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Die Drogen-Schere

Weil der Verfassungsgerichtshof das scharfe Drogen-Gesetz aus dem Jahr 2005 für rechtswidrig erklärt hat, werden nun alle seitdem verhängten Haftstrafen wegen Drogenbesitzes neu berechnet. Richter und Staatsanwälte stöhnen. 

Von Thomas Vikoler

Der derzeitige Schnitt lautet: Ein Fall pro Tag. Seit Jahresbeginn fanden vor dem Voruntersuchungsrichter 20 sogenannte Vollstreckungsverhandlungen statt. Verhandlungen, die sich mit Fällen befassen, die bis zu acht Jahre zurückliegen.

Es geht um Drogendelikte. Im Jahre 2005 beschloss das Parlament auf Vorschlag der beiden damaligen Minister Gianfranco Fini und Carlo Giovanardi ein äußerst restriktives Drogen-Gesetz. Die vorher geltende Unterscheidung zwischen leichten und schweren Drogen wurde aufgehoben und ein allgemeiner Strafrahmen von sechs bis 20 Jahren Haft festgelegt.

Mit Urteil 32/2014 erklärte das Verfassungsgericht das Fini/Giovanardi-Gesetz im Jänner vergangenen Jahres für rechtswidrig. Begründung: Die vorgesehenen Strafen seien zum Teil unverhältnismäßig, der Spielraum der Richter bei der Festlegung der Haftstrafen zu groß

Mit diesem Urteil hadern derzeit die Richter und Staatsanwälte am Bozner Landesgericht. Weniger was seinen Inhalt betrifft (das aufgehobene Drogen-Gesetz war eine typische Law-and-Order-Maßnahme der Regierung Berlusconi), sondern die daraus erwachsenen Folgen: Alle während des Zeitraums 2005-Anfang 2014 aufgrund der damals geltenden Bestimmungen verhängten Strafen sind neu zu berechnen. Das sieht schlüssigerweise das Gesetz vor, mit dem die aktuelle Regierung Renzi die Materie neu geregelt hat.

Beinahe täglich finden seit November am Bozner Landesgericht Verhandlungen statt, in denen eifrig Rechnungen angestellt werden. Die Neufestlegung der Strafen nach dem neuen Drogengesetz, die auch in jenen Fällen verpflichtend ist, wenn ein Urteil bereits rechtskräftig ist. Lediglich dann, wenn die nach dem Fini/Giovanardi-Gesetz verhängte Strafe bereits abgebüßt wurde, lässt sich nichts mehr machen.

Die Staatsanwaltschaft hat in den letzten Monaten alle am Landesgericht ausgesprochenen Urteile wegen Drogenbesitzes durchforstet. Die Betroffenen werden angeschrieben – wenn sie nicht selbst inzwischen über ihren Anwalt einen Antrag auf Neuberechnung gestellt haben. Die Betroffenen haben für die Vollstreckungsverhandlung Anspruch auf einen kostenlosen Pflichtverteidiger. In einigen Fällen sind es die Berufungsinstanzen Oberlandesgericht und Kassation, die das Landesgericht um eine Anpassung der Strafen bitten.

In den meisten Fällen kommt dabei eine Haftreduzierung heraus. Denn mit dem neuen Gesetz wurde die Unterscheidung von leichten und harten Drogen, gemäß der Vorgabe des Verfassungsgerichtshofs, wieder eingeführt. Der Strafrahmen für leichte Drogen liegt nun zwischen zwei und fünf Jahren. Dazu gibt es laut Artikel 5 des Gesetzes die Unterscheidung von kleineren und größeren Mengen Rauschmittel – mit der entsprechenden Möglichkeit einer Strafreduzierung.

Bei den Bozner Richtern und Staatsanwälten gibt es den berechtigten Zweifel, ober der neue Gesetzgeber nicht auch das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Strafe missachtet hat: Der Strafrahmen für harte Drogen orientiert sich nämlich am alten Drogen-Gesetz und liegt zwischen acht und 20 Jahren. Die Schwere zwischen den Strafrahmen für leichte und harte Drogen ist weit geöffnet.

Die Gefahr, wegen des Besitzes von einer kleineren Menge Kokain (wird den harten Drogen zugerechnet) eine Haftstrafe von über acht Jahren zu erhalten, ist weiterhin groß. Andererseits gibt es den aktuellen Fall, dass ein niederländischer Transporteur, der am Brenner mit über hundert Kilogramm Marihuana (leichte Droge) erwischt wurde, eine Strafe von sechs Jahren erhalten hat. Erwirkt durch eine Anpassung der Strafe an das neue Drogen-Gesetz.

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