. Diese Ausgrenzungsgeschichten sind heute nicht mehr sinnvoll, zumal damit auch die Fans ausgegrenzt werden. Frei.Wild hat hundertausende Fans, es ist im Augenblick sicher eine der zehn erfolgreichsten deutschen Bands. Wenn man die Band ausgrenzt, schiebt man auch die Fans in die rechte Ecke und das finde ich sogar gefährlich.

Warum gefährlich?

Weil man dann schnell in einen self fulfilling-Effekt hineingerät nach dem Muster: Ich bin Frei.Wild-Fan, die anderen sagen, damit bin ich rechts, gut dann bin ich eben rechts. Allein deshalb darf man die Band nicht unreflektiert ins rechte Eck stellen, sondern muss sie beim Wort nehmen. Sie sagen, wir würden bei einem Konzert gegen Rechtsextremismus spielen – gut, dann soll man sie einladen. Das wäre konstruktiver als sie auszugrenzen.

Eines der Argumente gegen Frei.Wild ist immer wieder Philipp Burgers frühere Band „Kaiserjäger“.

Das ist lächerlich. Die anderen drei Mitglieder der Band hatten mit „Kaiserjäger“ nichts zu tun, mit der Skin-Szene sind die nie in Berührung gekommen. Zur Gründung von Frei.Wild ist es erst gekommen, als Philipp sich glaubhaft distanziert hatte. Man sollte die Band an dem messen, was sie heute tut und sagt. Dann kann man Kritik äußern oder auch Positives finden. Das wäre ein normaler, kritischer Umgang mit einer Band.

Die Ausgrenzung hat der Band auch geholfen. Siehe Echo-Preis.

Klar nützt das, weil es die Fans mit der Band zusammenschweißt. Das war bei den Böhsen Onkelz nicht anders. Es ist ja heute peinlich einen Echo zu bekommen. Dort ausgeschlossen zu werden und noch dazu durch Manipulation ist natürlich der beste Weg in die Charts. Ein Großteil der heutigen Fans von Frei.Wild würden die Band ohne diesen Eklat gar nicht kennen. Kommerziell nützt so etwas einer Band, aber es belastet sie auch.

Frei.Wild bezeichnet sich selbst als Deutschrockband. Was bedeutet das eigentlich genau?

Das gab es in den siebziger Jahren schon mal mit Udo Lindenberg und Herbert Grönemeyer. Der Begriff ist nachher verschwunden und durch Frei.Wild wieder populär geworden. Heute umfasst der Begriff alles, was in der Nachfolge der Onkelz steht, die sind die Stammhalter der Szene. Sogar die Toten Hosen werden von einigen dazugerechnet. Das Image von Deutschrock hat sich komplett gewandelt. Am Anfang galt er als linkskritisch, heute gilt er fast pauschal als rechtsverdächtig. Ganz, ganz viele Bands haben damit Probleme und werden von Konzerten ausgeladen.

Sind Sie Deutschrockfan?

Generell finde ich Deutschrock als Genre gut. Es ist gut, dass es deutschsprachige Bands gibt, die in ihren Texten Sinn transportieren. Deshalb fand ich Lindenberg und Grönemeyer immer gut. Der Deutschrock besteht ja nicht nur aus Saufliedern. Insofern finde ich Frei.Wild erst Mal gut, aber mir gefällt natürlich nicht jeder Song. Ich bin großstädtischer Berliner und kann mit Heimat und anderen Themen wenig anfangen. Ich mag auch das Pathos der Band nicht, diese Opferhaltung „Wir gegen den Rest der Welt“. Da gibt es coolere Varianten.

Für den Journalisten Thomas Kuban ist Deutschrock gleich Rechtsrock gleich Rechtsextremismus.

Kuban ist ein gnadenloser Selbstdarsteller. Den muss man nicht wirklich ernst nehmen. Sein Film „Blut muss fließen“ ist journalistisch einfach nur grottenschlecht.

Frei.Wild sind für Sie „konservative Antifaschisten“. Wie geht das zusammen?

Der Titel ist natürlich provokant, weil für viele Menschen, vor allem Linke, Konservatismus und Antifaschismus nicht kompatibel sind. Die Band ist beides. Konservativ sind sie sowieso und antifaschistisch, indem sie auf Distanz zur rechtsextremen Szene gehen. Für mich persönlich ist Heimat kein Thema, aber in einer Einwanderungsgesellschaft ist es ein Thema. Es ist wichtig, auch die konservativen Positionen in dieser Diskussion zu kennen und nicht auszugrenzen. Da gehört Frei.Wild dazu. Nehmen sie den Urkonservativen Heiner Geißler, der in den 70er Jahren nach Franz Josef Strauß unser Feind Nummer Eins war. Für den kam Rassismus nie in Frage, heute engagiert er sich für Attac. Das ist ein Konservatismus, der einer Demokratie gut tut.

Warum fällt den Linken außer Verbieten nichts ein?

Ich weiß nicht, wie es hier ist, aber in Deutschland merkt man, dass aus der bürgerlichen Mitte heraus das Bedürfnis nach einer autoritären, moralischen Mehrheit steigt. Verbieten ist angesagt. Bei den Grünen ganz massiv. Ich bin Mitglied bei den Grünen, insofern ist Fremdschämen angesagt. Es sind nicht die Linksradikalen, die Verbote fordern, die setzen ja nicht auf den Staat, sondern erstaunlicherweise die Politiker aus der linksliberalen Ecke. Freiräume für Kinder und Jugendliche werden immer mehr eingeengt.

Wie konnte das passieren, dass gerade die Grünen zur Verbotspartei wurden?

Die Grünen haben als Lehrer begonnen und das ist immer ein Risikofaktor. Es hängt aber auch damit zusammen, dass viele Menschen heute ängstlicher sind. Das Gefühl, nicht mehr durchzublicken, nichts mehr beeinflussen zu können, Globalisierung, Wirtschaftskrisen verunsichert sehr. Ich habe das Gefühl, je größer die allgemeine Verunsicherung ist, desto mehr versucht man, im eigenen Nahfeld wieder Gartenzäune hochzuziehen. Das geht bin in die Kindererziehung hinein. Kinder brauchen Grenzen heißt es. Das ist ja nicht falsch, aber gemeint ist damit, mehr autoritäre Erziehung.

Kritiker stört an Frei.Wild ihre demonstrativ gepflegte Heimatliebe. Andererseits scheint genau das in Deutschland einer der Gründe ihres Erfolgs zu sein.

Die Band hat in Deutschland einen Exoten-Bonus: Die sind aus Südtirol und da ist alles anders. Ich glaube, ihr Erfolg beruht mehr auf den Ausgrenzungsgeschichten. Das erinnert viele an die Geschichte mit den Böhsen Onkelz. Heimat spielt eine Rolle, aber auch das gewachsene Bedürfnis nach harter Rockmusik mit deutschen Texten. Davon hat schon Rammstein profitiert.

Wie stehen eigentlich andere Deutschrockbands zu Frei.Wild?

Von denen will kaum eine etwas damit zu tun haben. Die Toten Hosen oder Broilers distanzieren sich völlig, aber auch Pop-Acts wie Mia oder Die Ärzte. Ich weiß von vielen bekannten Musikern aus der Metal-Szene, aus dem Punk oder dem Hardrock, dass sie Frei.Wild persönlich gar nicht schlecht finden, sich aber nie öffentlich positiv äußern würden oder mit Frei.Wild auf einer Bühne stehen möchten. Weil sie schlicht Angst haben, dass ihnen das schaden könnte.

Ist diese Angst realistisch?

Ja. Das passiert unbekannteren Deutschrockbands durchaus. Wenn die einmal mit Frei.Wild aufgetreten sind, streicht man ihnen anderswo Konzerte. Weil sie mit den falschen Leuten auf der Bühne standen. Für Frei.Wild ist das nicht weiter schlimm, im Gegenteil, aber für eine kleinere Band kann das die Existenz zerstören.

Läuft Ihr Buch auch Gefahr ausgegrenzt zu werden?

Natürlich. Viele Buchhandlungen boykottieren das Buch und führen es nicht. Ein Frei.Wild-Buch in der Auslage ist schlecht. Die haben Angst, dass ihr Ruf darunter leiden könnte.

Insofern ist der ambivalente Titel „Südtirols konservative Antifaschisten“ schlecht gewählt.

Ja klar. Wenn ich dem Buch den Titel „Die Neonazis aus Südtirol“ oder „Die Kultband der Rechten aus Südtirol“ gegeben hätte, gäbe es keine Probleme. Das wären die idealen Titel für einen richtig großen Bestseller.

Interview: Heinrich Schwazer

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