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Lass die Leute reden …

Businessman Working in OfficeWie man es auch dreht und wendet: Von allen Methoden, die Qualität von Online-Kommentaren nach oben zu schrauben, ist die Klarnamen-Pflicht die mit Abstand schlechteste. Drei Argumente für die Online-Anonymität.

von Anton Rainer*

Man muss wohl davon ausgehen, dass es sich bei der Spezies „Kommentarschreiber“ um eine besondere Art von Mensch handelt. Oft laut, immer schonungslos, meistens ehrlich, manchmal intellektuell und dabei so stark wie kaum sonst jemand darauf erpicht, seine eigenen Rechte zu beschneiden. Seit dem Vorstoß des Athesia-Konzerns, der die Anonymität auf seiner Online-Plattform abgeschafft hat und das Schmuddel-Image damit lieber dem kleinen Bruder „Südtirol News“ überlässt, hagelt es Beifall von allen Seiten. „Danke, das war höchste Zeit“, schreibt ein Herr Hermann Taber aus Schenna und ein Martin Wolfsgruber aus Bozen beklagt sich darüber, dass solche Änderungen immer erst vom Bischof angestoßen werden müssen.
Am meisten aber freut sich ein Herr Sigmar Stocker aus Terlan, ihm war die frisch eingeführte Klarnamen-Pflicht sogar eine Pressemitteilung wert.

Kein Wunder. Wohl kaum einer Partei schlug online soviel rauer Wind entgegen wie den Südtiroler Freiheitlichen.

Seine These: „Wenn Kommentarschreiber ihren wahren Namen angeben müssen, wird das Niveau auf den Nachrichtenportalen sicherlich in die Höhe schnellen“.

Taugt die Klarnamen-Pflicht als Windstopper? Dagegen gibt auch abseits von Ärzte-Songs gute Argumente:

Sie wirkt nicht
(wenn sie wirken soll)

Mit seiner Forderung nach Klarnamen steht STOL nicht alleine da: Während Google+ seit seiner Gründung mit den Problemen abgeschaffter Nicknames hadert, untersagt Facebook seinen Nutzern seit Jahren die Anonymität – mit fraglichem Erfolg. Wer fremdenfeindliche, menschenverachtende, politikfeindliche Kommentare sucht, findet sie, samt Klarnamen und persönlichen Daten in Gruppen wie „Südtirol gegen kriminelle und gewalttätige Immigranten“ oder unter Postings von HC Strache. Studien geben der Beobachtung recht: In Südkorea galt fast 10 Jahre lang eine gesetzliche Klarnamen-Pflicht, 2012 wurde sie wieder abgeschafft – Die Anzahl unerwünschter Kommentare verringerte sich in besagtem Zeitraum nur um 0,9%. Wer pöbeln will, tut das auch unter echtem Namen.

Sie wirkt (wenn
sie nicht wirken soll)

Es hat seinen Grund, warum die Teilnahme an einer klassischen „Offline“-Demonstration nicht an die Eintragung des eigenen Namens gebunden ist. Ob „feige“ oder nicht – Wer dazu gezwungen wird, sein Recht auf freie Meinungsäußerung an seine Identität zu knüpfen, nimmt das Recht verständlicherweise oft nicht wahr – je kleiner das Land, desto größer die möglichen beruflichen und gesellschaftlichen Folgen. Umgekehrt schützt Anonymität vor staatlicher Verfolgung:
Wer Klarnamen sagt, muss auch Vorratsdatenspeicherung sagen – und kann unmöglich „Charlie sein“

Sie hat keine
Konsequenzen

Es gibt tatsächlich etwas, vor dem sich Redaktionen noch mehr fürchten als vor unflätigen Online-Kommentaren: Kosten und Gerichtsverfahren. Doch die Klarnamen-Pflicht tut nur so, als schlüge sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Weil Kommentare auch unter echtem Namen anstößig sein können, erspart sie nicht die Beschäftigung eines Foren-Moderators. Und weil auch STOL nicht die Einsendung von Reisepässen fordert, taugen Klarnamen weiterhin nicht zur strafrechtlich relevanten Identitätsfeststellung. IP-Adressen, wie sie bisher schon verwendet wurden, reichen dem Staatsanwalt vollkommen.

Wie können Redaktionen das Problem mit der Online-Meute lösen? Langfristig werden weder gutes Zureden noch Klarnamen-Hürden dabei helfen. Eine bessere Alternative liegt in der guten alten Moderation: Wer verhetzende Kommentare löscht und lesenswerte Beiträge durch Hervorhebung an den Kopf der Diskussion holt, macht als Redakteur bereits einen guten Job. Allen Lesern sei dagegen geraten: Bewahren Sie ruhigen Kopf und hören Sie auf Farin Urlaub: „Solang die Leute reden, machen sie nichts Schlimmeres“

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* Anton Rainer studiert in Innsbruck Deutsch und Geschichte.

Er ist Mitarbeiter der TAGESZEITUNG und wird ab März unser Redaktionsteam verstärken.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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